Was macht der Seehofer-Merkel-Plan aus Europa?
Nachdem sich CDU und CSU für die Einrichtung von "Transitzentren" ausgesprochen haben, hat Wien angekündigt, die Grenzen zu Italien und Slowenien schärfer zu kontrollieren, sollte die Regierung in Berlin sich auf den Vorschlag einigen. Kommentatoren beobachten einen Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik und glauben, dass dessen Folgen in ganz Europa zu spüren sein werden.
Osteuropa wird zum Vorbild für alle
Orbáns Methode, mit Flüchtlingen umzugehen, hat sich letztendlich in ganz Europa durchgesetzt, beobachtet Delo:
„Es scheint, dass das, worüber sich der 'liberale' Westen entrüstete, als er das Verhalten der 'nichtliberalen demokratischen' Pioniere aus dem Osten betrachtete, nun die neue europäische Wirklichkeit ist. Ein anschauliches Beispiel ist Deutschland, das seine Tore großzügig jenen Ausländern öffnete, die durch den gewaltsamen Export der Demokratie von ihren einstigen undemokratischen Regimen befreit wurden. Doch neuerdings erinnert die deutsche Flüchtlingspolitik sehr an das, was das 'Regime' des ungarischen Premiers Viktor Orbán einführte, der bis vor Kurzem als Ausgestoßener galt. Die Idee, dass die Deutschen nach ungarischem Vorbild Konzentrationslager für illegal eingereiste, nicht-christliche Migranten einführen könnten, rettete die deutsche Regierung vor dem Zerfall.“
Doppelte Belastung für Griechenland
Nahost-Experte Evangelos Venetis kritisiert in To Vima Online die Entscheidung der griechischen Regierung, Flüchtlinge zurückzunehmen, die es geschafft haben, von Griechenland nach Deutschland zu gelangen:
„Dieser Ansatz steht im Einklang mit der Dublin-Verordnung, die allerdings längst überholt ist und geändert werden muss. … Der Hauptnachteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Rückkehr von Migranten unser Land in einen verzweifelten Zustand bringen und zwei Migrationsströmen gleichzeitig aussetzen wird. Anstatt die Infrastrukturen zu verbessern und sich auf die schwierigen Tage vorzubereiten, macht Athen leichtfertig Zugeständnisse und stimmt ohne Strategie Vereinbarungen mit zweifelhaften Anreizen zu.“
Völliger Realitätsverlust
Die Einigung von CDU und CSU hat mit der Realität nichts zu tun, kritisiert Der Standard:
„Die Zurückweisung [der Asylbewerber] erfolgt 'auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise'. Der Flüchtling ist also faktisch eingereist, wird in einem Lager zur Überprüfung angehalten, die deutsche Regierung tut aber so, als wäre er gar nicht da. Eine Regierung, die einen derart verhatschten Kompromiss zur Grundlage ihrer weiteren Zusammenarbeit nimmt, ... hat schon aufgegeben. ... Was Österreich betrifft, geht die Union in Berlin ebenfalls von einer Fiktion aus, nämlich von der Annahme eines Abkommens, das es gar nicht gibt. Das scheint in Europa gerade groß in Mode zu sein: Beim EU-Gipfel vergangene Woche einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf Anhaltezentren in afrikanischen Staaten - eine Fiktion. Bisher hat sich kein einziger Staat bereiterklärt, solche Zentren einzurichten.“
Der erste Dominostein fällt
Die Pläne von CDU und CSU drohen einen Dominoeffekt auf der Balkanroute auszulösen, fürchtet Večer:
„Österreich hat das geahnt und klargestellt, dass es kein Auffangbecken für Migranten werden will. Plötzlich könnte Slowenien seinen Stacheldrahtzaun statt an der Grenze zu Kroatien an jener zu Österreich brauchen. Für die Deportationen wird die neue Grenzschutzeinheit Puma sorgen, die Wien vergangene Woche pompös bei einer Großübung vorgestellt hat. Die Übung scheint nun nicht mehr übertrieben und die düsteren Vorhersagen scheinen Wirklichkeit zu werden, jetzt, wo Deutschland nicht mehr mitmacht. Und wo ist hier die europäische Lösung der Migrationskrise? Das weiß nicht einmal mehr Kommissionschef Jean-Claude Juncker.“
Europas Gründerväter werden verraten
La Repubblica fühlt sich durch die jüngsten Entwicklungen an die dunkelste Vergangenheit erinnert:
„Dass die Union, die heute zur Festung wird, nur mehr reine Fiktion ist, das ahnten wir bereits nach dem Ratstreffen letzte Woche in Brüssel. Als die 27 eine leere Schachtel als Migrationsabkommen verkauften, in die jeder Regierungschef bei seiner Rückkehr das packte, was er wollte, um die jeweilige öffentliche Meinung abzuspeisen. Jetzt ist es noch klarer. Europa existiert nicht mehr. Doch Salvinis 'Neues souveränistisches Italien', eben noch Anstoß dieses dramatischen Zerfallprozesses, könnte schon morgen das erste Opfer werden. Sogar in Deutschland hat Bundeskanzlerin Merkel ihrem Innenminister das europäische Ideal von Adenauer und den Gründervätern geopfert. ... Die 'geschlossenen Transitzentren' erinnern auf unheimliche Weise an Konzentrationslager.“
Bayern macht EU erpressbar
CSU-Chef Seehofer fügt der EU großen Schaden zu, klagt Kauppalehti:
„Es wird weder in Brüssel noch in Berlin zugegeben, das ist klar. Aber dennoch: Eine Partei, die ein deutsches Bundesland regiert, hat sowohl die EU als auch Bundeskanzlerin Merkel in die Knie gezwungen. … Auch wenn die asyl- und migrationspolitischen Lösungen auf halbem Wege steckenbleiben, so wird das Theater der vergangenen Tage die EU grundlegend verändern. … Künftig kann sich ein einzelner, ob klein oder groß, noch unbekümmerter als bisher gegen alle anderen stellen, wenn ihm danach ist und der eigene, kurzsichtige Vorteil dies verlangt. Wenn man zulässt, dass ein deutsches Bundesland alle anderen Mitgliedsländer und die gesamte EU-Bürokratie erpressen kann, können dies auch Ungarn oder Polen.“
Seehofer und Kurz treiben Europa vor sich her
Die Populisten haben sich ein weiteres Mal durchgesetzt, analysiert De Morgen:
„Horst Seehofer ist der soundsovielte europäische Politiker, der die Grenze zum Populismus überschritt. Als ob er an einem süchtig machenden Trumpschen Zaubertrank genippt hätte, der blühende Wähler-Landschaften verspricht. ... Konservative Politiker treiben mit radikal-rechten Parolen die gesamte europäische Politik an riskante Wendepunkte. Der Fokus verlagert sich von Merkel immer weiter zum österreichischen Kanzler Kurz, dem Souffleur des neuen Europa. ... Grenzkontrollen drohen die ganze europäische Einigung zunichte zu machen. ... Dennoch wird der Unsinn solcher Ideen kaum benannt, aus Angst vor dem Zorn des Volkes.“