Machtkampf bei Ryanair
Bei Ryanair hat am Freitagmorgen der bislang härteste Pilotenstreik begonnen. Nach dem Ausstand des Kabinenpersonals vor zwei Wochen legten nun Piloten in Deutschland, den Niederlanden, Schweden, Belgien und Irland die Arbeit nieder. Nun wird es eng für die Unternehmensführung, glauben Journalisten und schieben auch Brüssel eine Mitschuld an der Krise des irischen Billigfliegers zu.
Auch Brüssel muss seine Hausaufgaben machen
Dass die EU eine Mitschuld an der prekären Lage der Billigflieger-Beschäftigten trägt, betont El Mundo:
„Eine Lücke in den europäischen Gesetzen ist Grund für den Streik der Ryanair-Piloten in fünf europäischen Ländern. Das geht aus einem Dokument des internationalen Dachverbands der Transportgewerkschaften (ITF) hervor, das dieser Zeitung vorliegt. Das Unternehmen nutzt diese Lücke aus, um Piloten und das oft über Zeitarbeitsfirmen vermittelte Kabinenpersonal nach irischem Recht anzustellen, anstatt auf Grundlage des Arbeitsrechts des jeweiligen Landes, in dem der Großteil der Arbeitszeit erbracht wird. Brüssel muss diese Gesetzeslücke dringend schließen. Und zwar sowohl, um die Stabilität der Unternehmen zu garantieren und ihre Mitarbeiter zu schützen, als auch um für das Wohl der Verbraucher zu sorgen.“
O'Learys Drohung wenig glaubwürdig
La Croix sieht die Macht der Unternehmensführung von Ryanair schwinden:
„Die Firmenleitung versucht, das Geschäftsmodell zu bewahren, das zum Erfolg des Unternehmens geführt hat, und die Kosten weiterhin so niedrig wie möglich zu halten. Die Firma ist äußerst rentabel: 309 Millionen Euro Gewinn hat Ryanair im ersten Quartal 2018 verzeichnet, was im Vergleich zum Vorjahreszeitraum allerdings einen Rückgang darstellt. … Auf den Unmut der Mitarbeiter hat Ryanair-Chef Michael O'Leary bereits mit massiven Jobverlagerungen [nach Polen] gedroht. Die Drohung ist wenig glaubhaft für diejenigen, die wissen, dass er im Januar Gewerkschaften zulassen musste, um eine Kündigungswelle zu verhindern. All dies zeigt, dass die Strategie der Kostensenkung selbst in einem so stark umkämpften Sektor nicht endlos auszureizen ist.“
Hier zeigen sich Europas Widersprüche
Die Krise beim irischen Billigflieger erlaubt einen Einblick in die zerrissene Seele der Europäer, kommentiert L'Echo:
„Der Fall Ryanair fasst gut die aktuelle Gesinnung zusammen: Gebt den Europäern Brot und Lowcost-Angebote, dann sind sie glücklich. Was will das Volk? Jobs vor der Haustür und nachgeworfene Reisen. In gewisser Weise illustriert die soziale Krise bei Ryanair die Gefahren des europäischen Modells. Denn den Spottpreisurlaub muss auch irgendjemand bezahlen! Was kümmert's uns schon, wenn dafür der Wunsch der Beschäftigten nach Selbstentfaltung draufgeht? Und wir fügen noch hinzu: Was kümmert's uns, dass die existentielle Herausforderung für unsere Generation - zu verhindern, dass die Erde zu einer Backröhre wird - ignoriert wird? In gewisser Weise veranschaulicht Ryanair die gesamte Widersprüchlichkeit Europas.“
Tarifvertrag ist überfällig
Für den Tagesspiegel ist es nur verständlich, dass sich die Piloten wehren:
„Sie verdienen nicht nur deutlich weniger als ihre Kollegen bei tarifgebundenen Airlines. Oft haben sie gar keinen arbeitsrechtlichen Schutz. Auf dem Papier arbeiten viele als Selbstständige, die von Ryanair angeheuert werden. Die Airline führt für sie keine Sozialversicherungsbeiträge ab und kann auch jederzeit den Einsatzort ändern. ... Ein Tarifvertrag mit vernünftigen Konditionen ist daher überfällig. Dass es geht, zeigt die Konkurrenz, etwa Easyjet. Das Unternehmen schafft es, günstige Flüge anzubieten und dennoch seinen Beschäftigten Tarifgehälter zu zahlen.“
Wird der Wettlauf Richtung Abgrund gestoppt?
Aftonbladet sorgt sich, dass Arbeitsbedingungen wie bei Ryanair sich immer stärker verbreiten:
„Die schwedischen Piloten von Ryanair haben keinen Anspruch auf eine vertragliche Rente, Krankengeld und schwedische Arbeitszeitregelungen und wollen mit dem Arbeitgeber Tarifverträge abschließen. Der Arbeitgeber ist daran aber nicht interessiert. ... Ähnliches zeichnet sich auf dem gesamten Arbeitsmarkt ab. Der ungleiche Wettbewerb wird schlimmer, immer weniger Arbeit wird durch Tarifverträge abgedeckt, und wir sehen, wie durch Sozialdumping ganze Branchen zusammenbrechen. Unterschiedliche Standorte werden gegeneinander ausgespielt, Mitarbeiter gegen Mitarbeiter, im Wettlauf Richtung Abgrund. Gewerkschaftliche Organisation und Zusammenarbeit sind die besten Instrumente, um angemessene Gehälter, gute Arbeitsplätze und faire Arbeitsbedingungen zu erreichen.“
Verbraucher und Beschäftigte Seite an Seite
In Spanien, wo im Juli das Kabinenpersonal von Ryanair streikte, haben sich betroffene Passagiere in einem Verband zusammengeschlossen, um gemeinsam Entschädigungen einzuklagen. Kollektive Aktionen wie diese könnten das Geschäft der Lowcost-Anbieter verändern, hofft La Vanguardia:
„Sollte der Aufstand der Verbraucher wirklich Erfolg haben, könnte er zum entscheidenden Faktor bei der Entwicklung der Billigfluglinien werden und sie zur Verbesserung ihrer Angebote zwingen. Das könnte freilich auch den Nebeneffekt steigender Preise haben, da für ein besseres Angebot auch das Personal besser bezahlt werden muss. ... Die Summe aus beiden Bewegungen - der Verbraucher und des Personals - zwingt zur Evolution des Konzepts der Billigflüge und der Firmenstrategien ihrer Anbieter.“
Billiges Reisen hat seinen Preis
La Libre Belgique hat Verständnis für den Unmut der Ryanair-Beschäftigten:
„Die Gehälter sind niedrig, sozialen Schutz gibt es fast gar nicht, das Arbeitsklima ist unerträglich, wenn nicht gar unmenschlich. … Das Personal ist gezwungen zu schweigen, da die Verträge auf irischem Recht und nicht auf dem lokalen beruhen. Es spricht für sich, dass die Ryanair-Mitarbeiter neben einer Lohnanhebung vor allem Respekt fordern. … Ryanair bringt die Menschen nicht mehr zum Träumen. Das Unternehmen hat das Reisen für eine große Mehrheit möglich gemacht. Es hat aber auch die anderen Fluggesellschaften dazu getrieben, ihre Preise zu senken. Doch welchen sozialen Preis hat das Ganze?“
Ryanair-Frechheiten gemeinsam kontern
Angesichts der Streiks hat Ryanair angekündigt, Jobs nach Polen zu verlagern. Die Beschäftigten müssen ihre Arbeitskampf-Strategie anpassen, mahnt Le Soir:
„Sie haben die Abgründe des Arbeitskampfes vor Augen, denn sie kämpfen gegen einen Experten des Grundsatzes 'teile und herrsche'. So lange es gelingt, Besatzungen in einem Land zu mobilisieren, um die Forderungen der Besatzungen in einem anderen zu durchkreuzen, bleibt das soziale Europa ein Katz- und Mausspiel. ... Vor allem aber werden die Forderungen den Status der Amateurhaftigkeit nicht überwinden, solange die Ansprüche der Piloten nicht besser mit denen des Kabinenpersonals koordiniert werden.“