Flüchtlinge in Malta an Land: Ende gut, alles gut?
Die Flüchtlinge, die seit Wochen auf Rettungsschiffen vor der Küste Maltas ausgeharrt hatten, konnten am Mittwoch an Land gehen. Von dort sollen sie auf acht EU-Staaten aufgeteilt werden. Die Angelegenheit ist für Kommentatoren aber noch längst nicht abgeschlossen.
Geiseln eines gelähmten Europas
Der glückliche Ausgang kann über das unsägliche Versagen der EU kaum hinwegtäuschen, schimpft Avvenire:
„Ganz gleich, wie man darüber denkt, und welche Strategie man für die beste beim Thema Migration hält, ist es unzulässig, Dutzende verzweifelte Menschen, einschließlich Frauen und Kinder, mehrere Tage lang als Geisel zu nehmen. Es ist nicht zulässig für die Würde der Menschen und die Würde Europas selbst, dass es jedes Mal in eine Krise gerät, wenn ein humanitäres Problem auftritt, das eine gemeinschaftliche Lösung erfordert.“
Flüchtlingsverteilung mit Veto erzwingen
Malta und die anderen südlichen EU-Staaten müssen endlich mehr Druck aufbauen, fordert The Malta Independent:
„Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ständig wiederkehrende Situationen, für die es nur eine Lösung geben kann: Fest etablierte Mechanismen zur verantwortlichen Teilung der Lasten innerhalb der EU. Denn es muss klar sein, dass die betroffenen Flüchtlinge nicht notwendigerweise Malta, Italien oder Spanien als Zielländer haben. Sie wollen in die gesamte EU, wo sie glauben, dass sie Zuflucht finden. ... Warum treffen wir die EU nicht dort, wo es ihr weh tut? ... Malta und andere Mitgliedsländer an der Außengrenze der Union könnten mit einem Veto drohen und Solidarität sowie eine Lastenteilung einfordern. Andernfalls würden Einigungen in anderen Fragen blockiert.“
Endlich die Aufnahmezentren einrichten
Die EU muss endlich ihre längst beschlossenen Vorhaben umsetzen, drängt Savon Sanomat:
„Eine nachhaltige EU-Migrationspolitik sollte weiterhin Anreize vermeiden, die verzweifelte Menschen dazu bringen, auf die wackeligen Boote der Schlepper zu steigen. … Auf dem EU-Gipfel im Juni wurde die richtige Entscheidung getroffen, sowohl in den Mitgliedsstaaten als auch außerhalb der EU Aufnahmezentren zu gründen. … Um das Schleppergeschäft zu stoppen, sollten diese Zentren eher an der Süd- als an der Nordküste des Mittelmeers eingerichtet werden, dort ist allerdings auch ein einheitliches Aufnahmeverfahren nötig. Wegen der ernsten Menschenrechtslage in den nordafrikanischen Krisenstaaten sollten die Zentren von der EU verwaltet werden.“
Angst vor dem Präzedenzfall
Europa hat die Achtung vor Menschenleben gänzlich verloren, empört sich der Schriftsteller und Journalist Paolo Di Stefano in Corriere della Sera:
„Seit Wochen erleben wir das widerwärtige Schauspiel, in dem 49 Menschenleben auf einen internationalen Schlagabtausch reduziert werden, auf Schuldabwälzung, auf numerische Berechnungen, auf diplomatische Vorsicht und die Sorge darum, 'keinen Präzedenzfall schaffen' zu wollen. Die Rettung der Armen, die vor Kriegen oder dem Elend in ihren Ländern fliehen, wäre für die einzelnen europäischen Staaten, die gerade ausgiebig Weihnachten, Silvester und das Dreikönigsfest gefeiert haben, ein unverzeihlicher Präzedenzfall. Denn die Rettung eines Menschen könnte bedeuten, in Zukunft zu viele retten zu müssen. Und eine solche Verantwortung will im Moment niemand übernehmen. Also, lieber keinen als zu viele.“
Scheinheilige Christen kennen keine Menschlichkeit
Auch The Malta Independent ist empört:
„Genug ist genug. ... Malta wird seinen klar deklarierten Standpunkt in dieser Frage auf internationaler Ebene nicht untergraben, wenn es diese 49 Flüchtlinge aufnimmt. Im Gegenteil, das schwer beschädigte Image des Landes könnte aufgebessert werden, wenn wir mehr Menschlichkeit zeigten. Es ist geradezu obszön, dass dieser Tage im katholischen Malta mit vielen Umzügen der Heiligen Drei Könige gedacht wurde, während diese 49 Flüchtlinge vor Maltas Küste gegen hohe Wellen und Kälte kämpfen mussten. Einer der Unglücklichen war sogar derart verzweifelt, dass er ins Meer sprang, um an Land kommen zu können.“
Die Rechtsextremen haben schon gewonnen
Für Público ist das politische Gezerre um das Schicksal der Flüchtlinge äußerst vielsagend:
„Maltas Premier Joseph Muscat hat am Sonntag deutlich gemacht, dass das Land mit dem Anlegen der Schiffe keinen Präzedenzfall schaffen wolle. ... Muscat ist seit zehn Jahren Vorsitzender der sozialdemokratischen Malta Labour Party (die zur sozialistischen Familie des EU-Parlaments gehört) - nicht einer rechtsextremen Partei. Doch in diesem Europa, in dem die Rechtsextremen erstarken und die traditionellen Parteien schlucken, die einst humanistische Werte teilten, hat die Panik vor dem Aufschwung des Rechtsextremismus die anderen Parteien selbst rechtsextremer gemacht - auch die von Muscat. Man braucht nicht die Europawahl abzuwarten: Durch die Lähmung Europas und die Eroberung des Bewusstseins, haben die Rechtsextremen bereits gewonnen.“