Polen: Ein Präsident aus dem Nichts?
In Polen findet am Sonntag die ursprünglich am 10. Mai angesetzte Präsidentschaftswahl statt. Galt ein Sieg von Amtsinhaber Andrzej Duda (PiS) damals als ausgemachte Sache, so liegt er nun in Umfragen nur noch bei 40 Prozent, und der erst kurzfristig angetretene liberale Bürgermeister von Warschau, Rafał Trzaskowski, holt auf. Kann es Trzaskowski gar gelingen, die Macht der PiS zu brechen?
Vilnius kann bestens mit der PiS
In Litauen betrachtet man die Wahl im Nachbarland mit anderen Augen als in Brüssel, stellt Lietuvos rytas fest:
„Die Schwächung der nationalistisch und konservativ genannten PiS wäre eine gute Nachricht für die EU. Doch was für Brüssel bequem ist, ist nicht unbedingt auch für Litauen von Vorteil. Es klingt paradox, aber in der Zeit, wo die Liberalen in Polen regiert hatten, kühlten sich die bilateralen Beziehungen zwischen den Ländern deutlich ab. Man begann sogar, von einer Eiszeit zu sprechen. ... Mit der PiS-Regierung wurde klar, dass sich die litauischen Politiker mit den polnischen Nationalisten besser verstehen als mit den Liberalen.“
Duda hat sich ins eigene Fleisch geschnitten
Seine polarisierende und homophobe Rhetorik wird Andrzej Duda möglicherweise den Sieg kosten, freut sich The Guardian:
„Duda wird hoffen, dass das Lob und die Unterstützung von Donald Trump während seines Besuchs in Washington diese Woche seinen Rückhalt in einem zutiefst pro-amerikanischen Land festigen werden. Angesichts der knapper werdenden Umfragen dürften einige Anhänger Dudas aber auch befürchten, dass eine aggressive und polarisierende Rhetorik gegen Minderheiten ausnahmsweise mal nach hinten losgegangen ist. Für Polens schändlich geachtete LGBT-Gemeinschaft wäre dies ein Grund zum Feiern und der Erleichterung.“
In wenigen Wochen zum Hoffnungsträger
Der erst kurzfristig angetretene Oppositionskandidat hat gute Chancen, urteilt Ukrajinska Prawda:
„Trzaskowski konnte nur deswegen für das Präsidentenamt kandidieren, weil die für den 10. Mai angesetzten Wahlen verschoben worden waren. Und er musste von Anfang an mit ungleichen Bedingungen zurechtkommen. Er hatte am wenigsten Zeit für das Sammeln von Unterstützungs-Unterschriften und sein Wahlkampfbudget ist drei mal kleiner als das der Mitbewerber. Trotz dieser Herausforderungen liegt Trzaskowski nun auf dem zweiten Platz. Und das Wichtigste ist: Für den Fall einer Stichwahl, die am 12. Juli stattfinden soll, halten Umfragen auch seinen Sieg über Andrzej Duda für möglich.“
Neuer Termin, neuer Kandidat: Offenes Rennen
Der Kampf um die Macht zwischen PiS und Bürgerplattform (PO) geht nun doch in eine weitere, offene Runde, stellt hvg fest:
„Es war wohl kein Zufall, dass die regierende PiS auf einer Wahl im Mai bestanden hat. Sie fürchtete, dass der Vorteil ihres Kandidaten Duda schmelzen wird. ... Genau das ist passiert. ... Dies liegt daran, dass die Mitte-rechts-Opposition, die Bürgerliche Platform (PO), die Chance genutzt hat, ihre Kandidatin [Małgorzata Kidawa-Błońska] auszutauschen. ... Wenn man einen Blick auf die Präferenzen der Wähler wirft, scheint es nicht unvorstellbar, dass Rafał Trzaskowski in einer Stichwahl gewinnen kann. Das bedeutet auch, dass es zu einem erneuten Duell zwischen den zweien rechten Parteien PiS und PO kommt, die seit 2005 von Wahl zu Wahl erbittert und mit wechselndem Erfolg gegeneinander kämpfen.“
Angreifen oder ignorieren
Andrzej Dudas Leute müssen sich nun entscheiden, warnt Wpolityce.pl:
„Entweder greifen sie Trzaskowski gezielt an, oder sie ignorieren den Rivalen. Wenn sie in zu vielen Bereichen herumfuhrwerken, ist das kontraproduktiv und erwecken sie den Eindruck, als zupften sie Trzaskowski hilflos am Hosenbein. Damit könnten sie Trzaskowski letztlich sogar stärken. Diese Angelegenheit sollte gut durchdacht werden. Momentan fließen jeden Tag so viele Botschaften aus dem Regierungslager, dass sie die Gesellschaft, die nur begrenzt aufnahmefähig ist, überfordern. Und entweder heben die Botschaften sich gegenseitig auf oder sie gehen im allgemeinen Lärm unter.“