Corona: Wegbereiter für ein neues urbanes Leben?
Covid-19 hat Europas Städte verändert. Aktivitäten an der frischen Luft erfreuen sich gestiegener Beliebtheit, mehr Menschen fahren mit dem Rad zur Arbeit und profitieren dabei von breiteren Fahrradspuren. Auf der anderen Seite geben wegen der Pandemie viele Geschäfte auf; der Trubel der Metropolen ist vielerorts ausgestorben - was Journalisten zu eher düsteren Szenarien verleitet.
Städte in Auflösung
Das Virus macht die Verödung unserer Großstädte sichtbar, analysiert der Unternehmer und Schriftsteller Guido Maria Brera in La Stampa:
„Italo Calvino schrieb in seinem Buch Die unsichtbaren Städte, dass jede Stadt ein Gegenbild zur Wüste ist, der sie sich entgegenstellt. Heute jedoch scheint der Kampf ausgefochten zu sein: Die Wüste ist in das Stadtgefüge eingedrungen und hat es besetzt, die Stadt hat ihr nichts mehr entgegenzusetzen, sie verliert ihre Form, ihre Substanz. Leere Plätze, verlassene Straßen, heruntergelassene Jalousien, unbewohnte Gebäude. Die Stadt im Zeitalter der Pandemie ist geisterhaft, sie droht sich aufzulösen. …. Anzeichen dafür gab es schon vor Covid-19. ... Wie in anderen Bereichen zeigt die Pandemie nur, dass die sogenannte Normalität falsch war.“
Ende der metropolenbasierten Globalisierung
Die Zukunftsperspektive unserer Gesellschaft nachhaltig erschüttert sieht Le Figaro:
„Pandemien sind auf Grund ihres universalen Charakters und ihrer langen Dauer noch mächtigere Beschleuniger der Geschichte als Wirtschaftskrisen. Die Covid-19-Epidemie verwandelt die Welt des 21. Jahrhunderts somit tiefgreifender als die islamistischen Attentate vom 11. September 2001 oder der Börsencrash 2008. Die Globalisierung basierte auf einem Netz von Weltstädten, die Menschen, Reichtum, Dienstleistungen mit hohem Mehrwert, Technologien, Wissen und Macht konzentrierten. … Der Lockdown der Hälfte der Menschheit, der mancherorts mehrere Monate dauerte, sowie die starke Ausweitung der Arbeit im Homeoffice haben enorme psychologische, wirtschaftliche, soziale und politische Auswirkungen. Sie verändern die Verhaltensweisen und führen zu spektakulären Brüchen.“
Direkte EU-Mittel für Städte!
Finanzielle Anreize könnten Nachhaltigkeitsbestrebungen in den Zentren stark unterstützen, zeigt sich der Soziologe und Stadtforscher Iván Tosics in Népszava überzeugt:
„Ferner sollte darauf hingearbeitet werden, dass durch internationales Lobbying und die Kooperation der Städte der finanzielle Spielraum erweitert und neue finanzielle Ressourcen erschlossen werden. Es scheint so, dass der neue EU-Haushaltsplan und der Plan für ein Wiederaufbaupaket in die richtige Richtung weist, doch die Entscheidungen bleiben auf Landesebene, und es gibt keine Anzeichen für die Einführung wirksamer Kontrollmechanismen. Man sollte erreichen, dass den Städten, die sich für Nachhaltigkeit engagieren, EU-Mittel auch direkt zugänglich gemacht werden.“
Gamechanger für den Radverkehr
Covid-19 hat einer neuen urbanen Mobilität den Weg geebnet, prognostiziert der Leiter des Berliner Büros des Zukunftsinstituts, Daniel Dettling, in der Tageszeitung Die Welt:
„Die Städter, die den ÖPNV aufgrund von Corona heute meiden, werden auch nach Corona beim Rad oder E-Bike bleiben. Das Coronavirus wird zum Katalysator von autofreien Innenstädten. … Um den Mindestabstand einzuhalten, werden Auto- zu Fahrradspuren und Fußwege breiter. In Wien und Berlin wurden aus Wohnstraßen Begegnungszonen. New York, Vancouver, Mexiko City und Budapest haben autofreie Nebenstraßen zugunsten des Fuß- und Radverkehrs eingerichtet. ... Damit wird Corona zum Gamechanger einer neuen Mobilität in den Städten.“
Garten-Picknicks im mediterranen Geiste
Architektin Maria Fradinho beschreibt in Público ihre Vision einer lebenswerten Stadt nach Corona:
„Die ideale Stadt zeichnet sich durch eine humanisierte und ökologische Architektur aus. Die Häuser haben Außenbereiche und die Straßen sind eine Erweiterung dieser halbprivaten Gärten und Terrassen. Die Stadtarchitektur bietet eine natürliche, fließende und ausgewogene Verbindung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Sie ermöglicht uns, einen Gemüse- oder sogar Obstgarten zu haben und Picknicks zu machen, ohne unser Zuhause zu verlassen. ... Fußgängerwege sind flexibel und vielseitig und erschließen allen wichtigen Dienstleistungen. In der idealen Stadt wird der mediterrane Geist gelebt, das Leben findet draußen statt.“