Hass und Fake-News: Wird es ernst für Facebook?
Facebook hat angekündigt, stärker gegen Hassnachrichten und Falschmeldungen vorgehen zu wollen. Der Konzern reagiert damit auf einen Werbeboykott großer Unternehmen wie Unilever, Honda oder Coca Cola. Die Kritik gegen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter war seit den Antirassismus-Protesten wieder aufgeflammt. Europas Medien fragen sich, was der Boykott tatsächlich bringt.
Das Altmodische ist überraschend modern
Wenn Unternehmensverantwortung nun immer wichtiger wird, haben klassische Medien einen Vorteil, glaubt Kauppalehti:
„In seinem jetzigen Umfang erschüttert der Boykott den Mammut mit einem Marktwert von fast 575 Milliarden Euro nicht. Es ist jedoch möglich, dass die Kampagne größer wird und noch mehr Unternehmen den Hahn zudrehen. Falls sie sich ausweitet, könnte dies beträchtliche Auswirkungen haben. … Ein stärker werdender Trend neben der Werbung in sozialen Medien ist die Unternehmensverantwortung. Von Facebook, das sich inmitten der Empörung vor allem um die Bewahrung seines Geschäftsmodells kümmert, werden große Veränderungen verlangt. Die klassischen Medien, die sich der Ausgewogenheit, Verantwortung und Vermittlung wahrer Informationen verpflichtet haben, sehen langsam wie moderne Plattformen aus.“
Stumpfsinn bringt mehr Werbeeinnahmen
Facebook braucht den Hass, lautet hingegen das lakonische Urteil von Avvenire:
„Trotz der Gefahr, Milliarden Dollar an Werbung zu verlieren (mit dem realen Risiko, zunehmend irrelevant zu werden), will Zuckerberg die Eingriffe zur Einschränkung der Meinungsfreiheit in seinem sozialen Netzwerk so weit wie möglich begrenzen. Selbst wenn diese Freiheit am Ende auf eine unangenehme, wenn nicht gar schreckliche Weise genutzt wird. Die Liebe des Gründers für das 'freie Denken' und seinen Ausdruck mag die romantische Seite von Facebook sein, aber sie ist auch der hässliche Grundzug seines Geschäfts. Zuckerberg weiß sehr gut, dass die stumpfsinnigsten, spaltendsten und radikalsten Beiträge diejenigen sind, die am leichtesten 'viral' gehen und so Klicks und Werbeeinnahmen generieren.“
Die einzige Sprache, die der Konzern versteht
Diese Krise und den folgenden Einbruch an der Börse hat sich Facebook selbst eingebrockt, freut sich die Süddeutsche Zeitung:
„Erst gerierte sich seine Leitung als gekränkte Unschuld, die nichts für den Schmutz könne, den sie in die digitale Welt befördert. Erst unter politischem Druck ging der Konzern dann gegen Hater vor, freilich mit laschestmöglicher Hand. Vor dem Hintergrund der US-Wahlen im November und der Rassismusdebatte wollen immer mehr Firmen nicht länger die Bühne mitbezahlen, auf der täglich Grundwerte der Demokratie mit Füßen getreten werden - gut so. Ja, das Netz braucht Freiheit, aber es ist kein rechtsfreier Raum. Die Boykottbewegung spricht die einzige Sprache, die Facebook zu verstehen scheint: Der Konzern hat mit dem Hass viel Geld verdient, und jetzt kostet ihn dieser Hass viel Geld.“
Gegen das Diktat der politisch Korrekten
Die hinter dem Boykottaufruf stehende Initiative StopHateForProfit befindet sich auf einem moralischen Kreuzzug, wettert Kolumnist Piers Morgan in Daily Mail:
„Ironischerweise unterwerfen sich diese Firmen tatsächlich einem Hassmob, der Facebook zerstören will. Und wenn diese Kampagne erfolgreich ist, werden sich die dahinterstehenden Aktivisten befähigt fühlen, auf alle anderen loszugehen, die sie gerne auf dem Scheiterhaufen ihres Wächtertums sehen möchten. Dies scheint mir ein sehr gefährlicher Moment in diesem von der Pandemie angeheizten hetzerischen Kulturkrieg zu sein. Es geht um grundlegende Meinungsfreiheit. Ich bin aus persönlichen Gründen selbst nicht mehr auf Facebook. Aber ich werde das Recht der Plattform, zu existieren und sich dieser Art von Mobbing, Heuchelei und Cancel-Culture-Schwachsinn nicht zu unterwerfen, lautstark verteidigen.“
Eine Armee von Moderatoren ist nötig
Um wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen muss Facebook-Chef Mark Zuckerberg mehr tun, als ein paar Algorithmen anzupassen, fordert De Morgen:
„Facebook verspricht, Warnungen unter hasserfüllte Nachrichten zu platzieren. ... Doch wer wird das beurteilen? Ein Algorithmus, künstliche Intelligenz oder ein menschlicher Experte? ... Wenn Zuckerberg wirklich Hass- und Gewaltpropaganda bekämpfen will, muss er weitergehende Schritte machen, als nur vor rassistischen Nachrichten zu warnen. Facebook müsste eine kleine Armee an Moderatoren einsetzen, um jeden Aufruf zu gewalttätigem Extremismus aus dem Forum zu verbannen und dabei die schwierige Abwägung machen zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit.“
Zuckerberg muss Zugeständnisse machen
Doch selbst das wird nicht ausreichen, meint De Volkskrant:
„Je mehr (auch kleine) Anzeigenkunden sich in den kommenden Wochen an dem Boykott beteiligen, desto größer der Druck auf Mark Zuckerberg. Der kann natürlich noch ein paar Tausend Moderatoren extra anstellen, aber das scheint nicht die Lösung zu sein. Einen Strom von 115 Milliarden Posts pro Tag bekommt man nie total sauber. Wenn Zuckerberg die wachsende Kritik gegen seine enorme Plattform wirklich angehen will, muss er Konzessionen bei seinen Prinzipien machen: auch Aussagen von Politikern dem Fakten-Check unterziehen, die internen Regeln und Algorithmen transparenter machen und eine unabhängige Aufsicht gestatten.“