Belarus: Sorge um Maria Kolesnikowa
Nach dem Verschwinden von Maria Kolesnikowa, einer der führenden Figuren der belarusischen Opposition, und zwei ihrer Mitstreiter kursieren am Dienstag widersprüchliche Informationen. Laut belarusischen Behörden hält sich Kolesnikowa in der Ukraine auf. Im Umfeld der 38-Jährigen heißt es hingegen, dass sie festgenommen wurde. Welche Folgen hat der Vorfall für die Opposition und das Regime in Minsk?
Die Bewegung steht auf eigenen Füßen
Dass die Oppositionsbewegung ohne das Frauen-Trio nun entscheidend geschwächt ist, ist für den Deutschlandfunk nicht zwangsläufig:
„Denn die Bewegung ist schon seit vielen Wochen dezentral organisiert, nahezu alle Protestaktionen werden in sozialen Netzwerken auf die Beine gestellt, manchmal von Aktivisten in einzelnen Stadtvierteln oder anderen kleinen Gruppen. Das kann nun so weitergehen, auch ohne das ermutigende Lächeln einer Maria Kolesnikowa, die sich stets höflich und moderat äußerte. Ihr Markenzeichen ist das Herz, das sie bei allen Auftritten mit ihren Händen formte. Diese Geste und das, was sie ausdrückt, nämlich Gewaltlosigkeit und Menschenfreundlichkeit, wird hoffentlich Kennzeichen der Bewegung bleiben.“
Kreml-Plan durchkreuzt
Das Minsker Regime stellt sich womöglich selbst ein Bein, analysiert Politikjournalist Arkadi Dubnow in seinem Blog auf Echo Moskwy:
„Die Entführung könnte sich als eine Art Casus Belli für einen Kurswechsel in der Moskauer Politik gegenüber Lukaschenka erweisen. Bisher sah es so aus, als wolle man Lukaschenka irgendwie zu einer Akzeptanz der Bewegung 'Wmeste' [Gemeinsam] unter Führung des inhaftierten Bankiers Babariko und seiner Mitstreiterin Kolesnikowa bringen. Und diese Bewegung der Staatsmacht in Minsk dann als Verhandlungspartner anbieten - um damit die Opposition zu spalten in eine Babariko-Gruppe und eine Tichanowskaja-Gruppe, die man in Moskau für prowestlich und somit antirussisch hält. Das Verschwinden Kolesnikowas könnte diese Pläne zunichtemachen.“
Nun wird die Straße Lukaschenkas Kopf fordern
Das Vorgehen gegen Kolesnikowa könnte für den belarusischen Präsidenten nach hinten losgehen, meint auch Lietuvos rytas:
„Indem er die Anführer der Proteste eliminiert, riskiert Lukaschenka mehr als sonst. Diese Personen waren eigentlich zum Dialog mit ihm und sogar mit Moskau bereit. Die neuen Anführer hingegen, die nun auf der Straße groß werden, werden nur mehr seinen Kopf wollen, im wahrsten Sinne. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass genau das auch das Ziel des Regimes ist: Je radikaler die Proteste werden, desto weniger sind Lukaschenka die Hände gebunden, sie brutal niederzuschlagen. Können die EU-Führer, die immer noch herumtänzeln, das verhindern? Vielleicht - aber nur, wenn sie Belarus und Russland klar machen, dass sie einig und bereit sind, die Walze der Sanktionen anzurollen.“
Eine Schande für die EU
Es wird immer beschämender, dass die EU noch nicht mit Sanktionen gegen Minsk reagiert hat, meint der Rumänische Dienst der Deutschen Welle:
„Der Diktator des Landes, protegiert von seinem größeren Bruder aus Moskau, Wladimir Putin, weigert sich, dem in der Wahl und den Protesten deutlich gemachten Willen des Volkes nach einem Rücktritt nachzukommen. … Vielmehr lässt er weiter massenhaft Menschen verhaften, lässt er Politiker, Journalisten und friedliche Demonstranten verschwinden. Zur ihrer Schande weigert sich die EU auf Drängen Deutschlands, Frankreichs und Italiens, Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko zu verhängen. Man sagt, man müsse vermeiden, dass sich der 'Kommunikationskanal' mit dem Tyrannen 'schließt'. Zu was dieser Kanal unter den aktuellen Bedingungen noch nützlich sein soll, ist unklar.“