EU einig über Agrarreform: Ein Systemwechsel?

Die EU-Staaten haben sich am Mittwoch auf eine Reform ihrer Agrarpolitik geeinigt. So sollen 20 Prozent der Fördergelder künftig nur fließen, wenn Bauern an Umweltprogrammen teilnehmen. Das bisherige System richtet sich vor allem nach der bewirtschafteten Fläche und wird für den Rückgang von Kleinbetrieben und Artenvielfalt mitschuldig gemacht. Beobachter sind skeptisch, ob dieser Kompromiss eine Wende bringt.

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Les Echos (FR) /

Realistischer und nachhaltiger

Die gefundene Übereinkunft bringt die EU entscheidend voran, lobt das Wirtschaftsblatt Les Echos:

„Diese Einigung der 27 macht im Zusammenspiel von Ministerrat, EU-Parlament und EU-Kommission eine Neuauflage der gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 möglich. In einer durch ihre politischen Spaltungen und den Austritt Großbritanniens, der den Umfang der GAP [Gemeinsame Agrarpolitik der EU] um rund 40 Milliarden Euro jährlich reduzieren wird, geschwächten Union ist dieser gemeinschaftliche Vorstoß kein geringfügiger politischer Erfolg. Zumal er endlich die realistische Perspektive einer nachhaltigeren, aber lebensfähigeren, wenn auch nicht sehr rentablen EU-Agrarpolitik entwirft. Obwohl die EU-Parlamentarier ehrgeiziger sind, verzichten sie weise darauf, Ziele festzulegen, die wegen unzureichender personeller und finanzieller Mittel unerreichbar sind.“

tagesschau.de (DE) /

Profiteure bleiben die Großen

Die EU-Landwirtschaftsminister haben eine große Chance verpasst, die Agrarpolitik sozialer und ökologischer auszurichten, klagt tagesschau.de:

„Ihre Beschlüsse klingen so, als hätten sie noch nie etwas von Artenschwund gehört, nichts von Bodenerosion und Erderwärmung. ... Der größte Teil der Agrarsubventionen wird auch in den kommenden sieben Jahren die industrielle Landwirtschaft stärken. Mit all den Folgen für die Natur, die wir kennen. Je mehr Fläche, desto großzügiger kommen die Überweisungen aus Brüssel, dabei bleibt es. Die kleinen und mittelständischen landwirtschaftlichen Betriebe haben das Nachsehen - gleich, ob sie ökologisch wirtschaften oder konventionell. ... Belohnt wird, wer zu billig und zu viel produziert.“

Le Vif / L'Express (BE) /

Reform schreibt katastrophale Politik fort

Der Vorschlag trägt zu stark die Handschrift der Agrarlobby, kritisieren der grüne EU-Abgeordnete Philippe Lamberts und der Ernährungsexperte Olivier De Schutter in Le Vif/L'Express:

„Überall, wo die Lobby der Lebensmittelindustrie agiert, kämpft sie für das alleinige Ziel, den Status Quo zu bewahren. Der Grund ist einfach: Da die Agrarsubventionen an die landwirtschaftlich genutzte Fläche gebunden sind, sind die Hauptnutznießer nicht die kleinen Produzenten, sondern eher Großbauern und Kolosse der Lebensmittelindustrie. … Der Reformvorschlag, der den EU-Abgeordneten zur Abstimmung vorliegt, ist eine unwürdige Antwort auf die soziale und klimatische Notlage. Sie stellt nicht nur keine Lösung für die ungerechte Verteilung der Agrarsubventionen dar, sondern scheitert kläglich dabei, den Übergang zu nachhaltigen und resilienten Ernährungssystemen zu erleichtern.“

Kleine Zeitung (AT) /

Die entscheidende Arbeit beginnt erst jetzt

Für die Kleine Zeitung liegt es jetzt an den Mitgliedsländern, ob das mit Bauern- und Artensterben verbundene Subventionssystem ein Ende hat:

„Die wirkliche Arbeit beginnt erst jetzt, wenn jedes EU-Land für sich selbst definieren muss, welcher Bauer wofür wie viel Geld erhält. Hier ein kluges ökologisches Anreizsystem zu finden, das auch praktisch umsetzbar ist, wird die Königsaufgabe sein. ... Wenn ein Bauer Öko- oder Tierwohl-Maßnahmen setzt, dann aber die Ertragsausfälle höher sind als die eigentliche Förderung, wird das Geld ungenutzt im EU-Topf bleiben. Die Agrarriesen werden weitermachen wie bisher. Eine große Chance hat Europa schon beim Budgetgipfel im Juli ausgelassen. Indem es keine verpflichtende Förder-Obergrenze gibt, werden im Ländermatch David gegen Goliath weiterhin viele wenig und wenige viel bekommen.“