Merkel und der Westbalkan: Verpasste Chancen?
Angela Merkel hat zum letzten Mal als Kanzlerin den Westbalkan besucht. In Tirana sprach sie mit den Regierungschefinnen und -chefs von Albanien, Serbien, Montenegro, Bosnien, Nordmazedonien und Kosovo. Kommentatoren halten Merkel zwar zugute, dass ihr der Westbalkan am Herzen liegt, kritisieren aber, dass in den vergangenen Jahren weder Deutschland noch die EU der Region wahre Perspektiven geboten haben.
Abgang der Balkan-Tante
Als fast schon emotional beschreibt Danas den Besuch der scheidenden Kanzlerin in Belgrad:
„Den Abschied der deutschen Kanzlerin Angela Merkel von Serbien prägte ihr etwas nostalgisch-filmischer Rückblick auf das vorangegangene halbe Jahrzehnt der Zusammenarbeit mit dem offiziellen Belgrad, vor allem mit Präsident Aleksandar Vučić. Wie sie sagte: 'Wir haben eine erfolgreiche Geschichte hinter uns, unsere beiden Länder sind eng verbunden.' ... Mit ihrer Rhetorik bestätigte Merkel ihre inoffizielle Reputation als 'Tante des Balkans'. Mehrmals sprach sie über die Rolle des Berliner Prozesses als Mittel zur Förderung der Beziehungen in der Region, was nicht verwundert, da sie das 'Gehirn' hinter der Initiative ist.“
Nicht übertrieben aktiv
Berlin hätte mehr in der Region tun können, findet Jutarnji list:
„Deutschland war unter Kanzlerin Merkel aktiv, um einigermaßen den Frieden auf dem Westbalkan zu wahren. ... Aber Deutschland war nie das Land, das Lösungen angeboten hat. Deshalb haben wir immer noch den Status quo in den Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien, die unveränderte Lage in Bosnien-Herzegowina, eine laue Reaktion der EU nach den Ereignissen in Montenegro. Doch wird die Rolle Deutschlands in der Region weiterhin wichtig sein, und es wird Kontinuität erwartet. ... Deutschland wird weiterhin auf Frieden und Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und Handel achten, aber nicht übertrieben aktiv sein, um schnell offene Fragen zu lösen, insbesondere die Integration dieser Staaten in die EU.“
EU-Worten endlich Taten folgen lassen
Dass Merkel noch einmal in die Region reist, will sie wohl auch als mahnende Geste verstanden wissen, vermutet die taz:
„Desinteresse kann sich die EU nicht leisten. Nicht nur, weil Mächte wie Russland und China ihren Einfluss stetig ausbauen. Auf dem Balkan brodelt es unentwegt, überall ist der Autoritarismus auf dem Vormarsch. ... [E]s gab ja auch Erfolge, etwa den Plan eines gemeinsamen Marktes, abgeschafftes Roaming, badende Serb*innen in der albanischen Riviera – für viele lange undenkbar. ... Der bescheidene Fortschritt und der Frust in den Balkanländern zeigen aber auch: Den routinierten Bekundungen einer 'EU-Perspektive' müssen politische Taten folgen.“