Sind die Gesundheitssysteme der Pandemie gewachsen?
Die Ausgangsbeschränkungen in vielen europäischen Ländern dienen vor allem dazu, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Denn werden zu viele Menschen gleichzeitig krank, kollabieren selbst bei optimaler gesundheitlicher Versorgung früher oder später die Krankenhäuser. Von einem Optimum sind viele Staaten allerdings weit entfernt, wie Kommentatoren teilweise verbittert feststellen.
Wir werden die Politiker zur Verantwortung ziehen
Ein Psychologe des Krankenhauses von Mulhouse klagt unter dem Pseudonym Claude Baniam in Libération an:
„Ich bin wütend und zornig, weil ich weiß, dass diese Väter und Mütter, Söhne und Töchter, Großväter und Großmütter alleine sterben werden, in einem überforderten Krankenhaus, trotz der mutigen Bemühungen des Pflegepersonals; alleine, ohne den Blick oder die Hand derer, die sie lieben. ... Ich bin wütend und zornig, denn die, die jeden Tag zur Arbeit kommen, trotz der Angst, infiziert zu werden, wurden in politischen Reden jahrelang abfällig behandelt. ... Ich bin wütend und zornig, weil die Politiker unser Sozial- und Gesundheitssystem zerstört und uns pausenlos erklärt haben, dass es der Anstrengung aller bedarf, um diesen heiligen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. ... Wir werden Rechenschaft verlangen von all denjenigen, die uns in diese schreckliche Situation gebracht haben.“
Gesundheit hatte bisher eine Nebenrolle
Die Pandemie hat aufgezeigt, welche falschen Prioritäten Zyperns Regierung gesetzt hat, erläutert Haravgi:
„In sieben aufeinanderfolgenden Jahren [seit der Bankenkrise 2013] zog sie es vor, Hochhäuser zu bauen und Pässe auszustellen, anstatt sich auf die Bürger selbst zu konzentrieren. Die Schwächung des öffentlichen Gesundheitssystems wurde auf die schlimmste Weise aufgedeckt. Wir haben zu wenig Ausrüstung, um das Virus zu bekämpfen und die Ereignisse sind uns immer einen Schritt voraus. Diese Krise zeigt auch, wie wenig die Regierung für die soziale Unterstützung der Bürger unternommen hat.“
Es fehlt nicht nur am Geld
Rumänien hat das kleinste Gesundheitsbudget Europas, doch seine Ärzte arbeiten auch darüber hinaus unter erschwerten Bedingungen, schreibt die Politikanalystin Alina Mungiu-Pippidi in România Curată:
„Wenn jetzt in ganz Europa Mediziner aus der Rente oder dem Urlaub zurückgerufen werden, verstehen vielleicht auch die Rumänen, warum die PSD [im August 2018] die Gehälter für die Mediziner erhöhen musste: Andernfalls wären alle ausgewandert. In ganz Europa fehlt es an Ärzten, sie hätten definitiv einen Job gefunden. ... Sie sind aber nicht nur wegen der Gehälter weg, sondern auch, weil es sich schlecht operieren lässt, wenn die Politik Einfluss auf den Klinikalltag hat, die Organisation schlecht ist und viele Patienten nicht einmal die einfachsten Regeln der Hygiene und Freundlichkeit beherrschen. ... Das Krankenhaus kann schließlich nicht besser sein als die Gesellschaft.“
Ohne Osteuropäerinnen geht es nicht
In Österreich werden viele alte Menschen von 24-Stunden-Kräften aus Rumänien, der Slowakei und Ungarn betreut. Das Land kann heilfroh sein, dass viele hiergeblieben sind, statt zu ihren Familien zu fahren, kommentiert Der Standard:
„Im Vorjahr haben ÖVP und FPÖ die Familienbeihilfe für EU-Bürger, deren Kinder im Ausland leben, an die dortigen Lebenskosten angepasst. Für die ohnehin schlecht verdienenden Pflegerinnen aus Osteuropa läuft dies auf eine Kürzung heraus. ... Angesichts des drohenden Pflegenotstandes schnallt hoffentlich sogar die ÖVP, dass sie damit Menschen traf, die zu den Stützen der Gesellschaft zählen. Untergraben hat der Schritt auch die europäische Solidarität. Gut möglich, dass mancher Politiker eines Nachbarlandes den feindlichen Akt im Hinterkopf hat, wenn Österreich nun um Reiseerlaubnis für die Pflegerinnen buhlt.“