Wie gefährlich bleibt USA-Iran-Krise?
Weiter umgetrieben werden Europas Medien von der Frage, ob die Kriegsgefahr in der USA-Iran-Krise nun vorläufig gebannt ist oder nicht. Nach der Tötung von General Soleimani beschoss Teheran vergangene Woche US-Stützpunkte im Irak. Dass Präsident Trump danach erklärte, auf Gegenschläge zu verzichten, deuteten viele Beobachter positiv. Andere wittern aber eher die Ruhe vor dem Sturm.
Soleimani kann neuer Franz Ferdinand sein
Vor den Gefahren eines neuen Kriegs darf Europa nicht die Augen verschließen, mahnt Historiker Nicolas Baverez in El País:
„Nicht nur in Australien steht der Planet in Flammen. Das geopolitische Feuer ist nicht weniger verheerend. Und Europa steht in der direkten Schusslinie. Doch es reagiert mit derselben Blindheit, mit der es in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts auf den leidenschaftlichen Nationalismus oder in den 1930er Jahren auf das Aufkommen des Totalitarismus reagiert hat. Manche Morde können die Geschichte kippen. So wie der Mord an Erzherzog Franz Ferdinand, dem österreichisch-ungarischen Thronfolger, am 28. Juni 1914 in Sarajevo. ... Auch der tödliche Angriff auf General Soleimani - Nummer Zwei der Islamischen Republik und Planer eines Schiitischen Reiches, das sich vom Libanon bis nach Afghanistan erstrecken soll, - könnte so ein Fall sein.“
Trump hat alles richtig gemacht
Unterm Strich hat der US-Präsident mit seiner harten Haltung gegen den Iran recht, lobt die SonntagsZeitung:
„Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass, der Iran ein Brandstifter, der so gut wie alle Nachbarn gegen sich aufgebracht hat, weil er sie bedroht. Der Iran betreibt Terrorgruppen im Libanon und im Irak, er heizt den Bürgerkrieg im Jemen an, er hält das kriminelle Regime in Syrien an der Macht, er destabilisiert die Region, wo immer er kann. ... Die iranischen Theokraten spielen mit dem Krieg, solange sie glauben, damit ihre Ziele zu erreichen. Es war Zeit, sie eines Besseren zu belehren. Der dritte Weltkrieg findet nicht statt, wenn solche Regimes befürchten müssen, ihn zu verlieren.“
USA zerstören den Nahen Osten
Delo sieht ganz andere Akteure am Ursprung der heiklen Lage in der Region:
„Den Nahen Osten haben in Wahrheit die Amerikaner und Israel endgültig auseinandergerissen und mit ihren unsinnigen Eingriffen in Afghanistan und Irak wohl für immer destabilisiert. Allein diese beiden Kriege haben den Steuerzahler fast drei Billionen Dollar gekostet. In den seit fast zwanzig Jahren andauernden Gefechten sind bisher mindestens eine Million Menschen gestorben, darunter auch einige Zehntausend Soldaten. Wer also zerstört mit seinen krankhaften und imperialistischen geopolitischen Ambitionen tatsächlich den Nahen Osten?“
Von wegen Entspannung
Für Times of Malta sprechen etliche Gründe dagegen, dass sich die Lage in der Region nun beruhigen wird:
„Die Ermordung Qassim Soleimanis wird wahrscheinlich zu weitreichenden Vergeltungsmaßnahmen gegen US-Ziele durch Schiiten im Irak, im Libanon, in Syrien sowie im gesamten Nahen und Mittleren Osten führen. Terroranschläge, auch auf US-amerikanischem Boden, sind nicht auszuschließen. Die Hisbollah im Libanon könnte wieder verstärkt Nordisrael beschießen. Möglich sind auch Angriffe in der Straße von Hormus, die 20 Prozent der weltweiten Öltransporte passieren, was zu einem Anstieg der Ölpreise führen würde - mit negativen Folgen für die Weltwirtschaft. Eine derartige Eskalation kann natürlich zu einem offenen Krieg zwischen dem Iran und den USA führen und einen dauerhaften Konflikt in der ganzen Region auslösen.“
Freibrief für Milizen
Pawel Felgenhauer, der Militärexperte der Nowaja Gaseta, sieht die US-Truppen im Irak jetzt stark unter Druck:
„Der Abzug der USA aus dem Irak und später der ganzen Region war ja das Ziel Soleimanis - und davon träumt auch der Rahbar [Irans Revolutionsführer Chamenei]. Trump irrt also, wenn er meint, Teheran hätte klein beigegeben. Der 'Rache-Angriff', bei dem kein einziger Amerikaner starb, war für den Rahbar und die Revolutionsgarden peinlich. Jetzt geben sie ihren Proxy-Kriegern von den schiitischen Milizen im Irak sicher den Befehl, loszuschlagen und den USA eine Art 'zweites Vietnam' zu bereiten. Denn auch die Milizen haben noch ihren Kommandeur al-Muhandis zu rächen. Und die Iraner werden dabei so tun, als seien sie unbeteiligt und die US-Verluste nur das Resultat der Volkswut.“
Erstaunlich klassische Außenpolitik
Überrascht zeigt sich Lidové noviny von den Äußerungen Trumps nach dem iranischen Raketenangriff:
„Viele haben eine harte Antwort erwartet. Doch nichts dergleichen kam. Trump definierte präzise, vernünftige Forderungen an Teheran. Vor allem verlangt er einen Vertrag, damit der Iran wirklich niemals Atomwaffen bekommt und aufhört, Terroristen zu unterstützen. ... Stimmt der Iran zu, will er mit ihm zusammenarbeiten. Wenn nicht, drohen noch härtere Wirtschaftssanktionen. Eine klassische Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Trump hofft, dass das funktionieren wird. Und vor allem auch schnell. Er weiß, dass es nichts mehr zu diskutieren gibt, wenn der Iran erst einmal über die Atombombe verfügt.“
Schmaler Grat der Deeskalation
Vage Hoffnung auf eine Deeskalation bringt USA- Korrespondent Massimo Gaggi in Corriere della Sera zum Ausdruck:
„Der amerikanische Präsident, besessen von der Angst, vor seinen Wählern schwach zu erscheinen, will hart sein, hat aber kein Interesse daran, den Wahlkampf mit Hunderttausenden von US-Soldaten auf den Schlachtfeldern des Nahen Ostens zu führen. Die Ayatollahs wissen, dass sie einen katastrophalen Krieg für alle entfesseln, aber nicht gewinnen können. … In einer nach wie vor explosiven Situation zeichnet sich somit eine mögliche Deeskalation ab. Ein schmaler und verschlungener Weg, der von möglichen indirekten Vergeltungsschlägen des Iran durch die Hisbollah und andere verbündete Milizen bedroht wird, aber auch von unvorhersehbaren Reaktionen Trumps im Falle neuer Racheakte Teherans.“
Nun übernehmen wieder die schiitischen Milizen
Der Gegenschlag des Irans im Irak war eine wohlüberlegte Aktion, analysiert De Telegraaf:
„Er war vor allem gedacht als Show, um der eigenen Bevölkerung, Amerika und dem Rest der Welt zu zeigen, dass der Iran nicht vor der Konfrontation mit den USA zurückschreckt. Der echte Kampf gegen die Amerikaner wird sich aber erneut im Schatten abspielen, wo er bereits seit Jahrzehnten läuft. ... Die wichtigsten Milizen im Irak sagen, dass nun sie an der Reihe sind, die USA anzugreifen. Das Einschalten der Milizen in der Region gegen amerikanische Ziele ist eine Taktik, die Soleimani in den vergangenen Jahren verfeinerte und die wahrscheinlich von seinem Nachfolger fortgesetzt wird. Es gibt Teheran die Möglichkeit zu handeln, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. “
USA und Iran gleichermaßen auf Kurssuche
Nicht nur die US-Innenpolitik wirkt sich auf die Krise im Nahen Osten aus, betont Helsingin Sanomat:
„Als Erklärung für Trumps Handlungen wird häufig auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen verwiesen. Gleichzeitig wird vergessen, dass auch der Iran gespalten ist und im Land um die künftigen Machtpositionen gerungen wird. … Im Iran wird darum gestritten, wer zum Nachfolger des religiösen Führers Ali Chamenei gewählt wird. Chamenei ist 80 Jahre alt und es gibt Gerüchte um seinen Gesundheitszustand. Auch wenn das Volk den Nachfolger nicht wählt, so glauben doch viele potentielle Nachfolger, von einer angespannteren Stimmung im Lande profitieren zu können.“