US-Truppenabzug: Nur Trumpsches Säbelrasseln?
Nach der Ankündigung, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen und teilweise in andere europäische Staaten zu verlegen, regt sich Widerstand bei Demokraten und einigen Republikanern. Sie kritisieren, der Plan schwäche die Nato und spiele Russland in die Hände. Europa sollte aber nicht hoffen, dass der Abzug gekippt wird, sondern seine Folgen ernst nehmen, mahnen Kommentatoren.
Merkel ist Trump ein Dorn im Auge
Es ist nicht schwer, den eigentlichen Grund für den Truppenabzug auszumachen, merkt Berlin-Korrespondent Paolo Valentino in Corriere della Sera an:
„Angela Merkel. Die deutsche Bundeskanzlerin ist in den Augen von Donald Trump der eigentliche politische Rivale, viel mehr als Wladimir Putin oder gar Xi Jinping. … Vor allem ärgert Trump, dass Angela Merkel alles verkörpert, was er hasst: Multilateralismus, Völkerrecht, die Ablehnung jeglichen Populismus. … Sie waren schon immer Antipoden, die Quantenphysikerin und der Milliardär. Das Novum ist nun, dass der 'grandiose Narzisst' Trump (Copyright Frankfurter Allgemeine Zeitung) - verzweifelt ob der Aussicht auf eine immer unwahrscheinlicher werdende Wiederwahl - jegliche Selbstbeherrschung aufgegeben hat. Jeder, der ihn nicht lobt, ihn nicht respektiert oder ihm die Show stiehlt, muss bestraft werden.“
Russland kann sich zurücklehnen und zuschauen
Postimees macht sich Sorgen über die Kollateralschäden des Manövers:
„Trumps Worte lassen keinen Zweifel, dass es für ihn um eine Bestrafung Deutschlands für dessen zu kleine Verteidigungsausgaben geht. Einen Wortkrieg zwischen den Alliierten braucht die Welt nun wirklich nicht. Fragen der Verteidigungsausgaben müssen Alliierte bei Gesprächen klären, nicht mit realpolitischen Manövern. Solche unerwarteten Schritte dienen Russlands Interessen, das selbst gar nichts tun musste, um einen Keil zwischen die Verbündeten zu schlagen. Europa und vor allem dessen reichstes Land Deutschland müssen sich nun anstrengen. Weniger, weil Trump böse auf Merkel ist, sondern für die Verteidigung von Europa selbst.“
Nato auf Schlingerkurs
Der Abzug wird die europäischen Nato-Mitglieder weiter spalten, fürchtet Politologe Guillaume Lasconjarias in La Croix:
„'Neutrale' Länder, die weder in der Nato noch in der EU zu stark engagiert sind, werden abwarten, wie die Lage sich entwickelt. Andere, wie Frankreich und Deutschland, werden auf der Notwendigkeit einer strategischen Autonomie Europas beharren. ... Eine dritte Gruppe pro-atlantischer Länder in Nord- und Osteuropa wird sich bemühen, den Forderungen Trumps Folge zu leisten. Die Nato ist eine Allianz, die sich seit Jahren sucht und die seit der Wahl Donald Trumps nicht mehr weiß, welchen Kurs sie einschlagen soll.“
Europa muss das ernst nehmen
Ein bitteres, aber wichtiges Signal erkennt De Volkskrant:
„Trump wurde zum Teil auch wegen seines Versprechens gewählt, die Kosten der globalen Führungsrolle der USA zu reduzieren. Diesen Wunsch gab es bereits vor Trump, und er wird auch nach ihm nicht so schnell verschwinden. Die Europäer hoffen vielleicht, dass dieser Beschluss von einem neuen Präsidenten aufgehoben wird, aber sie tun gut daran, das Signal ernst zu nehmen, dass sie ihr Schicksal mehr in die eigenen Hände nehmen müssen. Das ist nicht nur eine Aufgabe für Deutschland, sondern auch für die Sparsamen Vier der Nato.“
Kein Beinbruch
Der Deutschlandfunk empfiehlt erst einmal Gelassenheit:
„Von den 12.000 amerikanischen Soldatinnen und Soldaten soll ... die Hälfte in Europa bleiben, da hat sich das Pentagon durchgesetzt. Sie sollen unter Verweis auf die aggressive Politik Russlands ins Baltikum und an das Schwarze Meer verlegt werden. Auch die Verlegung des Hauptquartiers der US-Streitkräfte in Europa nach Belgien ist sicherheitspolitisch kein Beinbruch, auch wenn die Region Stuttgart die amerikanischen Soldaten gerne behalten hätte. Das Afrika-Kommando soll übrigens zunächst in Stuttgart bleiben. Die Infrastruktur für die amerikanischen Truppen in Deutschland ist gut und erprobt, und das Pentagon weiß dies auch. Der angebliche Truppenabzug ist also bei näherer Betrachtung substantiell, aber nicht grundstürzend. Und ob er tatsächlich so stattfinden wird, das wird sich bei der Präsidentschaftswahl im November zeigen.“
Europa auf sich allein gestellt
Polityka zeigt sich beunruhigt:
„Einige der aus Europa abgezogenen Truppen sollen noch US-Militäroperationen in der Region unterstützen, jedoch auf Rotationsbasis. ... Solange die Rotationspräsenz eines großen US-Kontingents in Polen erhalten bleibt, ändert sich für Polen auf lokaler Ebene nichts. Aber generell wirken sich der Abzug einer schnellen motorisierten Brigade aus Bayern und der Transfer von F-16-Kämpfern nach Italien negativ auf den baltischen Raum und die nördliche Grenze zwischen der Nato und Russland aus. Trump erinnert Europa und Polen schmerzlich daran, dass man sich in erster Linie auf sich selbst verlassen muss.“
Deutschland muss sich jetzt entscheiden
Die Chance auf eine dringend nötige Klärung der eigenen Rolle sieht die Neue Zürcher Zeitung für Deutschland:
„Auf den ersten Blick mag Trump das Land bestraft haben. Doch in Wahrheit eröffnet der Truppenabzug eine Chance: All jene Realpolitiker, die seit Jahren gegen die teils pazifistische, teils amerikafeindliche Mehrheitsmeinung in Deutschland anreden, sind nun zur Abwechslung im Vorteil. ... Deutschland muss sich entscheiden: Will es das wohlige Gefühl bewahren, eine 'Friedensnation' zu sein? Das hat bisher bedeutet, dass andere den Frieden sichern. Oder springt das Land über seinen Schatten, der über der Vergangenheit liegt, und sichert selbst den Frieden für sich und seine europäischen Partner?“