Krise in Deutschland: Muss Europa bangen?
Das politische Erdbeben in Thüringen und die Richtungssuche der CDU als Symptome, die Frage nach dem Umgang mit der AfD als Gretchenfrage: In Europas Kommentarspalten werden die innenpolitischen Turbulenzen Deutschlands genauestens verfolgt. Denn Journalisten fürchten, dass Europa die Krise in seinem Machtzentrum nur schwer verkraftet.
Stellvertreterkrieg um Deutschlands Zukunft
Die inneren Spaltungen der CDU drohen Deutschland als Führungsmacht in der EU zu lähmen, warnt The Irish Times:
„Die Staats- und Regierungschefs der EU werden Kramp-Karrenbauers Abgang wohl nicht bedauern. Doch sie sollten mit ihren Wünschen vorsichtig sein - sie könnten sich erfüllen. Bei der CDU-Krise geht es im Kern um eine parteiinterne Spaltung hinsichtlich der Frage, wie auf die Bedrohung von Rechtsaußen reagiert werden soll. Sollte die Partei den österreichischen Konservativen folgen und nach rechts schwenken, um den Aufstieg der AfD zu stoppen? Oder sollte sie Merkels Kurs der Mitte beibehalten und die Reaktionäre politisch bekämpfen? Diese qualvolle Debatte ist eine Art Stellvertreterkrieg um Deutschlands Zukunft. Und mit jedem Tag, den die Debatte den größten politischen Block Deutschlands in ihrem Bann hält, wächst das Machtvakuum im Herzen Europas.“
Merkel hat es nicht mehr in der Hand
Plötzlich ist Angela Merkel eine lahme Ente, konstatiert Der Standard:
„Angela Merkel hat sich ... viel vorgenommen: 'ihre' EU-Präsidentschaft als glänzender Abschluss einer langen Kanzlerschaft im Dienst Europas, 2021 solide Übergabe an Annegret Kramp-Karrenbauer. Dieser Traum ist nun über Nacht geplatzt. Nach dem Desaster von AKK steht Merkel selbst plötzlich politisch als lahme Ente da. Egal, wie es in Berlin weitergeht, ob mit raschen Neuwahlen, gar einem fliegenden Kanzlerwechsel zum neuen CDU-Chef, vermutlich Armin Laschet oder Friedrich Merz, oder ob sich die Koalition unverändert über den Sommer dahinschleppt: Merkel steht aus Sicht der EU-Partner für das Vergangene, nicht für dynamische Zukunft. Die Krise in Berlin lähmt auch Europa.“
Diese Krise beginnt nicht im Süden
Efimerida ton Syntakton fürchtet den Ausbruch einer neuen Krise in Europa:
„Die neue sozialdemokratische Parteispitze, die mit einem klaren Mandat nach links gewählt worden war, hat in der Praxis bereits vor der politischen Krise in Thüringen bewiesen, dass sie die Kosten eines Bruchs [der Großen Koalition] nicht tragen wollte und konnte. Das wahrscheinlichste Szenario ist daher, dass Merkels Große Koalition im September 2021 ihr Mandat beendet. ... Eine völlige Destabilisierung der politischen Landschaft in Deutschland in Form einer anhaltenden Krise nach den Wahlen im September 2021 würde den euroskeptischen, rechtsextremen Populismus sowohl in Frankreich als auch in Italien befördern. ... Zehn Jahre nach Ausbruch der Krise in der Eurozone, die die Länder des Südens sozial und politisch destabilisiert hat, scheint nun das politische Gleichgewicht in Deutschland bedroht zu sein.“
Es fehlen überzeugende Konzepte für Ostdeutschland
Thüringen ist ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie sich das politische Spektrum in Deutschland unaufhaltsam polarisiert, konstatiert Pravda und fährt fort:
„Das wird gern begründet mit der vermeintlichen demokratischen Unerfahrenheit der Menschen in der ehemaligen DDR, die angeblich die Rückkehr der Sozialisten an die Macht und den Vormarsch der AfD ermöglichte. Doch die Verwirrung in Thüringen wurde größtenteils von Politikern westdeutscher Herkunft verursacht. Die zentrale Führung, insbesondere der konservativen und liberalen Parteien in Berlin, konnte die tatsächliche Situation in Thüringen überhaupt nicht einschätzen. ... Es reicht nicht mehr aus, die Zusammenarbeit mit einer immer stärker werdenden AfD auf der Grundlage einer rein formalen Definition auszuschließen. Überzeugende Konzepte müssen entwickelt und den Wählern klar kommuniziert werden.“