Gnade für Separatisten entzweit Spanien
Trotz erheblichen Widerstands im Land hat die spanische Regierung ihre Pläne wahrgemacht und neun inhaftierte katalanische Separatisten-Führer begnadigt; am Mittwoch werden sie nach über drei Jahren Haft das Gefängnis auf Bewährung verlassen. Politische Ämter dürfen sie nicht ausüben. Während Kommentatoren in Spanien den Schritt überaus verschieden beurteilen, sehen Medien aus anderen Ländern ihn positiv.
Kurswechsel mit wenig Rückhalt
Mit der Begnadigung möchte Premier Sánchez ein Zeichen der Deeskalation setzen, meint Večernji list:
„Sánchez möchte mit dieser Entscheidung einen neuen Dialog zwischen Madrid und der katalanischen Regierung ermöglichen, überzeugt davon, dass eine andauernde Konfrontation dieses Problem nicht lösen kann. ... Sánchez kündigte damit einen Kurswechsel in der bisherigen Politik Madrids bezüglich der Frage Kataloniens an, die in den letzten Jahren eskaliert und zur größten politischen Krise in Spanien seit dem Fall der Diktatur und der Einführung der Demokratie geworden ist; obwohl die meisten Spanier laut Umfragen gegen eine Begnadigung der katalanischen Separatisten sind, wie auch fast alle konservativen Oppositionsparteien.“
Sánchez zeigt Größe
Auch Público lobt den Vorstoß des spanischen Premiers als konstruktiv:
„Sánchez verteidigt eine Begnadigung und keine Amnestie. ... Und das in der Überzeugung, dass Spanien versuchen muss, die Folgen seiner jüngsten Vergangenheit zu überwinden, indem es einen Raum der Koexistenz zwischen der katalanischen Gesellschaft und dem Rest Spaniens wiederherstellt. Nicht als Zeichen von 'Vergessen', sondern von 'Respekt und Zuneigung'. Anstatt auf die Unterdrückung zu bestehen, die den Unabhängigkeitsextremismus anheizt, schlägt er eine Geste der Eintracht vor, um den Dialog wiederherzustellen. Anstelle von Zwang und der Ausübung legitimer staatlicher Gewalt schlägt er Toleranz und Offenheit vor, die zu demokratischem Engagement einladen.“
Aussichtslose Flucht nach vorn
Die zentralistische Tageszeitung El Mundo wendet sich im Leitartikel direkt an den spanischen Premier, um ihm egoistischen Verrat der Interessen des spanischen Volks vorzuwerfen:
„Sie sind eine Geisel, Herr Sánchez. Ein Premier, der keine andere Vision hat als das eigene Überleben, die ständige Flucht nach vorne. Sie haben bei dieser Erpressung nachgegeben, nun werden weitere folgen. Und alle werden dem Zusammenhalt des spanischen Volkes schaden, der der Sozialdemokratie einmal wichtig war. Man kann nicht denjenigen besänftigen, der davon lebt, dein Feind zu sein. Man kann keine Eintracht erwarten von demjenigen, der gar nicht begnadigt werden will und der die Rhetorik des Dialogs weiterhin boykottiert.“
Jetzt die Trümpfe ausreizen
Da Sánchez für eine Mehrheit im spanischen Parlament auf die Stimmen der katalanischen Regierungsparteien angewiesen ist, sollte die Unabhängigkeitsbewegung nun ihre Stärke ausspielen, fordert der Chefredakteur des pro-separatistischen Portals elnacional.cat, José Antich:
„Die Unabhängigkeitsbewegung hat es nun in der Hand, die Rückkehr der Exilierten und ein Ende der Repressalien gegen 3.000 weitere Betroffene zu erreichen, weil ihre Stimmen über vorgezogene Neuwahlen entscheiden. Der Dialog kann ein reines Kaffee-Schwätzchen werden oder ein echter runder Tisch, bei dem über Amnestie und Selbstbestimmung verhandelt wird. Madrid hat die Macht, aber die Trümpfe hat die katalanische Regierung in der Hand, falls man sie nicht verspielt.“
Deeskalation ist jetzt wichtig
Premier Sánchez sollte sich trotz der Proteste nicht von seinem Plan abbringen lassen, appelliert The Guardian:
„Es liegt im Interesse Spaniens, dass die katalanische Frage entgiftet und eine weniger konfrontative Zukunft geplant wird. ... Kataloniens Separatisten gingen 2017 viel zu weit, als sie Überheblichkeit mit rücksichtslosem Opportunismus kombinierten. Doch Madrids exzessive, autoritäre Reaktion, angeführt vom konservativen Premier Mariano Rajoy und den Richtern des Obersten Gerichtshofs, machte die Sache noch viel schlimmer. Vier Jahre später sieht Pedro Sánchez zu Recht Begnadigungen als notwendigen Schritt, um sicherzustellen, dass sich diese zerstörerische Abfolge von Ereignissen nicht wiederholt.“
Wir warten auf eine Erklärung
Zumindest ist Sánchez dem spanischen Volk nun Transparenz schuldig, urteilt La Razón:
„Es geht hier nicht um eine Kleinigkeit, denn die Straftaten, um die es geht, waren keine Kleinigkeiten - sie verstießen gegen die Gesetze der Demokratie. Deshalb muss Pedro Sánchez persönlich die Verantwortung übernehmen und vor dem Parlament die Bedingungen und Vereinbarungen zu den Begnadigungen erklären. ... So wie [Spaniens Ex-Premier] Rodríguez Zapatero vor dem Parlament den Beginn der Verhandlungen mit [der baskischen Terrororganisation] Eta erklärte, muss auch Sánchez dort jeglichen Zweifel über die wahren Motive ausräumen, die ihn zu so einer gewichtigen Maßnahme bewegen, diejenigen aus dem Gefängnis zu entlassen, die unsere Verfassungsordnung aufs Spiel gesetzt haben.“
Für Entspannung sorgen ist kein Verrat
Alle politischen Lager sollten ein Interesse an einer Deeskalation haben, mahnt eldiario.es:
„Fast vier Jahre sind seit dem 1. Oktober 2017 vergangen und der Rechtsweg, so notwendig er auch war, hat das Problem nicht gelöst. Die Unabhängigkeitsbefürworter regieren weiter die Region und der Zentralregierung bleibt nichts anderes übrig, als eine Entscheidung zu treffen: entweder nichts tun, die Begnadigungsgesuche ablehnen und das Problem chronisch werden lassen. Oder etwas unternehmen, um die schon zu lange andauernde Situation zu entschärfen. Man darf Spanier und sogar rechts sein und trotzdem eine Entspannung der Lage befürworten. Davon zerbricht Spanien nicht und man begeht auch keinen Verrat.“
So gesetzeswidrig wie unklug
Begnadigungen kann und darf es nicht geben, analysiert indes El Mundo:
„Das ist nicht nur eine ethische, sondern auch eine juristische und politische Angelegenheit. Die Voraussetzungen für Begnadigungen sind nicht gegeben. Erstens, weil diese nicht gesammelt [sondern nur individuell] vergeben werden dürfen. Zweitens, weil die Verurteilten nicht bereuen, sondern weiter Druck machen. Und schließlich hat seit einem Jahrzehnt jedes politische oder wirtschaftliche Zugeständnis zu nichts weiter geführt, als die Unabhängigkeitsbewegung weiter zu bestärken. Die nächste Provokation durch die Straffreiheit der vorangehenden herauszufordern, ist weder rechtens noch klug.“