Wie weiter nach dem Klima-Kompromiss?
Zwischen dem Kompromiss des Madrider Gipfels und dem, was Wissenschaftler zum Schutz des Klimas fordern, klafft eine riesige Lücke. Viele Medien Europas sehen den Kampf gegen den Klimawandel aber noch nicht als verloren an. Sie zeigen auf, was jetzt getan werden kann.
Wille zur Veränderung ist groß wie nie
Trotz der enttäuschenden Ergebnisse gibt es nach dem Gipfel durchaus Hoffnungsschimmer, findet Aftonbladet:
„Der Plan zur Berücksichtigung der Geschlechtergleichstellung bei Klimaschutzmaßnahmen wurde strenger gestaltet. Jedes Land soll seine Klimaziele mit Blick auf die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse überprüfen. Auch über COP25 hinaus sind Fortschritte sichtbar: Beispielsweise übernehmen viele global agierende Unternehmen mehr Verantwortung für den Klimaschutz. In den USA haben sich an die zehn Bundesstaaten und viele Städte verpflichtet, am Pariser Abkommen festzuhalten, obgleich Donald Trump dem Abkommen den Rücken kehrte. Die Weltbank, der IWF und die EU tun große Schritte zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Überall auf der Welt brodelt der Wille zur Veränderung.“
Rolle von Staaten wird überschätzt
Auch Keskisuomalainen findet es nicht so schlimm, dass nicht alle Staaten an einem Strang ziehen:
„Nicht alle emissionsverringernden Maßnahmen hängen von Staaten und ihren politischen Entscheidungen ab. Der Ausstoß von Klimagasen hängt auch von den Entscheidungen der Unternehmen, Kommunen und einzelnen Bürgern sowie technologischen Innovationen und Märkten ab. Den größten Einfluss auf alle diese Akteure haben die Staaten und zwischenstaatliche Verpflichtungen, aber insbesondere in demokratischen Ländern können Fortschritte auch ohne die aktive Rolle des Staats erzielt werden.“
Mit guten Beispielen Druck machen
Die handlungswilligen Länder sollten sich vom Ausgang des Gipfels auf keinen Fall entmutigen lassen, findet Politiken:
„Natürlich müssen wir uns für globale Lösungen und Vereinbarungen stark machen. Aber gleichzeitig müssen wir als Nation, als EU zusammenrücken mit gleichgesinnten Ländern, die den Ernst der Klimakrise erkannt haben. Ein Anfang sind die sogenannten San-José-Prinzipien zur Entwicklung eines Quotensystems [zum CO2-Emissionshandel], dem sich Dänemark und 30 andere Länder angeschlossen haben, als das Scheitern in Madrid ein Faktum war. Wir können die Krise nicht alleine lösen, aber wir können - wie das ambitionierte dänische Klimagesetz zeigt - vorangehen und mit der Kraft des guten Beispiels Druck auf die widerstrebenden Länder ausüben.“
Das Klima braucht USA und China
Wirtschaftsexperte Stefano Agnoli setzt in Corriere della Sera all seine Hoffnungen auf einen Machtwechsel nach der US-Wahl im kommenden Jahr:
„Die Wahl 2020 in den Vereinigten Staaten gewinnt an Relevanz. Denn angesichts der bekannten Positionen der derzeitigen Regierung und der schwankenden Beziehungen zu China, wie die Zollfrage gezeigt hat, wäre eine Wiederwahl von Trump aus Sicht der Abkommen über den Klimawandel eine Katastrophe. Nur mit China und den USA kann die Umweltpolitik Erfolge erzielen. Denn nur Washington und Peking können die Kraft haben, die Regeln für einen CO2-Markt auszuhandeln.“
Die UN sind das falsche Forum
Eine klare Schlussfolgerung aus der Madrider Konferenz zieht die Welt:
„Fast 200 Länder auf einen gemeinsamen Kurs einzuschwören ist einfach zu kompliziert. Diejenigen Staaten, denen es ernst ist mit dem Klimaschutz, sollten darum vorangehen – und ehrlich sein, zu sich selbst und zu anderen. Ja, CO2-Emissionen zu vermeiden ist schwierig und – am Anfang – auch teuer. Wenn aber nicht einmal die Länder des Westens mit ihren gut ausgebildeten Ingenieuren, ihren sozialen Sicherungssystemen und ihrem Wohlstand es schaffen, das Pariser Abkommen einzuhalten – wer dann? Zeit zu handeln, lautete das Motto der Klimakonferenz von Madrid. Es gilt weiter.“
Ohne die großen Staaten fehlt die Glaubwürdigkeit
Wenig von der Idee einer Klimaschutz-Avantgarde hält hingegen El Mundo:
„Es ist scheinheilig, dem Normalbürger Gesten in Bezug auf Dieselverbrauch oder Recycling abzuverlangen, solange die Staatengemeinschaft keine ernsthafte, realistische und pragmatische Weise findet, die Klimakrise des Ökosystems in den Griff zu bekommen und die Kosten für die ökologische Wende und die damit verbundene Umstellung von Wirtschaft und Industrie zu tragen. Jetzt, wo die Wissenschaft bewiesen hat, dass der Klimawandel menschengemacht ist, sollte die Energiewende bis etwa 2050 möglich sein. Das setzt ein ernstes Engagement der 200 Staaten voraus; insbesondere der USA, Chinas, Indiens und Russlands als größte Verursacher der Emissionen von Kohlenstoffdioxid, Methan und Distickstoffmonoxid.“
Den Willen der Bürger mutwillig ignoriert
Wieder haben nationale Egoismen Fortschritte verhindert, urteilt The Irish Times:
„Und mehr noch: Das Ergebnis betont die riesige Kluft zwischen Politikern und Menschen aus aller Welt. Die Bürger erwarten zügiges Handeln als Reaktion auf eine sich verschärfende Klimakrise. Es wäre eine Gelegenheit für bitter benötigten Konsens und Solidarität gewesen. ... Viele politische Führer verdienen es, einen hohen Preis für ihr unzureichendes Handeln zu bezahlen – nicht zuletzt die großen Emissionsverursacher wie Brasilien, die USA und Australien. Ihre Oberhäupter sollten geächtet werden, solange sie die Leugnung des Klimawandels stützen und die Nutzung fossiler Brennstoffe sogar noch ausbauen.“
Ein letztes Aufbäumen der Blockierer
Die Staaten, die nach wie vor auf fossile Energieträger setzen, sind eigentlich in einer schwachen Position, glaubt der Tages-Anzeiger:
„Man kann ... den Eindruck gewinnen, als würden sich die Regierungen [der] 'fossilen' Staaten mit letzter Kraft gegen die Zeitenwende wehren. Deren einstiger grosser Einfluss ist längst verloren gegangen. Es ist nur noch eine kleine Minderheit von Regierungen, welche die Wissenschaft immer noch nicht ernst nimmt und die Dringlichkeit, die Emissionen zu reduzieren, verkennt. Diese Minderheit hat in Madrid zwar den Fortschritt der Verhandlungen blockiert. Aber es ist ihr nicht gelungen, dass die Konferenz mit einem faulen Kompromiss als Erfolg verkauft wurde. Die Weltgemeinschaft hat diesmal Stärke bewiesen und eine Schwächung des Pariser Klimaabkommens durch kontraproduktive Beschlüsse verhindert. Insofern kann man den Misserfolg von Madrid auch positiv deuten.“
Wenig fruchtbar, aber trotzdem notwendig
Warum Klimakonferenzen wie die in Madrid trotz enttäuschender Bilanz auch in Zukunft nötig sind, erklärt La Libre Belgique:
„So entmutigend die Lage auch sein mag, überraschend ist sie keineswegs. Sie spiegelt ganz einfach den aktuellen geopolitischen Zustand der Welt wider, der dadurch geprägt wird, dass große Staaten sich bewusst für ein Kräftemessen und einen nationalen Rückzug anstelle von Kooperation und Multilateralismus entschieden haben. Die geopolitischen Gleichgewichte verschieben sich und werden sich weiterentwickeln - sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Da die Klimaherausforderung per Definition ein globales Problem ist, bleiben solche Treffen weiterhin notwendig. Denn sie verhindern ein völliges Abgleiten in die Konfliktspirale, in der jeder sich selbst am nächsten ist.“