Brexit-Abkommen: May probiert es ein letztes Mal
Aller guten Dinge sind drei? Am Freitagnachmittag stimmt das Unterhaus nochmals über den von May ausgehandelten Brexit-Deal ab. Weil die Erklärung über die künftigen Beziehungen zur EU ausgeklammert wurde, erlaubte der Parlamentschef ein drittes Votum. Damit dieses nicht scheitert, bot May ihren baldigen Rücktritt an. Doch dass diese Taktik aufgehen könnte, ist laut Kommentatoren nicht gesagt.
Nervenstarker Stunt
May könnte am Ende als Heldin aus dem Brexit-Drama herausgehen, glaubt Die Presse:
„Da unternahm Theresa May die Quadratur des Kreises, oder, um es mit dem 'Times'-Kolumnisten Hugo Rifkind zu sagen, sie versuchte, den Briten ein U-Boot aus Käse zu liefern, da man ihnen nun einmal ein U-Boot aus Käse versprochen hatte. May hat etwas herbeigeschafft, was einem Unterseeboot aus Käse so ähnlich ist wie möglich - und muss jetzt den Briten erklären, dass sie nichts Besseres kriegen. Wenn ihr das mit ihrem jüngsten Stunt doch noch gelingen sollte, wird sie als nervenstarke Verhandlerin in die Geschichte eingehen, die sich obendrein für ihre Überzeugungen geopfert hat. Wenn nicht, als Witzfigur. Der Grat ist schmal, sehr schmal, und wir sollten uns, bevor wir in kollektives Hohngelächter ausbrechen, dessen bewusst sein.“
Rücktrittsangebot war ein Fehler
Wie May es noch schaffen will, ihren Deal durchzubringen, fragt sich hingegen Der Bund:
„Eine Gruppe unbeirrbarer Tory-Hardliner, die sich 'die Spartaner' nennen, hat sie nicht mal mit ihrem Rücktrittsangebot zu beeindrucken vermocht. Und die nordirischen Unionisten wollten gestern noch immer nicht mitziehen. Sie blieben allerdings mit der Regierung 'im Gespräch'. Labour-Leute wiederum, die zuvor ein Einlenken erwogen, beginnen auf einmal, sich Boris Johnson als künftigen Premierminister auszumalen. Mays Rücktrittsversprechen, ihre theatralische 'Selbstaufopferung', könnte sich so als kontraproduktiv erweisen - und nicht nur als vergebliche Müh.“
Die Stunde der Aasfresser
Im Brexit-Prozess verfolgen die Entscheidungsträger nur ihre eigenen Interessen und nicht die ihres Landes, kommentiert Helsingin Sanomat:
„Am Dienstag versprach May ihren Rücktritt, falls ihr Austrittsabkommen angenommen würde. ... Als die Brexit-Befürworter in der konservativen Partei das Versprechen hörten, stellten sich einige hinter Mays Abkommen. ... Ihr Kalkül: Die Zustimmung zu dem Abkommen und der damit verbundene Rücktritt Mays würde ihnen die Chance bieten, die Führung Großbritanniens zu übernehmen. Einer dieser Aasfresser war Boris Johnson, der vorher der Meinung war, dass ein harter Brexit seinen persönlichen Interessen am ehesten entgegenkommen würde. Die Abgeordneten wiederum holten das Land nicht aus der Sackgasse, weil sie fürchteten, dass eine verantwortungsbewusste Entscheidung ihre politische Karriere gefährden könnte.“
Corbyn ist der wahre Verlierer
Mays Taktik schadet vor allem Oppositionsführer Corbyn, betont Público:
„Entgegen aller Prognosen ist es May bei der Probeabstimmung im britischen Unterhaus gelungen, im Rampenlicht zu stehen. ... Nun spielt sie ihren letzten Trumpf aus - und kann durchaus noch gewinnen. ... Die Zweideutigkeit, mit der Corbyn die Brexit-Frage bisher angegangen ist, hat sich als eine Falle erwiesen. Mays Kalkül hat nun alles, um Corbyn zum Stolpern zu bringen. Die Spaltung innerhalb der Labour-Partei war bereits offensichtlich. Dass Corbyn auf der Anti-Brexit-Demo fehlte, war ein weiterer Hinweis auf seinen Mangel an Klarheit und den möglichen Preis, den Labour dafür bezahlen wird. Ein Oppositionsführer, der von Anfang an für Europa eingetreten wäre, hätte einen ganz anderen Diskurs und Elan zeigen müssen.“
Hinter diesem Opfer steckt keine Strategie
Was Theresa Mays Schritt bringen soll, ist Kolumnist Gerardo Morina in Corriere del Ticino unklar:
„Um die Befürchtung auszuräumen, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ohne Einigung erfolgt, setzt die Premierministerin alles auf eine Karte und bietet sich als Opfer auf dem Altar des Brexit an. ... Einige schätzen das Opfer zum Wohle der Nation, andere, wie Labour, sehen in der Geste nur eine Reaktion auf die parteiinterne Dynamik der Konservativen. Für diejenigen, die realistisch denken, handelt es sich hingegen um einen eher taktisch denn strategisch klugen Zug. Tatsächlich ist er mehr der Sorge um die Gegenwart, denn um die Zukunft geschuldet, in der sich der Rücktritt von May nur als vorübergehendes Allheilmittel erweisen könnte.“
Es kann nur schlimmer werden
Nach Theresa May wird wohl ein ausgesprochener EU-Gegner das Ruder bei den Tories und in der Regierung übernehmen, fürchtet The Guardian:
„May mag als Premierministerin geistlos agiert haben, doch indem sie das Amt besetzt hielt, verwehrte sie den barbarischen Horden der EU-Hasser den Aufstieg an die Spitze, die sich gegenseitig aus dem Weg rempelten. Nun hat sie diese eine nützliche Rolle aufgegeben und damit das Land jenen ausgeliefert, die versuchen, sich gegenseitig in erbarmungsloser Europa-Feindlichkeit zu überbieten, um die Stimmen der immer weniger werdenden Tory-Mitglieder - noch sind es 12.000 - zu gewinnen. ... Die parlamentarischen Abläufe werden festgefahren bleiben, und der Kampf wird noch härter, wenn ein bekennender Brextremist die Kontrolle übernimmt.“
May schafft es nur mit Brüssels Hilfe
El Mundo warnt vor zu viel Optimismus angesichts Mays Rücktrittsbereitschaft:
„Wir standen im Brexit-Labyrinth schon vor so vielen vermeintlichen Ausgängen, dass man nun keine Prognose mehr wagen will, ob das jetzt die Lösung ist. Es ist aber eine entscheidende Wendung. ... May braucht nun ein - wenn auch noch so oberflächliches - Zugeständnis aus Brüssel, um den Deal erneut dem Parlament vorlegen zu können. Das hatte der Europäische Rat vergangene Woche zugesagt. Und sie muss die entscheidenden nordirischen DUP-Abgeordneten überzeugen. Das dürfte schwierig werden. Der Brexit ist noch nicht vorbei.“
Brexit-Saga geht weiter und weiter und weiter
Die Demütigung Theresa Mays nimmt kein Ende, findet Rzeczpospolita:
„Für einen Moment wirkte es, als würde die endlose Brexit-Saga endlich ein Ende finden. Der Eindruck hielt jedoch höchstens zwei Stunden an. Am gestrigen Mittwoch gegen 21 Uhr Warschauer Zeit hat Arlene Foster, Vorsitzende der Democratic Unionist Party (DUP), verkündet, dass ihre Partei Mays Vertrag niemals unterstützen würde. Dies bedeutet wiederum, dass auch die Mehrheit der euroskeptischen Abgeordneten in der Konservativen Partei, die vom Fraktionsführer Jacob Rees-Mogg angeführt wird, nicht für die von der Regierungschefin ausgehandelten Vereinbarungen stimmen wird. Für die Premierministerin geht die Erniedrigung sogar noch weiter, weil der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, warnte, dass über ihren Vertrag nicht erneut abgestimmt werden kann.“