Was hat der Kreml in Belarus vor?
Während sich Russland am Anfang der Proteste in Belarus eher zögerlich verhalten hatte, stellen Beobachter nun fest, dass Lukaschenkas Rückhalt in Moskau wächst. Kommentatoren fragen sich, ob das angesichts der breiten Mobilisierung gegen ihn die richtige Strategie ist, und schauen darauf, wie die Beziehungen in der Region künftig aussehen könnten.
Ein degradierter Verbündeter wird zur Last
Radio Kommersant FM fürchtet, dass der Kreml in Belarus auf das falsche Pferd setzt:
„Hat Russland eine Partnerschaft mit Belarus oder mit Lukaschenka? Diese aufrührerische Frage kommt nun unweigerlich auf. Aus irgendeinem Grund kann die sogenannte zivilisierte Welt das Vorgehen der Führung in Minsk nicht länger ignorieren und diskutiert, wie zu reagieren ist. Früher oder später werden sie wohl etwas unternehmen. Und das wird unweigerlich auf Russland ausstrahlen. Wie es aussieht, ist unser Verbündeter völlig degradiert. Inwiefern werden Vereinbarungen, die man mit ihm unterzeichnet hat, in Zukunft noch Rechtskraft haben? Proteste auseinanderzujagen ist ja noch kein Sieg.“
Russland hat nichts zu bieten
Der Menschenrechtsexperte Ilja Schablinski schätzt in einem Blogbeitrag auf Echo Moskwy, dass das heutige Russland die Menschen in Belarus abschreckt:
„Bin ich etwa gegen Integration und offene Grenzen? Ich bin dafür. Aber was kann unser Staat gegenwärtig den Belarusen schon bieten? Eine Union zweier Diktaturen, die sich auf den Hass gegen Europa und die Vernichtung der Opposition gründet? Vorrangig politisch - obwohl, physisch eigentlich auch. Was noch? Unseren stabilen Rubel? Unseren Reisepass? Eine gut eingespielte Produktion giftiger Kampfstoffe? Ich fürchte, diese Verlockungen locken die heutigen Belarusen nicht. ... Sie sprechen russisch. Sie sind uns sehr ähnlich. Aber will sie unser jetziger Staat zu seinen Feinden machen? Ich fürchte, leider ja. “
In Osteuropa können neue Bündnisse entstehen
Polen könnte sich in der Krise außenpolitisch profilieren, meint Rzeczpospolita:
„Die Brutalität der Regime in Moskau und Minsk gegenüber ihren eigenen Bürgern, die in Opposition zu der Regierung stehen, hat einen kritischen Punkt erreicht. Und dies ist nicht nur eine Chance für Tichanowskaja und die Millionen von Belarusen, die sie unterstützen. Es ist auch eine Chance für Polen, als politischer Akteur in unserer Region und vielleicht der Europäischen Union wieder ins Spiel zu kommen. Sie erfordert jedoch eine noch engere Zusammenarbeit mit Litauen und anderen Ostseeanrainerstaaten, die Einbeziehung der Ukraine sowie den Bau von Brücken zu Berlin, Paris und Brüssel.“