Wie können Corona-Regeln gelockert werden?
Österreich hat den Anfang gemacht und am Dienstag mit einer Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus begonnen. Auch in anderen europäischen Ländern werden Pläne für eine Exit-Strategie aus den Corona-Beschränkungen geschmiedet. Journalisten diskutieren, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist und vor welchen Herausforderungen die Gesellschaften stehen.
Wirtschaft muss einen Hoffnungsschimmer sehen
Público ist sich bewusst, dass die schwierigste Entscheidung noch bevorsteht:
„Im März mussten wir uns zwischen der öffentlichen Gesundheit und der Unsicherheit entscheiden, das normale Leben zu stören. Im Mai werden wir uns zwischen der öffentlichen Gesundheit und einer wirtschaftlichen Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß entscheiden müssen. ... Die Tage der Isolation, die Portugal und Europa erleben, sind gezählt. Denn wenn die Bedrohungen durch die Pandemie auch weiterhin real bleiben, sind sie trotz allem weniger beängstigend. ... Wir müssen in diesem schrecklichen Dilemma innerhalb von Wochen eine Antwort finden - eine dynamische Strategie, die die Normalität der Produktion und des Konsums so weit wie möglich wiederherstellt, sich der Bedrohung des Virus anpasst und der Wirtschaft einen Schimmer an Zuversicht zurückgibt.“
Öffnung der Schulen macht Mut
Auch die Niederlande debattieren über die Lockerung der strengen Corona-Maßnahmen. Nach dänischem Vorbild sollten die Schulen als erste wieder geöffnet werden, fordert De Volkskrant:
„Eine stufenweise Normalisierung ist angebracht. ... Die Wiedereröffnung der Schulen kann auch zu neuen Erkenntnissen beitragen, wie sich das Coronavirus verbreitet. Wenn die täglichen Infektionskurven des Gesundheitsinstituts RIVM nicht negativ beeinflusst werden, kann das auch eine Perspektive für die Wiederöffnung anderer Sektoren schaffen. Ein normal funktionierender Schulbetrieb kann wie ein moralischer Aufpepper wirken: Er bietet eine Perspektive für den Rest der Gesellschaft. “
Öffnung nur bei größter Alltagsdisziplin
Es geht nicht darum, zur alten Normalität zurückzukehren, sondern zu einer neuen Normalität zu kommen, betont Lidové noviny:
„Das unterschiedliche Vorgehen der europäischen Länder hat einen gemeinsamen Nenner: Um wieder mehr Freiheit zu haben, brauchen wir eine noch größere Disziplin im öffentlichen Leben. ... Verschiedene Wege führen aus der Restriktion heraus. Sie führen aber nicht direkt zu einer Normalität, wie die Menschen sie sich vorstellen. Die Tschechen können froh sein, dass sie von Beginn an auf größte Disziplin - namentlich die Maskenpflicht - gesetzt haben. Wenigstens muss für sie keine Maskenpflicht erst erlassen werden, um eine neuerliche Öffnung des Lebens zu ermöglichen. “
Einschränken kann man später wieder
Für zwar riskant, aber unvermeidbar hält Új Szó eine Lockerung der Auflagen:
„Man muss eine Balance zwischen der Sicherheit der Gesellschaft und einem schweren Zusammenbruch der Wirtschaft finden. Zusätzlich muss man auch die Schritte der übrigen EU-Mitgliedstaaten berücksichtigen, da die Slowakei ja eine offene Wirtschaft hat, die mit anderen europäischen Wirtschaften eng verbunden ist. Es ist auch nicht sicher, dass der Prozess der Öffnung eine Einbahnstraße sein wird: Im Falle eines eventuellen Zuwachses bei Infektionszahlen werden erneute Einschränkungen erforderlich sein. Trotz aller Schwierigkeiten muss man aber mit der Lockerung der Auflagen anfangen, sonst werden sich die negativen Auswirkungen in den nächsten Wochen und Monaten kumulieren.“
Verlust von Menschenleben muss ertragen werden
Keskisuomalainen verliert langsam die Geduld mit den Corona-Maßnahmen:
„Das Gesundheitssystem hat die Anzahl der Corona-Patienten verkraftet. Im Hauptstadtgebiet hat sich die Krankheit schneller ausgebreitet als anderswo in Finnland, aber auch hier hat es ausreichend Krankenbetten gegeben. ... Jetzt ist es Zeit, zumindest einen Teil der Beschränkungen aufzuheben. ... Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass wir uns nicht so lange vor dem Coronavirus verstecken können, bis ein Impfstoff entwickelt ist. Deshalb muss das Leben wieder kontrolliert geöffnet werden und wir müssen den Verlust von Menschenleben, den das Virus verursacht, ertragen. Der Preis könnte geringer sein, als der durch die Fortsetzung des Lockdowns verursachte menschliche Preis.“
Bald wird die Wirtschaft über das Leben gestellt
Die Rettung von Menschenleben wird irgendwann nicht mehr oberstes Gebot sein, prophezeit die Kolumnistin Xenia Tourki in Phileleftheros:
„Wenn also kein Impfstoff oder keine Medikamente gefunden werden, sind wir dann bereit, die restriktiven Maßnahmen zu wiederholen und die Wirtschaft wieder auf Eis zu legen, sobald sie sich zu erholen beginnt? Ohne die Maßnahmen wären die Folgen für die Wirtschaft nicht so schmerzhaft, aber wir hätten eine viel höhere Anzahl von Todesfällen. So schwierig es auch ist, die Zeit wird kommen, in der wir die Verluste gegen die Gewinne rechnen werden. Lassen Sie uns zugeben, dass es eine Zeit geben wird, in der das menschliche Leben nicht an erster Stelle stehen wird.“
Die Grenzen des Erträglichen im Blick behalten
Aus Rücksicht auf das Wohlbefinden der Menschen ist nun Flexibilität statt strenger Regeln gefragt, mahnt Politologe Alberto Mingardi in La Stampa:
„Um zu versuchen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, werden wir auch in den Unternehmen persönliche Schutzausrüstung und soziale Distanzierung brauchen. Wir werden auch geistige Flexibilität benötigen, um Mittel und Wege zu finden, die die Viruseindämmung und ein bestimmtes Aktivitätsniveau miteinander vereinbaren. ... Es ist nicht nur eine Frage des Geldes: Es geht auch darum, wie viel Freiheit uns in dieser neuen Situation bleibt. ... Im Laufe der Zeit wird klarer - auch wenn wir den genauen Punkt noch nicht ausgemacht haben - dass es eine 'maximale Ertragbarkeit' der Abriegelung gibt. Eine Schwelle, ab der die Schließung eine drastische Verringerung unseres Wohlbefindens bedeutet.“
Mit klaren Zielen können die Menschen leben
Eesti Päevaleht erwartet vom Staat, dass er klare Kriterien zur Beendigung des Ausnahmezustands formuliert:
„Sinnvoll klingen die Schritte von US-Wissenschaftlern, um die schrittweise Lockerung zu beginnen. Erstens: Die Zahl der Neuerkrankungen sinkt über einen Zeitraum von zwei Wochen. Zweitens: Krankenhäuser können alle Patienten versorgen. Drittens: alle Patienten mit Covid-19-Symptomen können getestet werden. Viertens: Alle Erkrankten und deren Kontakte können beobachtet werden. Vom Staat erwarten wir einen schnellen Plan für den Ausstieg aus dem Ausnahmezustand und konkrete Meilensteine, die alle beobachten können. Dann fällt es den Menschen auch leichter, die Beschränkungen trotz schönen Frühlingswetters zu befolgen.“
Lockdown nur noch für Risikogruppen
Umfangreiche Beschränkungen schaden auf Dauer mehr, als sie helfen, meint Trud und rät zu einem Umdenken:
„Wir können nicht ewig den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass die Gefahr vorübergeht. ... Die Einschränkungen müssen nicht sofort und gänzlich aufgegeben werden, die Lockerung kann aber allmählich stattfinden. Die Milliarden, die wir jetzt für den Kampf gegen das Coronavirus ausgeben, könnten für die Isolierung der Risikogruppen verwendet werden, während der Rest der Bevölkerung eine Gruppenimmunität aufbaut. ... Es wäre unverzeihlich, wenn wir erst umdenken, wenn es zu spät ist, weil wir bereits einen zu hohen Preis für die extremen Lockdown-Maßnahmen bezahlt haben.“
Der Staat muss den Neustart planen
Rumänien führt noch nicht mal eine Debatte über ein Ausstiegsszenario, ärgert sich Ziare:
„Die schrittweisen Maßnahmen zur Entspannung können nicht auf die lange Bank geschoben werden. Doch niemand scheint sich dafür zu interessieren. Darüber sollten wir eher reden als über Sparmaßnahmen, die nur für Panik sorgen, weil sie nicht näher bestimmt sind. Statt Lohnkürzungen wäre zum Beispiel eine Neuaufstellung des staatlichen Sektors auf lange Sicht nützlicher. ... Die Maßnahmen für einen Neustart müssen einem schlüssigen Konzept folgen, damit die Leute das Gesamtbild erkennen und nicht nur mit dem Damoklesschwert über dem Kopf leben. Beeilt sich die Regierung dabei nicht, ist zu befürchten, dass die Menschen den Neustart selbst forcieren, weil Hunger und Verzweiflung sie dazu zwingen.“
Man wird ja wohl Kritik üben dürfen
Auch in dieser schwierigen Zeit darf Kritik nicht als Verrat zurückgewiesen werden, findet La Repubblica:
„Es wird doch wohl gestattet sein, nach zwei Monaten des Kampfes gegen das Übel und gerade in der dunkelsten Stunde auf das hinzuweisen, was nicht funktioniert? Auf die Fehler und Verzögerungen hinzuweisen, die den heutigen Krieg schmerzhafter und die morgige Wiedergeburt schwieriger machen - ohne dabei den Geist der nationalen Einheit zu schmälern, der in diesen Zeiten notwendig ist? Seien wir ehrlich: Das Coronavirus bringt gnadenlos die Probleme zum Vorschein, die die Gegenwart verkomplizieren und die Zukunft belasten. Von der enormen Staatsverschuldung bis zum schuldhaften Abbau des nationalen Gesundheitssystems.“
Debatte darf nicht abgewürgt werden
Dass in mehreren Ländern versucht wird, die Diskussion über eine Lockerung der Corona-Maßnahmen zu unterbinden, findet die Süddeutsche Zeitung verstörend:
„Die Debatte darüber, wann sie gelockert oder gar aufgehoben werden, darf es in einer Demokratie nicht nur geben, es muss sie sogar geben, und zwar gleich von Beginn an. ... Viele Politiker ängstigen sich nämlich vor dieser Debatte: wegen der vermuteten Eigendynamik. Sie möchten auf keinen Fall in eine Situation geraten, in der sie sich gegen jede Erkenntnis gezwungen sehen, Schulen und Geschäfte 'verfrüht' zu öffnen ... - mit der Folge, dass das Virus danach nur Wochen brauchen würde, um massenweise Menschen niederzustrecken. Doch eine solche Eigendynamik verhindert man nicht, indem man die Debatte abwürgt.“
Hauptsache, wir gehorchen
Regierungen stellen Forderungen an Bürger, ohne Antworten auf wichtige Fragen zu liefern, klagt Kolumnistin Vasiliki Zenonos in Phileleftheros:
„Sie fordern uns auf, zwischen unserer Privatsphäre und unserer Gesundheit zu wählen, und auferlegen uns ein totales Überwachungsregime. ... Wir werden gebeten, Spitzel zu werden und jeden anzuprangern, von dem wir vermuten, dass er 'illegitim' handelt. Uns wird jedoch nicht gesagt, was wir Freunden und Verwandten sagen sollen, die sich in einer finanziellen Katastrophe befinden. ... Uns wird nicht mitgeteilt, welche Maßnahmen für Flüchtlinge in Haft- und Unterbringungszentren ergriffen wurden, wo sich das Virus innerhalb von Stunden verbreiten kann. ... Uns wird nicht gesagt, was wir Asylbewerbern sagen sollen, die seit dem 10. März auf Essensgutscheine warten und nichts zu beißen haben. Hauptsache, wir gehorchen.“