Corona und die Meinungsvielfalt
Dringen Stimmen zur Pandemiebekämpfung von außerhalb des Mainstreams derzeit nicht durch? Dieser Frage, die nicht nur von Corona-Leugnern immer wieder aufgeworfen wird, widmen sich auch Europas Medien und zeigen sich teilweise selbstkritisch.
Wer nicht zur Blase gehört, gilt als Feind
Rzeczpospolita klagt über eine Verengung der Debatte:
„Es gibt eine gefährliche Tendenz, nur Vertreter der richtigen Ansichten zu Debatten über wichtige Themen zuzulassen. Schlimmer noch, es geschieht unter dem scheinheiligen Vorwand, wissenschaftlich und sachkundig zu handeln und dem Wahnsinn keinen Raum zu geben. Jeder, der es wagt, von der erlaubten Erzählung abzuweichen, ja jeder, der sich weigert, ihre radikalste Version zu vertreten, gilt als Fanatiker. ... Ein solcher Ansatz führt dazu, dass Diskussionen in Blasen stattfinden, der Meinungsaustausch verschwindet, die Befürworter einer anderen Sichtweise immer häufiger nicht als Gegner, sondern als Feinde oder, was noch schlimmer ist, als Verrückte gesehen werden, die man nur verspotten kann.“
Alternativen gibt es immer
Tagesschau.de fordert eine offene Diskussion über die langfristige Pandemie-Bekämpfung, bei der auch Alternativen zur dominanten Strategie des Lockdown nicht ausgeklammert werden dürfen:
„[V]ielleicht ist ein Lockdown, den man mal verschärft und mal lockert, tatsächlich der richtige Weg für die kommenden Monate. Aber vielleicht auch nicht. ... Vielleicht muss man akzeptieren, dass die Zahl der Neuansteckungen hoch bleibt, und sich darauf konzentrieren, die Zahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle zu reduzieren, indem man die Risikogruppen besser schützt. Und vielleicht gibt es auch noch ganz andere Alternativen. Wichtig ist, dass man in einer Demokratie über solche Fragen diskutiert - im Bundestag und in den Landtagen. Und zwar möglichst bevor Maßnahmen beschlossen werden und nicht immer erst danach.“
Blindes Vertrauen brauchen wir nicht
Nur mit einem gesunden Maß an Kritikbereitschaft kommen die Demokratien durch den aktuellen Stresstest, meint De Standaard:
„Corona drückt auf die Schwachstellen. In Demokratien sind diese das Vertrauen in Mitbürger, Politiker, Ärzte, Wissenschaftler, Medien und Impfstoffe. Nur genügend Vertrauen hält den Laden zusammen. Wenn andere mit ihren Partys die Regeln missachten, der Staat autoritäre Züge bekommt und die Pharmaindustrie Misstrauen weckt, bröckelt das Vertrauen rapide. ... Doch blindes Vertrauen brauchen wir nicht. ... Ein kritischer Ansatz kann uns retten: Einigkeit bei den Tatsachen, aber Meinungsverschiedenheit bei den Interpretationen, Verbundenheit im endgültigen Ziel und viel Debatte, wie man dort hinkommt. ... Alles in allem ist das für die offene Demokratie ein Stresstest.“
Es geht nur im Dialog
Mit Verboten allein kommen die Regierungen in der Pandemiebekämpfung nicht weit, fürchtet Diena:
„Einerseits ist klar, dass alle Beschränkungen notwendig sind, die helfen, die Ausbreitung von Covid in der Gesellschaft zu verhindern. Denn Aufforderungen an die Menschen, vorsichtig zu sein und sich nicht zu treffen, sind selbst in den Ländern ineffektiv, in denen die Gesellschaft besonders verantwortungsvoll und vorsichtig erscheint. ... Aber es fehlt auch ein breiter Dialog über die gesellschaftspolitischen Prozesse, die uns derzeit betreffen, über gemeinsame Ziele und wie diese erreicht werden können. Über die Demokratie und ihre Bedrohungen. Über Grundwerte im Notstand und darüber, wie wir in der näheren Zukunft hoffentlich zur normalen Ordnung zurückkehren werden können.“
Mit Transparenz gegen Verschwörungstheoretiker
Angesichts der Kommunikation der ungarischen Regierung fallen Verschwörungstheorien auf fruchtbaren Boden, kritisiert Azonnali:
„Die Datenübermittlung [der Regierung über die Pandemie] ist mangelhaft und ungenügend. … Als bereits klar war, dass die Katastrophe da ist, ergriff die Regierung Scheinmaßnahmen und machte aus der Operativen Aktionsgruppe [für die Pandemiebekämpfung] ein Kommunikationsinstrument, das das Unterlassen von wirklichen Maßnahmen im Namen 'der Wissenschaft' erklären sollte. ... Verschwörungstheoretiker werden unter uns bleiben, solange unsere Politiker, die die Lage ganz genau kennen, die Tatsachen verbergen.“