Weltfrauentag: Wie steht es um die Gleichstellung?
Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März widmet sich Europas Presse dem Thema Geschlechtergerechtigkeit und liefert unter anderem ernüchterte Schlussfolgerungen aus Polen, durch die Pandemie inspirierte Analysen aus Spanien und rebellische Worte aus der Türkei.
Weniger wert als ein Embryo
In Polens Politik gelten Frauen nicht mehr als Menschen, konstatiert Gazeta Wyborcza:
„Es ist zwar gut, dass der 8. März kein Feiertag mehr ist, an dem Frauen Blumen bekommen, sondern ein Tag, an dem über ihre Probleme, fehlende Rechte und Gleichberechtigung diskutiert wird. Doch schlecht ist, dass seit vielen Jahren eben nur diskutiert wird und wenn sich die Dinge ändern, dann nur zum Schlimmeren. Seit 1989 haben die Regierungen des sogenannten freien Polens den Frauen systematisch die Freiheit und die Autonomie genommen. ... Es geht um Demütigung, darum, Frauen in eine untermenschliche Ordnung zu drängen. Denn wer nicht über seinen Körper, über eine Mutterschaft bestimmen kann und wer weniger wert ist als ein Embryo, ist - anders als dieser - kein Mensch.“
Reife Gesellschaften wählen gute Frauen
infoLibre greift die zu Beginn der Corona-Pandemie geführte Debatte auf, ob Frauen womöglich die besseren Krisenmanagerinnen sind:
„Vielleicht muss man etwas länger darüber nachdenken, was die Nationen auszeichnet, die in der Lage waren, diese Frauen zu Staats- oder Regierungscheffinnen zu wählen. ... Dann stellen wir fest, dass diese Nationen etwas gemeinsam haben, was mit der Reife als Gesellschaft, mit Zusammenhalt und mit der Qualität ihrer Demokratie zu tun hat. Der Erfolg der frauengeführten Länder im Umgang mit der Pandemie wäre dann weniger dem Umstand geschuldet, dass die Frauen Frauen sind oder besondere genderspezifische Eigenschaften wie Mitgefühl oder Sorge in sich tragen. Stattdessen hätte er viel mehr mit der demokratischen Reife der Gesellschaften zu tun, die in der Lage sind, solche Frauen an ihre Spitze zu wählen.“
Hört auf, euch aufzuopfern!
Frauen sollten sich den Erwartungen der Gesellschaft widersetzen, plädiert Kolumnistin Nagehan Alçı in Habertürk:
„Wir alle leben unter einem nationalen Nachbarschaftsdruck, wo es als Schande gilt, 'ich' zu sagen. Von uns wird erwartet, dass wir geduldig sind, uns aufopfern, die Zähne zusammenbeißen. Warum sind niemals die Männer an der Reihe, Opfer zu bringen? … Von Geburt an wird uns beigebracht, selbstlos zu sein, uns im Hintergrund zu halten und mit Hingabe zu dienen. Für unsere Kinder, unsere Ehemänner, unsere Familien, Freunde und so weiter. Tun Sie es nicht! ... Ich fordere uns Frauen auf - egal, wie unsere politischen Einstellungen sind oder unser Lebensstil -, wachsam zu sein gegenüber den emotionalen Spielen, in die uns die Gesellschaft verstrickt, und uns dem Ausbeutungssystem zu widersetzen, das, als 'Hingabe' getarnt, geschaffen wurde.“
Pandemie hat Armut noch weiblicher gemacht
Die Covid-Krise hat die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt klar vor Augen geführt, kritisiert Duma:
„Die Belastung für die Frauen ist größer, da sie in den am stärksten betroffenen Sektoren arbeiten und die am schlechtesten bezahlten Positionen besetzen. Frauen machen fast 80 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen und die Mehrheit derjenigen aus, die sich um Senioren und Kinder kümmern, was sie zu den am stärksten von Infektionen bedrohten Personen macht. ... Hinzu kommt das Problem der Unvereinbarkeit von familiären und beruflichen Verpflichtungen. Frauen fehlen oft bei der Arbeit, weil sie nicht gleichzeitig Mütter und Angestellte sein können. Das ist die Feminisierung der Armut. Der Unterschied bei den Renten ist die logische Fortsetzung davon.“
Männer, empört euch!
In der Corona-Krise wurde die historische Chance vertan, die unterprivilegierten Männer der Gleichstellung ein Stück näher zu bringen, kommentiert die Frankfurter Rundschau ironisch:
„Statt lautem Aufbegehren gegen die traditionelle Arbeitsteilung stellen repräsentative Untersuchungen das Gegenteil fest: Mütter haben ihre Vormachtstellung im Haus weiter ausgebaut, Väter haben das Nachsehen. Wie konnte es so weit kommen? Wo Väter massenhaft im Homeoffice arbeiten, wäre ihnen doch der unmittelbare Zugriff auf Windeln und Wischmop nicht mehr zu nehmen gewesen? ... Männer, empört euch! Kämpft für euren gleichberechtigten Anteil bei Hausarbeit und Kinderbetreuung. Das alte Rollenmodell, das euch zu lächerlichen Figuren in der eigenen Familie macht, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Seid selbstbestimmt! Wie sonst soll sich die Welt zum Besseren ändern?“
Frauen befreien sich selbst
Religiöse Türkinnen nehmen heute viel mehr am öffentlichen Leben teil als früher, beobachtet Kolumnist Yusuf Ziya Cömert in der konservativen Karar:
„Diejenigen, die in den 70er Jahren nichts dabei fanden, dass ihre Schwestern keine höhere Schulbildung erhielten, ja damit sogar ein Stück weit zufrieden waren, schickten in den 90er Jahren ihre Töchter zur Universität. ... Heutige Umfragen zeigen, dass Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten es nicht als Problem ansehen, wenn Mädchen mit Kopftuch studieren oder im öffentlichen Sektor arbeiten. Ein großer Fortschritt. ... Unsere Töchter, Schwestern haben sich im Leben einen eigenen Platz geschaffen. Das haben sie selbst erreicht, nicht wir. ... Wir haben der Realität, die sich um uns herum bildete, unsere Zustimmung gegeben. ... So wie die Frauen es bisher schafften, werden sie es auch in Zukunft selber schaffen.“
Vorhandene Instrumente aktiv nutzen
Seit zwei Jahren müssen in Frankreich alle Firmen mit mehr als 50 Angestellten jährlich einen "Gleichheitsindex" publizieren, der unter anderem Lohnunterschiede berücksichtigt. Zwei Personaler loben das Instrument in Les Echos:
„Die Kritiker haben Recht, der Index muss schrittweise verbessert werden, um Teilzeitarbeit, den Niedriglohnsektor und die Präsenz von Frauen in Führungsgremien zu berücksichtigen. Aber trotz dieser momentan noch bestehenden Unzulänglichkeiten können Unternehmen die Gelegenheit schon nutzen und von einer retrospektiven Betrachtung zu einer prospektiven Verwendung übergehen - indem sie den Index in ein Dashboard verwandeln, mit dem man Veränderungen steuern kann. ... Die Gleichstellung kann hier und jetzt vorangetrieben werden. ... Los geht's.“
Weg vom Mann-Frau-Denken
Es gilt, die Bipolarität zu überwinden, meint die Journalistin Barbara Gianetto Lorenzetti in Corriere del Ticino:
„Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch lang. Jeden 8. März erfahren wir dies durch die Statistiken über das Lohngefälle, die am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffenen Gruppen oder die Versäumnisse in der Familienpolitik, während Geschichten über Missbrauch weiterhin unsere Zeitungen füllen. … Deshalb ist es unerlässlich, dass wir uns immer wieder neue Ziele setzen. Vielleicht ist es jedoch an der Zeit, das Register und die Herangehensweise zu ändern, das traditionelle Bild der Bipolarität zwischen Männern und Frauen aufzugeben und sich auf ein Gleichgewicht zuzubewegen, das auf die Entwicklung und den Respekt der Person abzielt, die als menschliches Wesen in ihrer Gesamtheit und Einzigartigkeit verstanden wird, jenseits des Geschlechts.“