Russland stimmt im Europarat wieder mit
Der Europarat hat der russischen Delegation ihr Stimmrecht in seiner parlamentarischen Versammlung zurückgegeben. Er hatte Russland seine Rechte 2014 nach der Annexion der Krim entzogen. Heftiger Widerstand gegen die jetzige Entscheidung kam aus der Ukraine, aber auch aus den baltischen Staaten. War der Schritt richtig?
Uns verbindet nach wie vor vieles
Viel Positives kann Radio Kommersant FM der Rückkehr der russischen Delegation abgewinnen:
„Entscheidend ist, dass weder Russland noch Europa bereit sind, endgültig die Verbindungen zu kappen. Ungeachtet aller Probleme und Herausforderungen verbindet uns nach wie vor zu viel. Außerdem gibt es in der EU jetzt viele verschiedene Strömungen, darunter auch rechte, die Russlands Politik durchaus gutheißen. Und ein Parlament ist bekanntlich ein Ort für Diskussionen und nicht für das Diktat einer Position. Letztlich ist es zudem für unsere heimischen Duma-Abgeordneten wichtig, dass sie mal von ihren tagtäglichen Verbotsbemühungen und sonstigen fortschrittlichen Gesetzen wegkommen, ins Ausland fahren und mit Kollegen sprechen. Dies dürfte sich positiv auf ihr Weltbild und damit auf uns alle auswirken.“
Plattform des Dialogs gerettet
Keinen Sieg Moskaus, sondern einen Sieg der Verständigung sieht auch die Tageszeitung Der Standard:
„Die Verpflichtungen Russlands im Europarat betreffen nicht in erster Linie die Mitgliedsbeiträge, sondern die Einhaltung von Menschenrechten. Ein Austritt hätte die Lage der Zivilgesellschaft in Russland - und auch auf der Krim - nur erschwert. Und auch im Konflikt um den Donbass hätte sich dadurch nichts bewegt. Dieser ist nur politisch zu lösen, das heißt im Dialog mit Russland. Der Europarat ist eine Institution, die in erster Linie dem Dialog verpflichtet ist. Ohne Moskaus Beteiligung wäre nur eine weitere Plattform für Verhandlungen und Gespräche abhanden gekommen.“
So sieht Realpolitik aus
Der Westen braucht einen Modus Vivendi mit Russland, rechtfertigt Lidové noviny den Mehrheitsentscheid des Europarats:
„Die Tatsache, dass Moskau die Krim nicht aufgibt, kann da kein unüberwindbares Hindernis sein. Wir können faire Beziehungen zu Indien und Pakistan haben, ohne die Teilung Kaschmirs anzuerkennen. Faire Beziehungen mit der Türkei, Griechenland und Zypern, ohne die Teilung Zyperns anzuerkennen. ... Weshalb also sollen nicht auch faire Beziehungen mit Russland und der Ukraine bestehen, ohne die Annexion der Krim anzuerkennen? So funktioniert Realpolitik.“
Verrat an der Ukraine
Völlig unverdient findet Russlands Rehabilitierung hingegen Bartosz Kramek von der NGO Open Dialogue Foundation. Er schreibt in Gazeta Wyborcza:
„Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat die beschämende, wenn auch lang erwartete Entscheidung getroffen, die Stimmrechte der russischen Delegation wiederherzustellen. Russland verlor sein Stimmrecht 2014 nach einem Angriff auf die Ukraine. Gemäß der Entscheidung von damals sollte es erst wiederhergestellt werden, wenn der Kreml das Völkerrecht achtet und die Besetzung der ukrainischen Gebiete beendet. Natürlich ist nichts dergleichen geschehen. Der Beschuss und die Beschlagnahmung ukrainischer Schiffe im Asowschen Meer und die Inhaftierung der Besatzungen durch Russland im November letzten Jahres sind nur weitere Beweise für die Eskalation.“
Unlogischer Protest
Die ukrainische Delegation hat nach der Entscheidung des Europarats aus Protest die Sitzung verlassen und will ihre Mitarbeit aussetzen. Für den Politologen Alexej Jakubin ist das ein unnötiger Schritt, wie er in KP schreibt:
„Der Auszug der ukrainischen Delegation hat im Großen und Ganzen keine Bedeutung. Es ist die Aktion einer Parlamentsdelegation, deren Amtszeit zu Ende geht. Nach den Wahlen [in der Ukraine] wird es eine neue Delegation und möglicherweise ein anderes Verhalten im Europarat geben. ... Ein Rückzug aus dem Europarat erscheint auch deshalb unlogisch, weil die Ukraine nicht nur im Europarat, sondern auch anderen internationalen Organisationen wie der Uno und der OSZE gemeinsam mit Russland Mitglied ist. Sollen wir nun auch noch diese Organisationen verlassen? Würde die Ukraine das tun, würde sie sich selbst international ausgrenzen.“