Droht nach Bolsonaros Wahl ein Flächenbrand?
Der Sieg des Rechtsradikalen Jair Bolsonaro bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien lässt Journalisten nicht los. Sie fürchten, dass von dem lateinamerikanischen Land nun eine Ansteckungsgefahr ausgeht und erklären, warum all das auch Europa etwas angeht.
Bald könnte Blut fließen
Dass sich in Brasilien ein Klima des Hasses breitmacht, befürchtet Ilta-Sanomat:
„Die Gefahr darf nicht unterschätzt werden. Der ehemalige Berufssoldat trauert der Militärdiktatur nach. Ziele seines Hasses sind Schwule und die indigenen Bevölkerungsgruppen. Und wie in den USA zu sehen ist, folgen auf Hassreden Hasstaten. ... Die Entwicklung der südamerikanischen Großmacht strahlt auf die kleineren Nachbarn aus. Die Anhänger von Diktaturen können sich bestärkt fühlen. Alte Wunden könnten sich rasch öffnen und bald könnte echtes Blut fließen. In Brasilien nimmt die Spaltung zwischen den sich gegenseitig hassenden Rechten und Linken zu. Anstatt im Parlament könnten Differenzen auf der Straße ausgetragen werden.“
Die Hoffnung ist stärker als die Angst
Ein weiteres Land auf Abwegen – so kommentiert Phileleftheros die Wahl in Brasilien:
„Verwirrung, Enttäuschung und die Hoffnung auf Veränderung bringen die Wähler dazu, umstrittenen Populisten eine Chance zu geben, die bereit sind, gegen alle Prinzipien der Demokratie zu verstoßen. Wir haben es in den USA gesehen, in Italien, Ungarn und auf den Philippinen. Nun ist Brasilien auf demselben Weg. Die Wähler glauben, dass ihr Land über mächtige Institutionen verfügt, die einer Belastung standhalten können, und dass die Angst vor dem, was der neue Präsident tun wird, übertrieben ist. Hoffentlich ist es so. Doch sehr wahrscheinlich wird die Realität sie eines Besseren belehren.“
Liberale Kräfte in Brasilien unterstützen
Zur Einmischung in Brasilien ruft Politiken auf:
„Weil Brasilien so ein großes Land ist, ist das Risiko groß, dass andere Teile des Kontinents durch diese extreme Rechtswendung 'angesteckt' oder politische Spannungen erzeugt werden. Und Bolsonaros Drohung, Trump zu folgen und aus dem UN-Klimaabkommen auszutreten oder den brasilianischen Regenwald der kommerziellen Nutzung preiszugeben heißt, dass die Wahl der Brasilianer eine Wahl ist, die die ganze Welt berührt. Danach muss sich unsere Politik richten. Dänische und europäische Politiker müssen Druck auf Brasilien ausüben, damit es im Abkommen bleibt und den Regenwald schont. Und wir müssen die Kräfte unterstützen, die die liberalen Werte und die Bürgerrechte in Brasilien verteidigen, denen Bolsonaro den Krieg erklärt hat.“
Beängstigende Kehrtwende
Auf einen gefährlichen Politikwechsel stellt sich Le Monde ein:
„Brasilien ist soeben hinzugekommen zu der sowieso schon langen Liste der Länder überall auf der Welt, die in den National-Populismus gerutscht sind. ... Diese gefährliche Dynamik wird rasch konkrete Auswirkungen auf Brasilien haben. ... Der neue Staatschef wird sich wohl der Position der USA anschließen, was Israel und Venezuela betrifft. Und dann hat er versprochen, dass Brasilien in seiner Amtszeit aus dem Pariser Klimaabkommen austreten wird und die nationale Agentur schließen, die die Zerstörung des Waldes und die Grenzen des Landes der Ureinwohner kontrolliert. Für Brasilien, das Amazonasgebiet und den Planeten ist das eine sehr beunruhigende Rückkehr zu alten Zeiten.“
Nicht für Bolsonaro, sondern gegen Korruption
Die scheinbaren Widersprüche der Wählerentscheidung versucht Expressen aufzulösen:
„Es stimmt optimistisch, dass der Anteil derer, die die Demokratie höher schätzen als die Diktatur, in Brasilien nie größer war. Das zeigt, dass eine große Gruppe von Wählern Bolsonaro nicht wörtlich verstehen will. Und das würde erklären, wieso er trotz seiner extremen Äußerungen auch von Frauen und Minderheiten große Unterstützung erhalten konnte. Viele stimmten nicht in erster Linie für Bolsonaro, sondern gegen die lange regierende Arbeiterpartei, Sicherheitsprobleme und Korruption. Die Angst vor den etablierten Politikern war größer als die Angst vor einem rechten Kandidaten.“
Wirtschaft wird Agenda entschärfen
Einen differenzierten Blick auf Jair Bolsonaro empfiehlt Mandiner:
„Eines von Bolsonaros Hauptversprechen ist es, das Land politisch zurück ins atlantische Lager zu führen und das Chaos, das die Arbeiterpartei hinterlassen hat, mit neoliberalen Wirtschaftsideen der Chicagoer Schule zu beantworten. Damit gewann er auch die Unterstützung der Wirtschaft - die die praktische Umsetzung von Bolsonaros unorthodoxen Träumen zweifellos begrenzen wird. Jair Bolsonaro ist nicht von den abgerutschten, verarmten Massen der Globalisierungsverlierer gewählt worden, sondern im Gegenteil von der aktiven unteren und oberen Mittelschicht, die Brasilien auf ihrem Rücken trägt und sich nach Ordnung sehnt. Mit den üblichen populistischen Anti-Establishment-Attributen lässt sich der brasilianische Wahlsieger nicht zutreffend beschreiben.“
Warum auch die Arbeiterpartei gewonnen hat
Dass diese Wahl Brasiliens Arbeiterpartei (PT) die Chance gibt, sich neu zu gründen, glaubt Público:
„Die gleiche Wahl, die Bolsonaro nun an die Macht führt, ist auch diejenige, die der PT die Führung der Opposition übergibt. In dieser Hinsicht werden beide politischen Kräfte ihre Ziele erreicht haben. ... Nachdem die konservative Partei des Noch-Präsidenten Michel Temer (MDB) und insbesondere die sozialdemokratische Partei PSDB nun stark geschwächt sind, wird sich ein bedeutender Teil der Opposition - im Kampf für die Demokratie und gegen den Autoritarismus - um die PT scharen. Und die PT wird Bolsonaro nicht nur im Kongress, sondern auch auf den Straßen das Leben schwer machen.“
Der brasilianische Trump
Die Wähler hoffen vor allem auf einen Neuanfang, analysiert El Periódico de Catalunya:
„Brasilien hat jetzt seinen eigenen Trump-Abklatsch. Der Enttäuschung und Überraschung derjenigen, die einfach nicht wahrhaben wollen, dass dies die Mehrheitsentscheidung der Bürger ist, steht eine Art politischer Realismus gegenüber. Hauptwunsch ist, die üble Blockade im Land zu überwinden. Unter wessen Führung das geschieht, ist dabei nebensächlich. ... Die Wahl wurde durch den starken Wunsch der Brasilianer entschieden, das Vergangene durch eine kollektive Katharsis zu überwinden, ohne sich allzu große Sorgen darüber zu machen, welcher Schöpfergott dies bewerkstelligen soll.“
Angst vor einem Déjà-vu
Für Brasilien markiert diese Wahl eine echte Zäsur, erklärt der Tagesspiegel:
„Brasilien rückt damit in die wachsende Riege der Länder ein, die von autoritären Männern regiert werden, die Konsens und Diskussion als störend empfinden und sich selbst für unfehlbar halten. … Warum sich die Brasilianer für Bolsonaro entschieden haben? Wegen eines Staats, der unfähig erscheint, Probleme wie Kriminalität, fehlende Bildung und schlechte Gesundheitsversorgung zu lösen. Wegen einer korrupten politischen Klasse. Und wegen der fehlenden Aufarbeitung der Militärdiktatur. Die Angst geht um, dass Brasiliens Geschichte sich nun wiederholen könnte.“