EU-Gipfel: Kommt es noch zu einer Lösung?
Nachdem auch Verhandlungen bis in den frühen Montagmorgen keine Einigung brachten, ist in Brüssel der EU-Gipfel zum Corona-Hilfsfonds in den vierten Tag gegangen. Es habe jedoch deutliche Annäherungen gegeben, betonten EU-Diplomaten. Europas Presse kann diese noch nicht erkennen und zeigt auf, warum die Entscheidungsfindung so schwierig ist.
Hoffnungslos zerstritten
Als Gewinner stehen bisher nur die "Sparsamen Vier" da, stellt Eric Bonse auf seinem Blog Lost in EUrope fest:
„Sie haben Kanzlerin Merkel und Gipfelchef Michel vor sich hergetrieben und das geplante 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfsprogramm arg gerupft. Das ließe sich noch verkraften, hätte der Gipfelstreit nicht erneut tiefe Gräben offenbart. Es stehen nicht mehr nur Nord gegen Süd und Ost gegen West. Es gab auch eine Revolte gegen das deutsch-französische Gespann, und den Futterneid bei Coronahilfen und Beitragsrabatten. Diese 'Union' ist hoffnungslos zerstritten; nicht einmal mehr das Wertefundament von Demokratie und Rechtsstaat steht noch fest.“
Nicht nur zetern, auch mal hinhören
Die Gegner einer gemeinsamen Verschuldung als Egoisten und Nationalisten hinzustellen, bringt Italien auch nicht weiter, mahnt Corriere della Sera:
„Drei der fünf sparsamen Länder, die auf dem europäischen Gipfel in den Vordergrund getreten sind, werden von Sozialdemokraten geführt: Schweden mit Stefan Löfven, Dänemark und Finnland mit zwei jungen Frauen (Mette Fredriksen und Sanna Marin), die bisher als der Stolz der europäischen Linken galten. Vielleicht wäre es angebracht, dass unsere Führung sich mit diesen Vertretern einer Tradition auseinandersetzt, die die Sozialdemokratie ehrt. Es kann sein, dass alle drei vom Virus der sozialen Gefühllosigkeit und des Mangels an Nächstenliebe infiziert worden sind. Aber es könnte auch sein, dass sie Überlegungen zum wirtschaftlichen Verhalten unseres Landes anstellen, die es verdienen, gehört zu werden.“
Für die EU geht es um Alles oder Nichts
Die EU zerlegt sich gerade selbst, stellt auch die Süddeutsche Zeitung entsetzt fest:
„Das Wiederauferstehungsprojekt Rettungsfonds gerät ... zum Dies irae - zum Tag des Zorns über unterschiedliche und nicht mehr zu vereinende Regierungs- und Lebensmodelle in Europa. Das ist eine Tragödie, weil es die seltene Allianz zwischen Deutschland und Frankreich in ihrer Ohnmacht vorführt. Angela Merkel und Emmanuel Macron sind in Vorleistung gegangen in der Hoffnung, dass sie eine positive Dynamik für die Union auslösen könnten. Bekommen haben sie einen engstirnigen Verteilungskampf und die Mitteilung, dass sich Gemeinschaft mit Geld nicht kaufen lässt. Gelingt das milliardenschwere Einigungswerk nicht, dann wird sich die EU ernsthaft mit ihrem Daseinszweck beschäftigen müssen.“
Rutte spielt nur die nationalistische Karte
De Volkskrant glaubt, dass der niederländische Premier sich viel zu sehr von wahltaktischen Überlegungen leiten lässt:
„Natürlich ist es wichtig, dass die südlichen Länder reformieren, um ihre Volkswirtschaften stark und zukunftsfähig zu machen. Aber zu strenge Reformforderungen können eine Wirtschaft auch ersticken, wie Griechenland in den vergangenen Jahren erleben musste. Außerdem wird der belehrende niederländische Finger als anmaßend wahrgenommen, gerade weil die Niederlande mit ihrer offenen Exportwirtschaft von der EU profitieren. ... Die Botschaft von Nutzen und Notwendigkeit der Europäischen Union wird dem niederländischen Wähler zu wenig vermittelt. ... Wähler kann man [vor der Parlamentswahl im März 2021] nicht nur mit einem nationalistischen 'Nee' locken, sondern auch, indem man ihnen eine klare, realistische Zukunftsvision aufzeigt.“
Einstimmigkeitsprinzip abschaffen
Wie schwer sich die EU mit Entscheidungen tut, liegt nicht an Einzelnen, sondern ist ein Fehler im System, moniert El País:
„Dass Den Haag nun Londons Blockierer-Rolle bei Gemeinschaftsprojekten übernommen hat, macht deutlich, dass das Entscheidungsfindungsproblem der EU nicht in der einen oder anderen Hauptstadt liegt: Es wird immer jemanden geben, der die Rolle des Schwarzfahrers (free rider) einnimmt. Das Problem liegt darin, dass man das für den Haushalt geltende Einstimmigkeitsprinzip komplett abschaffen muss, weil es zu Vetos, zu Erpressungen und zu ungerechten Gegenleistungen verleitet. Die USA sind mit gutem Beispiel vorangegangen, als sie die absolute Mehrheit sogar bei Abstimmungen über Verfassungsänderungen einführten. Vor anderthalb Jahrhunderten.“