Warum Erdoğan bei Wählern im Ausland beliebt ist
Bei türkeistämmigen Wählern im europäischen Ausland fiel die Unterstützung für Erdoğan in der türkischen Präsidentschaftswahl überwältigend hoch aus. Er erzielte vielerorts höhere Werte als in der Türkei selbst. Kommentatoren beschäftigen sich mit den Ursachen und fragen, wie der Einfluss Ankaras zurückgedrängt werden kann.
In den Niederlanden leben die größten Fans
Das Verhältnis der Türkeistämmigen zu den Niederlanden und umgekehrt ist besonders getrübt, beobachtet De Telegraaf:
„Das Unbehagen beginnt damit, dass sie für einen Führer jubeln, der sein Land islamisiert, anti-westliche Stimmung schürt und ausdrücklich die Konfrontation sucht. Erdoğan nannte unser Land im vergangenen Jahr 'Nazi-Reste' und 'Faschisten'. ... Nach Angaben türkischer Staatsmedien bekam er in den Niederlanden 73 Prozent der Stimmen. Das ist ein viel höherer Anteil als in der Türkei (52 Prozent) und das ist auch höher als die Unterstützung der Türken in anderen Ländern (60 Prozent). Es ist ein neues Zeichen der Segregation. Und doch gibt es auch Hoffnung. Die große Mehrheit der rund 250.000 wahlberechtigten niederländischen Türken ging nicht zur Wahl. Das ist eine Niederlage für Ankaras langen Arm.“
Präsident fördert Nationalstolz
Die Wähler im Ausland stehen sogar besonders im Fokus von Erdoğans nationalistischer Politik, glaubt Journal 21:
„Erdoğan hat schon vor längerem erklärt, Demokratie sei für ihn nur ein Mittel zur Verfolgung seines politischen Ziels, nämlich die Türkei und die Türken gross und stolz zu machen. Das schliesst ausdrücklich die im Ausland - vielfach als Doppelbürger - lebenden Türken mit ein, denen er bei einem Auftritt in Deutschland einschärfte, Assimilation an die neue Heimat sei 'ein Verbrechen'. Eine Mässigung des Sultans wird man auch in dieser Hinsicht nicht erwarten dürfen.“
Leistungen der Einwanderer nicht anerkannt
Schuld an der Begeisterung in Österreich lebender türkischer Wähler für Erdoğan tragen diejenigen, die ihre Integration lange verhindert haben, kritisiert Die Presse:
„Seit fünf Jahrzehnten hat die österreichische Politik Berührungsängste mit einer Gemeinschaft, die sie mehr geduldet hat, als sich für sie zu interessieren. In der Integrationsdebatte wird über Türken oft so gesprochen, als hätten sie dieses Land in eine Katastrophe gestürzt. Dabei haben sie gemeinsam mit Migranten aus Ex-Jugoslawien maßgeblich zum Wohlstand der Zweiten Republik beigetragen. Das kann man doch einmal, Erdoğan hin oder her, anerkennen. Und dann ganz sachlich beginnen, den Einfluss der Türkei endlich zu kappen.“
Schluss mit falscher Rücksichtnahme!
Das Verständnis für das Wahlverhalten der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger treibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf die Palme:
„[W]ie es so ist in Deutschland, sofort wird die Beschwichtigungsmaschine angeworfen. Den Vogel schoss dabei die Türkische Gemeinde in Deutschland ab ... : Deutsche Politiker müssten nach ihrem eigenen Anteil an dem Phänomen fragen, dass eine seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Gruppe im Staatschef eines anderen Landes ihren Anführer sehe ... . Wie soll man das verstehen? Dass deutsche Parteien ein paar kleine Diktatoren bereitstellen sollten, damit türkische Einwanderer sich endlich heimisch fühlen können? Oder dass Deutschland ein Tauschgeschäft vorschlägt: Wir verzichten auf das lästige Gerede über Integration, Loyalität, Sprachkenntnisse, Leitkultur und Verfassungstreue, dafür wählt ihr dann bitte liberale Politiker in der Türkei?“