Pandemie: Kommt jetzt ein ständiges Auf und Ab?
Die Regierungen in Europa haben ihre Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 mittlerweile alle auf die eine oder andere Art gelockert. Ob und in welchem Ausmaß es deswegen zu einer zweiten Infektionswelle kommt, wird unter Experten noch diskutiert. Kommentatoren überlegen, wie das Leben mit dem Virus in den kommenden Monaten aussehen wird.
Virus bleibt Teil des Alltags
Jetzt beginnt die schwierigste Phase der Pandemie, vermutet Der Standard:
„Im März und April haben die meisten Österreicher die Regeln streng befolgt, doch von Tag zu Tag werden diese weniger ernst genommen. Das ist verständlich: Die individuelle Ansteckungsgefahr ist inzwischen verschwindend gering. ... Die Wirtschaft muss wieder laufen, die Menschen wollen ausgehen, Sport betreiben, reisen - und im Einzelfall spricht nichts dagegen. Aber es reicht ein einziger Corona-Infizierter am falschen Ort, damit die Fallzahlen wieder steigen. ... Das Virus droht auf Jahre Teil des Alltagslebens zu bleiben. Es kann sehr wohl ein Leben mit geselligen Abenden, mit Kultur und Urlaubsreisen sein. Aber auf vieles, was früher selbstverständlich war, wird man verzichten müssen.“
Wie es weitergeht, ist unklar
Obwohl Europa und die Welt langsam den Lockdown lockern, bleiben viele Fragen zum Virus noch immer offen, merkt Večernji list an:
„Erstens ist das Virus nicht verschwunden und die einzige wirkliche Voraussetzung für die Rückkehr in die volle Normalität ist ein Impfstoff. ... Die Frage der Massenproduktion und Distribution eines entdeckten Impfstoffes bleibt offen. ... Zweitens ist fraglich, ob Kroatien Gäste etwa aus Schweden für den Sommerurlaub empfangen soll. ... Drittens können digitale Tools, die aufzeichnen mit wem Neuinfizierte Kontakt hatten und wen man deshalb testen oder gezielt isolieren sollte, raffinierte Waffen im Kampf gegen die Epidemie sein. ... Doch bleibt die Frage, ob unsere Regierung sich wirklich damit beschäftigt oder nur diesen Eindruck erwecken möchte.“
Neuen Schocks nicht hilflos begegnen
Nun ist die Zeit gekommen, sich gründlich auf künftige Krisen vorzubereiten, mahnt der Soziologe und Ökonom Mauro Magatti in Corriere della Sera:
„Die Komplexität der Welt, die wir aufgebaut haben, setzt uns systemischen Schocks verschiedener Art und Größenordnung aus. ... In den letzten zwanzig Jahren gab es drei: den 11. September, der mit kulturellen und religiösen Spannungen zusammenhing, die von Globalisierungsprozessen ausgelöst wurden; die Finanzkrise von 2008, die die Unzulänglichkeit der globalen Finanzsysteme offenbarte; und nun Covid, das sich innerhalb weniger Wochen in der ganzen Welt ausgebreitet hat. ... Wir wissen, dass uns in den kommenden Jahren weitere Schocks treffen werden. Das bedeutet, dass wir uns rechtzeitig vorbereiten müssen, mit den erforderlichen Investitionen und Umstrukturierungen, (z. B. im Gesundheitswesen oder im Schuldenmanagement).“
Einen Corona-Siegestag wird es nicht geben
Radio Kommersant FM fürchtet, dass das aktuelle Aufatmen in Russland nur vorübergehend ist:
„Wir werden wohl bis zum Erhalt eines Impfstoffes ein großes Hin und Her durchmachen. Erneute Krankheitswellen können neue Quarantäneperioden erfordern, selbst wenn sie nicht so lang sein sollten, wie jetzt. Man kann also sein Geschäft nicht einfach nur weiterführen, man muss es neu erfinden. Nicht nur technologisch, sondern auch in grundlegenden Fragen wie Arbeitszeiten und Bürowechsel. … Einen Siegestag über das Virus wird es nicht geben, keine Umarmungen und kein Schulterklopfen. Es hat einfach nur die Zukunft begonnen, die sich vor unseren Augen in Alltag verwandelt. Und wir müssen uns daran gewöhnen. Aber wir haben schon anderes durchgemacht.“
Stiller Strategiewechsel
Krytyka Polityczna meint, bis zur Zulassung des Impfstoffs bleibe nur das Modell der Herdenimmunität:
„Was die Regierenden als 'kontrollierte Lockerung' der Beschränkungen bezeichnen, ist in Wahrheit ein kontrollierter Übergang zum Modell der Herdenimmunität. Aus offensichtlichen Gründen können die Regierungen dies nicht offen zugeben. Es ist nicht einmal bekannt, ob und wie lange bereits Erkrankte gegen wiederholte Infektionen resistent sind. Es ist daher viel besser, wenn die Regierenden ihr Ziel still verfolgen und einen Nebel der Untertreibung darüber legen - in der Hoffnung, dass der Impfstoff fertig ist, bevor die meisten Menschen infiziert sind.“
Zweite Welle kann Unternehmen noch härter treffen
Wenn wir die Wirtschaft wirklich schonen wollen, müssen wir die Lockdown-Regeln langsam lockern, kommentiert Wirtschaftsprofessorin Selva Demiralp auf Yetkin Report:
„Die wirtschaftlichen Kosten einer zweiten Welle sind ziemlich groß. Da die Infektionszahlen steigen, kehrt das Vertrauen der Konsumenten nicht zur Normalität zurück und die Nachfrage bleibt schwach. Daher bleibt die erwünschte wirtschaftliche Erholung aus, selbst wenn die Geschäfte geöffnet sind. Wir sollten nicht vergessen, dass das Virus noch da ist. Das Risiko einer zweiten Welle wird am deutlichsten minimiert, wenn, bis die Impfung rauskommt, alle vorsichtig sind und den Regeln der sozialen Distanz folgen.“
Massentests sind der Schlüssel
Man sollte sich mit flächendeckenden Tests auf die zweite Welle, aber auch künftige Pandemien vorbereiten, meint der ehemalige Parlamentsabgeordnete der ungarischen Sozialdemokraten (MSZP) Péter Márfai in der linken Tageszeitung Népszava:
„Zur Reaktion auf gefährlichere und tödlichere Pandemien wird die aktuelle Verfahrensordnung ab einem bestimmten Ausmaß nicht mehr geeignet sein. ... Auf die Pandemien der Zukunft müssen wir uns mit mehrfachem Testen der gesamten Bevölkerung vorbereiten. Diese Art von Vorbereitung, nämlich dass man die ganze Bevölkerung erreichen kann, ist einfach eine Frage der Organisation. ... Bei der zweiten Welle geht es um ein Ereignis, das zweifellos eintreten wird: Es ist also nur eine Frage des Einsatzes und des Geldes.“