30 Jahre Visegrád: Was taugt das Bündnis noch?
Am 15. Februar 1991, als sich das Ende des Warschauer Pakts abzeichnete, trafen sich im ungarischen Visegrád die Präsidenten Polens (Wałęsa), der Tschechoslowakei (Havel) und Ungarns (Antall). Sie strebten ein neues Kooperationsbündnis und einen gemeinsamen EU- und NATO-Beitritt an. In der EU zeigten sich die V4 zuletzt vor allem in der Migrationspolitik einig. Die Presse resümiert die heutige Bedeutung des Bundes.
Endlich wieder Subjekt der Geschichte
Die Visegrád-Staaten teilen ein Schicksal, das man in Westeuropa nicht verstehen kann, glaubt wPolityce.pl:
„Im 20. Jahrhundert wurden Entscheidungen über die Zukunft Europas hauptsächlich in Hauptstädten wie Washington, Moskau, London, Paris und Berlin getroffen. Im Laufe der Jahrzehnte hat man sich daran gewöhnt, dass aus dem Raum zwischen Russland und Deutschland keine Stimme zu hören war. Das letzte derartige Zentrum dort war Wien, aber der Zusammenbruch der Habsburger Monarchie beendete diese Periode. Die mitteleuropäischen Nationen sind deshalb als Objekte, nicht als Subjekte der internationalen Politik behandelt worden. ... Dadurch teilen die mitteleuropäischen Länder ein gemeinsames Schicksal sowie eine gemeinsame Kultur und Seele.“
Garant der Sicherheit
WPolityce.pl würdigt, was das historische Treffen ins Rollen brachte:
„Im Juli 1991 organisierte Václav Havel in Prag eine Konferenz, auf der der Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Am 6. Oktober 1991 erklärten Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei auf einem zweiten Gipfel, ein Beitritt zur Nordatlantischen Allianz sei der beste Garant für ihre Sicherheit. ... Es war die erste Veranstaltung dieser Art, die den Beitritt ehemaliger kommunistischer Staaten zur Nato forderte. ... Und mit der Einwanderungskrise wurde die Visegrád-Gruppe nach Jahren des geopolitischen Schlummers wieder zu einer bedeutenden Einheit in der EU.“
Nicht als Block behandeln
Viel ist von diesem Zusammenschluss nicht übrig geblieben, analysiert der rumänische Dienst der Deutschen Welle:
„Allgemein kann man feststellen, dass sich die Slowakei und größtenteils auch Tschechien von der Orbán-gesteuerten Visegrád-Agenda inzwischen verabschiedet haben. Allenfalls in der Migrationsfrage würden sie wohl bei ihren bisherigen Positionen bleiben. Übrig geblieben ist derzeit von der Visegrád-Kooperation nur noch eine Achse Warschau-Budapest - und auch die ist längst nicht so stark, wie sie scheint. In Brüssel sollte man sich dennoch weder entspannt zurücklehnen noch selbstzufrieden sein. Aus 30 Jahren Visegrád könnte die EU für ihre Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik lernen, dass es zielführender ist, die Länder einer Region nicht als Einheit zu behandeln. Und vor allem nachhaltiger, mit ihnen auf Augenhöhe zu verhandeln.“
Nur noch Feigenblatt für Antidemokraten
Kein gutes Haar an Visegrád lässt das Landesecho:
„Das Bündnis, das gegründet wurde, um die Demokratie und die Westorientierung Ostmitteleuropas zu verteidigen, ist heute das ganze Gegenteil, ein Feigenblatt für die Liquidierung der Demokratie in Polen und Ungarn. Und in Tschechien unterstützt Visegrád das undemokratische Verhalten von Präsident Zeman und die Regierung des Oligarchen Babiš. Für den einst positiv besetzten Namen Visegrád muss man sich heute schämen. Er ist ein Beispiel dafür, wie die Rückkehr unseres Teils des Kontinents in das demokratische Europa misslungen ist. Von der Demokratie ist ein ähnlicher Schutthaufen geblieben wie von den Ruinen der Burg Visegrád.“
Wertvoll trotz aller Differenzen
In Tschechien und der Slowakei gibt es immer wieder Stimmen, die den Zusammenschluss beenden wollen. Mladá fronta dnes entgegnet:
„Natürlich ist es heute in Ungarn und Polen um den Rechtsstaat nicht sonderlich gut bestellt. Aber im Kontext eines langfristigen Horizonts der Entwicklung unserer geopolitischen Interessen und Beziehungen in Mitteleuropa ist das irrelevant. Unsere strategischen Verbündeten sind nicht die derzeitigen Regierungen, sondern die Länder an sich - Polen und Ungarn. ... Zudem haben wir uns in den letzten Jahren zu sehr daran gewöhnt, den Erfolg der Staatengruppe an ihrem gemeinsamen Einfluss im Rahmen der EU zu messen. Die Außenpolitik ist nur eine Dimension des Projektes. Vergessen wir nicht die zivilgesellschaftliche Dimension von Visegrád. “