Estland und Lettland führen Alkoholsteuerkrieg
Estlands neue Regierung hat zum Juli die Alkoholsteuer um 25 Prozent gesenkt und damit eine vor drei Jahren beschlossene Steuererhöhung wieder aufgehoben. Damit will Estland dem Alkohol-Einkaufstourismus in Lettland entgegenwirken. Als Reaktion darauf wird auch Lettland ab August Steuerermäßigungen auf bestimmte alkoholische Getränke einführen. Wie lässt sich der Streit beilegen?
Steuern nicht immer weiter senken
Dass Lettland nun ebenfalls die Steuern senken will, ist keine angemessenen Reaktion, findet Neatkarīgā:
„Natürlich muss sich der Staat um seine Haushaltseinnahmen kümmern. Denn es gibt zu viele unterfinanzierte Bereiche: Medizin, Bildung, Straßenbau, Infrastruktur, Wissenschaft, regionale Entwicklung, Soziales und Armutsbekämpfung. Doch 100 Millionen Euro aus der Alkoholsteuer sind auch nicht die Lösung für alle diese Probleme. Nur ein nicht unbedeutender Beitrag. ... Nach den Wirtschaftssanktionen gegen Russland mussten unsere Unternehmer nach neuen Märkten suchen. Ebenso sollten es jetzt auch die Letten aus der Alkoholbranche tun.“
Zwischen den Fronten
Der Preiskrieg wirkt sich auch auf Finnland aus, gibt Kaleva zu bedenken:
„Jede aus Estland mitgebrachte Flasche oder Dose Alkohol verringert die Steuereinnahmen in Finnland. Die Alkoholsteuer ist für Finnland eine keineswegs zu vernachlässigende Einkommensquelle, denn sie liegt bei 1,5 Milliarden Euro. ... Langfristig kann man nur hoffen, dass Finnland nicht dauerhaft zwischen die Fronten des estnisch-lettischen Alkoholkriegs gerät. Am sichersten kommt man dort heraus, wenn Estland und Lettland irgendwann einmal wieder ihre Alkoholsteuern anheben. Dies kann aber noch Jahre dauern.“
Zusammenarbeit muss besser werden
Fehlende Kooperation ist die Quelle der Spannungen zwischen Estland und Lettland, glaubt der lettische Politologe Veiko Spolitis in Eesti Päevaleht:
„Seit Jahren sind sowohl die Volkswirtschaften als auch die Steuerraten der drei baltischen Staaten ziemlich synchron gewachsen. Die Wirtschaftskommission der Baltischen Versammlung [Organisation zur engeren Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten von Estland, Lettland und Litauen] ist der Ort, wo Meinungsverschiedenheiten diskutiert werden. Und so muss man fortfahren - auch wenn die lettische Regierung aus fünf Parteien fragil ist und die estnische Regierung ebenfalls nicht sonderlich stabil.“
Hoffentlich können die Esten widerstehen
Die Regierung könnte falsche Anreize setzen, warnt Õhtuleht:
„Die Sorge um die öffentliche Gesundheit ist bei der jetzigen Steuersenkung auf Alkohol nicht unangebracht, denn damit gibt der Staat widersprüchliche Signale. Einerseits will er das Trinken begrenzen, mit der Steuersenkung fördert er es aber. Der Anführer des Kampfes gegen Alkohol, Jevgeni Ossinovski, ist als Sozialminister und Parteichef der Sozialdemokraten für seine Schritte jahrelang beschimpft worden, im Nachhinein oft unverdient, wenn man den Rückgang des Alkoholkonsums betrachtet. ... Mit der jetzigen Steuersenkung müssen wir die Daumen drücken, dass billiger Alkohol den Verbrauch nicht wieder steigert, sondern dass die Regierung dem Volk und besonders der Jugend vernünftige Alternativen zum Trinken anbietet.“
Trinktourismus ist kein Geschäftsmodell
In den vergangenen drei Jahren sprossen Alkoholläden im lettisch-estnischen Grenzgebiet wie Pilze aus dem Boden, weil die Esten ins Nachbarland fuhren, um dort günstigen Alkohol zu kaufen. Diena findet, die Letten sollten diesem Geschäft keine Träne hinterher weinen:
„Natürlich wird die gesenkte Alkoholsteuer das Interesse der Esten mindern, Alkoholtourismus in Lettland zu betreiben. ... Die Läden werden geschlossen und es folgt der Verlust von Arbeitsplätzen. ... Aber jeder logisch denkende Unternehmer wusste, dass das ein relativ kurzfristiges Geschäft war. ... Deshalb ist es kindisch, jetzt zu jammern und die Politiker überreden zu wollen, die Steuern auf Alkohol zu senken, um das 'Geschäft' an der Grenze zu retten. Denn das ist doch keine ernsthafte und auf lange Sicht den Wohlstand in der Region fördernde Unternehmertätigkeit.“
Billiger Schnaps zieht immer
Für Finnland könnten die Steuersenkungen in Estland problematisch sein, meint Etelä-Saimaa:
„Ein Steuerwettbewerb zwischen EU-Staaten bringt Finnland in eine schwierige Situation. Bei den Koalitionsverhandlungen in Finnland lag eine Erhöhung der Steuern auf schädliche Produkte auf dem Tisch. Die Steuersenkungen in Estland stellen eine Herausforderung dar. ... Aus Sicht der finnischen Kleinbrauereien wäre es wünschenswert, dass die Steuern für Getränke mit einem geringen Alkoholgehalt nicht drastisch angehoben werden, damit die Wettbewerbsfähigkeit finnischer Produkte erhalten bleibt. … Ein wilder Preisrutsch ist erst einmal nicht absehbar, weil die Lager voll sind mit Getränken, die noch höher besteuert wurden. Die Finnen werden aber dennoch nach Estland fahren. Billiger Alkohol zieht immer.“