Zankapfel Gibraltar: Brexit-Vertrag gerettet
Bis zuletzt hatte der spanische Premier Sánchez gedroht, den Brexit-Deal platzen zu lassen, dann stellte sich die EU hinter Madrid: Gibraltar wird aus den künftigen allgemeinen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU ausgeklammert und alle Entscheidungen benötigen zunächst die Zustimmung Madrids. Doch spanische Medien sind wenig begeistert.
Politische Komödie
Die Einigung ist für eldiario.es ein diplomatischer Scheinerfolg:
„Premier Sánchez hat Recht, wenn er sich den politischen Erfolg zuschreibt und bestätigt, dass nun alles geklärt sei und die EU künftig nicht ohne Spaniens Einvernehmen zu Gibraltar verhandeln könne. Theresa May hat Recht, wenn sie sagt, dass sich nichts geändert hat, denn nach wie vor hängt alles vom politischen Willen Großbritanniens ab und der ist und bleibt bei null. ... Auch Sie haben Recht, wenn Sie vermuten, dass da viel hin und her diskutiert wurde, um schließlich wieder am Ausgangspunkt zu landen. Denn genau das ist passiert. ... Aber unterhaltsam war es, das stimmt.“
Nichts weiter als ein unwürdiges Steuerparadies
El País wundert sich über das Aufsehen, das die kleine Halbinsel immer wieder verursacht:
„In der derzeitigen geopolitischen Lage ist Gibraltar nichts weiter als ein pathetischer Rest hinfälliger Ambitionen vergangener europäischer Imperien. Seine wirkliche Bedeutung liegt in dem unwürdigen Zustand als Steuerparadies. Damit lassen sich der Reichtum und die Arbeitsplätze erklären, die der Felsen den Menschen aus dem Umland bietet. Solange die internationale Gemeinschaft Steuerparadiese duldet, wird Gibraltar für Spanien als Arbeitsmarkt wichtig bleiben. ... Jedes Abkommen, das Arbeitsplätze sichert, ist gut. Aber das war's dann auch schon.“
Hände weg von unserem Felsen!
Dass Spanien bei Gibraltar auf ein Veto-Recht pocht, empört The Sun:
„Gibraltar wird von Briten bewohnt, die sich bei Abstimmungen und Wahlen jedes Mal ganz klar dafür aussprechen, britisch zu bleiben. Die Spanier haben auf Gibraltar nicht mehr Anspruch als auf Portugal. Doch das ist noch nicht alles. Das Verhalten der Spanier ist ein weiterer Grund, warum wir froh sein sollten, die EU endlich loszuwerden. Ein weiteres großmäuliges, bankrottes und schlecht verwaltetes Land, das versucht, uns Vorschriften zu machen. ... Dass Spanien Großbritannien Weisungen erteilt, ist ungefähr so, als würde El Salvador den USA erklären, was diese tun dürfen und was nicht. ... Wir sollten den Spaniern klar sagen, dass der Status von Gibraltar nicht verhandelbar ist, solange die Mehrheit der Bewohner britisch bleiben will.“
Warum Spanien an Gibraltar hängt
Wer glaubt, dass Spaniens Premier Pedro Sánchez mit Gibraltar von aktuellen innenpolitischen Problemen ablenken will, der täuscht, erklärt Der Standard:
„Wenn er im Zusammenhang mit Gibraltar vom 'Wesen unserer Nation' redet, ist dies auch so gemeint. Es gibt in Spanien Tabuthemen, an denen - zumindest bei den großen Parteien - keiner rütteln kann, darf und will. Der Anspruch auf Gibraltar gehört ebenso dazu wie die Verteidigung der Monarchie und der nationalen Einheit Spaniens. ... Es sind diese ewigen Werte, die in Madrid oft die Politik erschweren. Nur wer dies versteht, begreift letztendlich auch, warum Madrid keine Lösung für einen anderen Konflikt findet, nämlich den um die Unabhängigkeit Kataloniens. Einem Referendum in beiderseitigem Einverständnis steht ebenfalls das ewige Spanien im Weg.“
Auch May sollte Chance zum Nachverhandeln nutzen
Offensichtlich ist das Brexit-Abkommen noch nicht in Stein gemeißelt, bemerkt The Daily Telegraph:
„Es ist völlig normal, dass die an den Verhandlungen Beteiligten bis zur letzten Minute vor der Unterzeichnung auf weitere Zugeständnisse drängen. ... Weil Spanien und die übrigen EU-Staaten immer noch Zugeständnisse fordern, sollte Theresa May weiter für die britische Sache kämpfen. So zu tun, als wäre das Abkommen in Stein gemeißelt, während die EU versucht, es in ihrem Sinne umzuschreiben, wäre ein ernstes Pflichtversäumnis. Die Regierungschefin mag erpicht darauf sein, das Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, damit sie es an die Briten verkaufen kann. Doch wenn sie nicht weiter Druck macht, wird sie am Ende mit einem schlechteren Deal dastehen, als dem, dem sie zugestimmt hat.“
Spaniens späte Erkenntnis
Dass Spanien sein Interesse an Gibraltar nicht rechtzeitig verteidigt hat, ärgert El Mundo:
„Falls May am Sonntag noch am Leben ist, werden 20 Länder, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, über das Brexit-Abkommen entscheiden. Mit oder ohne Spanien. Gibraltar, Kolonie und de facto Steuerparadies, könnte Artikel 184 [des Brexit-Vertragwerks, der keine bilateralen Verhandlungen zu dem Thema vorsieht] zum Verhängnis werden. Das steht fest, seit der Text des Abkommens bekannt ist. Jetzt, eine Woche später, regen sich [Premier Pedro] Sánchez und [Außenminister Josep] Borell darüber auf, gestikulieren und fordern Zugeständnisse - wo sie doch die Gelegenheit hatten, das Thema während der Verhandlungen auf den Tisch zu bringen. Oder war im Verhandlungsteam etwa kein einziger Spanier?“
Britische Selbstisolation ist Chance für Irland
Irland sollte vom Brexit abgeschreckte Investoren und Unternehmen mit offenen Armen empfangen, rät Ökonom und Blogger David McWilliams:
„Mit dem Brexit bietet uns Großbritannien eine weitere Gelegenheit, unser Image eines offenen, handelsfreundlichen, einladenden und schlauen Landes zu stärken, das nicht von einem selbsttäuschenden, nationalistischen Mythos der Besonderheit belastet ist. Der Brexit ist ein Angriff auf die Globalisierung. Investoren werden das nicht vergessen. ... Im Vergleich zu Großbritannien wirkt Irland wie eine Oase der Vernunft. Daher bietet der Brexit Irland eine unvergleichliche wirtschaftliche Chance. Wir sollten mit beiden Händen zugreifen und diese nutzen, sonst werden es andere tun.“