Fall Peng Shuai: Zweifel nicht ausgeräumt
Seitdem sie Chinas Ex-Vizepremier Zhang Gaoli einen sexuellen Übergriff vorgeworfen hatte, war Tennisstar Peng Shuai verschwunden. Erst auf internationalen Druck hin teilten Staatsmedien Videos, die Peng zeigen sollen. Und IOC-Chef Thomas Bach erklärte, die Sportlerin habe ihm in einer Videoschalte versichert, es gehe ihr gut. Die Presse beruhigt das ganz und gar nicht.
Verrat an einer Sportlerin
Das St. Galler Tagblatt wittert eine Schmierenkomödie mit dem IOC in einer schmutzigen Rolle:
„[W]as tat das IOC angesichts des Hilferufs einer dreimaligen Olympia-Teilnehmerin? Was tat Thomas Bach, als ehemaliger Florettfechter ein Meister im Ausweichen und Fintieren, immer im Dienst der Bewegung? Schweigen. ... Erst, als ein chinesisches Staatsmedium ein angebliches Statement von Peng veröffentlichte, in dem sie behauptete, wohlauf zu sein und man möge sie doch bitte in Ruhe lassen, liess Bachs IOC ausrichten: 'Wir sind ermuntert von den Versicherungen, dass sie wohlauf ist.' … [S]tatt maximalen Druck aufzubauen, eine Untersuchung zu fordern und Veränderungen zu verlangen, macht das IOC den Bückling vor China - weil man sich im Würgegriff von Tyrannei und Kommerz befindet.“
Opfer schweigen für ein bisschen Freiheit
Der Fall illustriert, wie das Regime in Peking kritische Stimmen mundtot macht, erklärt The Irish Times:
„Eine Reihe hochrangiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in China ist in den vergangenen Jahren von der Bildfläche verschwunden. Darauf folgte in einigen Fällen ein eher unauffälliges, kaum wahrgenommenes Wiederauftauchen. Dass es bei den Betroffenen dann an der Bereitschaft mangelte, sich zur persönlichen Notlage zu äußern, deutet stark darauf hin, dass ihnen als Gegenleistung für ihr Schweigen ein gewisses Maß an Freiheit geboten wurde. ... Peking wird viel mehr tun müssen, um die Welt davon zu überzeugen, dass Peng Shuai keinem Zwang unterworfen ist. Es muss uneingeschränkter Zugang zur Tennisspielerin gewährt und ihr das Recht auf Ausreise zugesichert werden.“
Globale VIPs kann Peking nicht kontrollieren
Peng könnte Staatschef Xi noch gefährlich werden, glaubt La Stampa:
„Ihr Fehlen auf der sportlichen Bühne erschüttert die Politik. Je unsichtbarer sie ist, desto sichtbarer wird sie. Je mehr Peking über das Verschwinden schweigt, desto ohrenbetäubender wird das Schweigen. ... Xi Jinping ist auf dem Weg, wie Mao Zedong und Deng Xiaoping lebenslang an der Macht zu bleiben. Aber selbst auf der Ehrenrunde kann man noch auf einer Bananenschale ausrutschen. Die Königin des Damen-Doppels bringt den fast allmächtigen chinesischen Präsidenten in Gefahr. Die anhaltende Me-Too-Welle hat bereits viele mächtige Menschen erfasst. Vielleicht nicht in China, aber Peng Shuai gehört zur Sphäre der globalen Stars, die von niemandem beherrscht wird. Schon gar nicht von den Korridoren der Verbotenen Stadt.“
Außer Waren hat China der Welt nichts zu bieten
Wie bedeutend dieser Fall für China noch werden könnte, reflektiert ABC:
„Als MeToo in den USA aufkam, schrieb die offizielle chinesische Presse, dass derlei Eskapaden nur in kapitalistischen Ländern vorkommen könnten, während China rein und die Frauen den Männern gleichgestellt blieben. ... Diese Affäre, die ähnliche Affären nach sich ziehen wird, schadet Chinas Kampagne von der vorbildlichen Gesellschaft. Das Image des kommunistischen Chinas war ohnehin auf dem Tiefpunkt: zwei Jahre Covid-19, das in Wuhan seinen Anfang nahm, die Eroberung Hongkongs, die Drohungen gegen Taiwan, die Vernichtung der Uiguren, die verschärfte Zensur. ... Das neue China hat nichts zu exportieren, was nicht materiell ist: Das 21. Jahrhundert wird nicht chinesisch sein. ... Und es ist besonders interessant, dass die Rebellion von einer Frau ausgeht.“
Auch Europa sollte über Boykott nachdenken
Die bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 gehegten Hoffnungen auf politische Öffnung wurden enttäuscht, erinnert Le Monde:
„13 Jahre später sind die Illusionen des Westens an der Machtkonzentration Xi Jinpings und der autoritären Ausrichtung des Regimes zerschellt. Noch bevor die Affäre um Peng Shuai ein größeres Ausmaß annahm, hatte US-Präsident Joe Biden bereits einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking ins Auge gefasst, um gegen die Menschenrechtsverletzungen in China zu protestieren. ... Diese Eventualität ist nun dabei, sich praktisch in eine Gewissheit zu verwandeln. Diese Option werden wohl auch die europäischen Delegationen bald prüfen müssen.“