Bulgarien: Wahlsieg für Anti-Korruptions-Partei
Die erst im September gegründete Partei "Wir setzen den Wandel fort" hat die dritte bulgarische Parlamentswahl im Jahr 2021 mit rund 25 Prozent der Stimmen gewonnen. Spitzenkandidat Kiril Petkow hatte sich als Wirtschaftsminister der geschäftsführenden Regierung von April bis September für sein Durchgreifen gegen Korruption einen Namen gemacht. Kommentatoren sehen klare Signale für einen Wandel.
Widerstand nimmt Schicksal in die eigenen Hände
Der große Wahlsieger ist die bulgarische Zivilgesellschaft, freut sich e-vestnik:
„Trotz ihrer jahrzehntelangen aktiven und systematischen Unterdrückung der Zivilgesellschaft, des Parlamentarismus und des Rechtsstaats, haben es die Oligarchie-Parteien DPS [Partei der türkischen Minderheit] und Gerb nicht geschafft, die Grundsäulen der Zivilgesellschaft zu zerstören. ... Die Zivilgesellschaft hat im letzten Jahrzehnt nicht nur Widerstand [gegen die Regierung von Bojko Borissow] geleistet, sondern hat sich konsolidiert, ist gewachsen und ist nun entschlossen, das Schicksal Bulgariens durch ihre gewählten Volksvertreter in die eigenen Hände zu nehmen.“
Noch eine Wahl käme Selbstmord der Parteien gleich
Der bulgarische Dienst der Deutschen Welle sieht Grund zur Hoffnung, dass es diesmal zu einer Regierungsbildung kommt:
„Dass es in den ersten Monaten des nächsten Jahres erneut zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommt, ist nicht auszuschließen. Es ist aber viel weniger wahrscheinlich als nach den vergangenen zwei Neuwahlen im Sommer. Nicht so sehr wegen des Wahlergebnisses, sondern wegen des Selbsterhaltungstriebs der gewählten Parteien, der spätestens jetzt einsetzen sollte. Für sie wäre es gleichbedeutend mit Selbstmord, diesmal nicht auf die gesellschaftlichen Erwartungen nach einer Regierungskoalition zu hören.“
System Borissow ist Vergangenheit
Das Ergebnis ist ein Segen für den bulgarischen Rechtsstaat, freut sich Der Standard:
„Im jüngsten Anlauf vergangenen Sonntag haben die bulgarischen Wähler nun doch ein Parlament zusammengestellt, das nicht nur in der Lage sein wird, Mehrheiten für eine Regierungsbildung zu finden, sondern auch die dringend notwendigen Reformen im Justiz- und Gesundheitsbereich anzugehen. ... In der Ära von Bojko Borissov konnten die Reichen und Einflussreichen jenseits aller Gesetze ein Leben in Saus und Braus führen, während zigtausende Bulgaren frustriert ihr Land verließen. Das System Borissov ... ist Vergangenheit. ... Die Intelligenz, das Wissen und die Integrität des wahrscheinlichen künftigen Premierministers Kiril Petkov geben erstmals Anlass zur Hoffnung, dass aus Bulgarien doch noch ein Rechtsstaat und eine funktionierende Demokratie werden könnte.“
Aufbruch in Osteuropa?
Der Tagesspiegel sieht einen möglichen Trend, der in Tschechien seinen Anfang nahm:
„Auch dort muss der bisherige Premier Andrej Babiš abtreten - aus zwei ähnlichen Gründen wie Borissow in Bulgarien: Die Wähler wenden sich - auch wegen undurchsichtiger Geschäfte - von ihm ab. Und mit seinem Auftreten gegenüber anderen politischen Kräften hat er sich so viele Feinde gemacht, dass die nicht mit ihm koalieren wollen. Erfasst dieser Trend auch Ungarn und Polen?“