Omikron: Braucht es neue Corona-Strategien?
Die in Südafrika entdeckte Corona-Mutation Omikron hat die Welt in Aufregung versetzt. Trotz eiliger Reisebeschränkungen ist die neue Virus-Variante in Europa bereits mehrmals nachgewiesen. Noch ist unklar, wie gut die bisherigen Vakzine bei ihr wirken. Europas Presse ist sich einig, dass die neue Lage ein Resultat der bisherigen Vernachlässigung armer Länder bei der Corona-Bekämpfung ist.
Südafrikas Transparenz darf nicht bestraft werden
Die Neue Zürcher Zeitung fordert Unterstützung für Südafrika:
„Sollte das Land am Kap auch längerfristig hohen wirtschaftlichen Schaden daraus ziehen, dass es die Welt früh vor einer Gefahr warnte ..., hat das eine Signalwirkung. Andere Länder dürften sich dann gut überlegen, mit wem sie künftig Informationen über allfällige neue Coronavirus-Varianten teilen werden. ... Um dies zu verhindern, ist zweierlei wichtig. Erstens müssen die nun verhängten Flugsperren nur so lange aufrechterhalten werden, wie sie epidemiologisch Sinn ergeben. ... Zweitens wird es wichtig sein, Südafrika vor dem Hintergrund seiner vorbildlichen Transparenz den Rücken zu stärken - bei der Bewältigung der Gesundheitskrise, wenn nötig aber auch finanziell.“
Ganz Afrika zu impfen kommt uns nicht zu teuer
Die Tageszeitung Ethnos kritisiert, dass Afrika im Stich gelassen wird:
„In Afrika sind nur 6,5 Prozent der Bevölkerung mit zwei Dosen geimpft. Die WHO schätzt, dass mit Impfstoffen für 50 Milliarden Dollar alle armen Länder geimpft werden könnten. Diese Kosten sind nichts im Vergleich zu den Schäden, die die Industrieländer durch Covid-19 erleiden und die auf drei Billionen pro Jahr geschätzt werden. Mit anderen Worten, der erforderliche Betrag ist minimal, nämlich nur 1,6 Prozent des Schadens der Industriestaaten. Dennoch gibt es kein Verständnis und keine Hoffnung, dies zu erreichen. Die Initiativen einzelner Institutionen oder Länder sind zwar lobenswert, aber sie lösen das Problem nicht - wie zum Beispiel die 150.000 Impfstoffdosen, die Griechenland nach Ghana geschickt hat.“
Gebt die Impfstoff-Patente frei!
Impfstoffe könnten deutlich billiger sein, meint El Periódico de Catalunya:
„Angesichts der besorgniserregenden Situation wäre es an der Zeit, beispielsweise den vor einigen Monaten von US-Präsident Biden unterbreiteten Vorschlag umzusetzen, die Patente für Impfstoffe vorübergehend freizugeben, um deren Vertrieb oder Herstellung zu Preisen zu erleichtern, die sich Länder mit geringeren Ressourcen leisten können. ... Denn die Pandemie stellt eine kollektive Herausforderung dar, um die wir nicht herumkommen werden. ... Wenn nicht alles mit der gebotenen Umsicht getan wird, könnte das zwei Jahre nach ihrem Ausbruch gefährden, was bisher im Westen unter großen menschlichen und materiellen Opfern erreicht wurde.“
Reiche Länder sind entweder unmoralisch oder dumm
Jornal de Notícias prangert die Haltung der Industrienationen in der Pandemie an:
„Wenn man irgendwann einmal den Verlauf dieser Pandemie analysieren wird, wird es schwierig sein zu entscheiden, ob die Unmoral der reichen Länder oder ihre Dummheit ausschlaggebend war, als sie die epidemiologische Situation der Schwächeren völlig ignorierten ... Jede einzelne Warnung der Wissenschaft vor den Mutationen des Virus ist auf Ängste der Politiker vor der nächsten Wahl und Desinteresse der Gesellschaft gestoßen. Wie verwöhnte und kapriziöse Kinder hat die reiche Welt ein Monopol auf Diagnosen, Behandlungen und Impfstoffe. Zusätzlich gönnen sich ihre Bürger auch noch den Luxus, auf die Straße zu gehen und die Freiheit einzufordern, sich infizieren zu lassen.“
Die Spielräume existieren
Wenn wir dem Virus nicht hinterherlaufen wollen, müssen wir vorausschauend handeln, mahnt die Virologin Antonella Viola in La Stampa:
„Indem wir zum Beispiel aus einer globalen Perspektive heraus beurteilen, wie die uns zur Verfügung stehenden Impfstoffe am besten eingesetzt werden können, das heißt, ob es dringender ist, die 20-Jährigen in Europa mit drei Dosen zu impfen oder dafür zu sorgen, dass das Virus weniger in der Welt zirkuliert. Oder indem wir um eine vorübergehende Aussetzung von Patenten bitten, damit wir mehr produzieren und alle Bedürfnisse ohne allzu viele Kompromisse befriedigen können. Oder indem wir die Militärausgaben für Solidarität verwenden und Impfstoffe für diejenigen kaufen, die sie sich nicht leisten können, statt neuer Waffen.“
Zuviel für einen Gesundheitsminister allein
Es braucht endlich Maßnahmen, die der Dimension der Pandemie gerecht werden, fordert De Volkskrant:
„Wir brauchen eine Anstrengung vergleichbar mit den Deltawerken [riesige Hochwasserschutzanlagen]. Zunächst muss die Kapazität auf den Intensivstationen stark erhöht werden, um zu verhindern, dass die Niederlande jedes Mal zu schnell in den Lockdown müssen. ... Wir brauchen unkonventionelle Maßnahmen. Das ist teuer, aber das sind die Lockdowns auch. ... Wahrscheinlich gelingt das nur, indem man Sonderbeauftragte mit deutlichen Zuständigkeiten anstellt und weitgehenden Vollmachten, die außerhalb der existierenden Entscheidungsstrukturen arbeiten können.“
Moralisches Versagen der Reichen
Es ist kein Zufall, dass die neue Corona-Variante ausgerechnet im südlichen Afrika auftaucht, empört sich die Süddeutsche Zeitung:
„Seit Monaten redet der reiche Norden von globaler Solidarität, davon, dass die Pandemie erst vorbei sei, wenn sie überall besiegt ist. In Subsahara-Afrika sind aber nach wie vor erst wenig mehr als fünf Prozent der Menschen geimpft ... . [D]ie niedrige Impfquote [liegt vor allem] daran, dass die reichen Länder die Dosen lange gehortet haben, und die armen wenig bis nichts abbekamen. ... Es ist ein moralisches Versagen von Gesellschaften, die anderen so oft schulmeisterlich sagen, was sie falsch machen. Hätte Südafrika früher genug Impfstoffe bekommen, wäre die Mutante möglicherweise nicht entstanden.“
Alles zurück auf Anfang
Jetzt braucht es Vorsicht und mehr Informationen, schreibt Novi list:
„Werden die Staaten wieder massenhaft Lockdowns und Restriktionen starten müssen, wie im Frühling vergangenen Jahres, als sie aus Angst vor dem Unbekannten keinen anderen Ausweg sahen? Diese Frage treibt im Moment nicht nur die Bürger um, sondern auch Experten und Politiker. Noch weiß niemand, welche gesundheitlichen Folgen Omikron hervorruft, da die Wissenschaftler noch nicht genügend Informationen haben. ... So lange man das nicht herausfindet, ist die Vorsicht der Experten und Mediziner - die die Maßnahmen gegen die neue Virusvariante verstärken - vollkommen gerechtfertigt.“
Gift für die Wirtschaft
Schon die ersten Meldungen über Omikron haben der Wirtschaft deutlichen Schaden zugefügt, beobachtet Karar:
„Allein die Möglichkeit neuer Lockdown-Maßnahmen sorgte dafür, dass der Ölpreis an einem Tag um mehr als zehn Prozent fiel. Die Erwartung, dass das Verbrauchervertrauen mit der Verschärfung der Epidemie sinkt, die Produktion verlangsamt wird und damit die Energienachfrage sinkt, haben diesen Preisrückgang verursacht. ... Können diese Erwartungen Wirklichkeit werden? Den ersten Verlautbarungen nach zu urteilen ist die Lage nicht rosig. Es ist, als wären wir in einem Teufelskreis: Die Impfquote nimmt zu, die Epidemie verlangsamt sich. Doch während sich die Räder der Volkswirtschaften wieder zu drehen beginnen und wir von Normalisierung reden, taucht eine neue Variante auf und wir fangen wieder von vorne an.“