Wird die Inflation Erdoğan zum Verhängnis?
Die Inflation in der Türkei galoppiert und die Bürger leiden unter dem kontinuierlichen Preisanstieg - auch wenn jetzt eine Anhebung des Mindestlohns, von Renten und Beamtengehältern angekündigt wurde. Die Notenbank hat den Leitzins erneut gesenkt, da Erdoğan so Investoren aus dem Ausland locken will. Zudem soll eine Annäherung an Armenien der Wirtschaft helfen. Kommentatoren glauben aber nicht an Erfolg.
Vor der Lira sind alle gleich
Der Währungsverfall und die Inflation könnten für Erdoğan verheerend werden, meint news.bg:
„Die Abwertung der türkischen Lira und die Inflation sind auf dem besten Weg, die ansonsten starke Beziehung zwischen Erdoğan und den 'Schwarzen Türken' [islamisch geprägte Türken anatolischer Herkunft, die als AKP-Stammwähler gelten] zu erschüttern. Die ersten Anzeichen dafür wurden bereits bei den letzten Kommunalwahlen sichtbar, als die AKP Istanbul und Ankara verloren hat. ... Kann der Verfall der Lira das erreichen, was die türkische Opposition seit 2002 versucht: Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen? ... Vor der Lira sind alle gleich, und sie fällt immer weiter.“
Neuwahlen kommen eher früher als später
Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind für Juni 2023 geplant. Doch derzeit ist die Frage nicht, ob es vorgezogene Wahlen geben wird, sondern wann, kommentiert Journalist Oğuz Demir in Karar:
„Wenn wir davon ausgehen, dass die aktuelle Wirtschaftskrise ausschlaggebend sein wird, glaube ich, dass die Wahlen in der ersten Jahreshälfte [2022] abgehalten werden. Denn in einem hochinflationären Umfeld werden die Erleichterungen höchstens ein paar Monate andauern, die durch die Erhöhung des Mindestlohns, der Renten und der Beamtengehälter erzielt werden. … Jeder Tag, an dem die Regierung nicht zur Wahl geht, bedeutet somit einen weiteren Tag, an dem ihre Stimmenzahl weiter schmilzt! Ich glaube daher nicht, dass sie angesichts dieser Umstände noch länger warten wird.“
So lockt man keine Investoren
Dass Ankara versucht, der Wirtschaft mit außenpolitischen Vorstößen auf die Beine zu helfen, hält Yetkin Report für ein aussichtsloses Unterfangen:
„Eine erfolgreiche Außenpolitik öffnet die Tür zu einer erfolgreichen Wirtschaft. ... Die ausländischen Investoren, nach denen die AKP Ausschau hält, werden ihre Schritte jedoch gründlich bedenken, bevor sie in einem Land investieren, in dem Politiker ununterbrochen den Nachbarländern drohen oder sie kritisieren und jedes Mal die diplomatischen Beziehungen einstellen, wenn es zu einem Konflikt kommt. … Zudem ist dieses Land total unvorhersehbar und die Behörden haben den Ruf, sich in juristische Entscheidungen einzumischen.“
Eine Rechnung, die vorne und hinten nicht aufgeht
Dass hier Wahlkampf über das Wohl der Bürger gestellt wird, kritisiert die kemalistische Yeniçağ:
„Die türkische Zentralbank hat die Zinsen auf politische Anweisung weiter gesenkt und damit dem weiteren Verlust der Lira Tür und Tor geöffnet. ... Anstatt die Inflation zu bekämpfen, werden die Zinsen gesenkt, um Wahlen zu gewinnen. Das wird nicht funktionieren: Die Dollarnachfrage wird weiter stark zunehmen. Schließlich wird die AKP die Wahlen verlieren, das Volk verarmen und nur einige AKP-nahe Firmen reich.“
Da könnte eine kritische Masse entstehen
Nur wenn sich mehr Betroffene den aktuellen Protesten anschließen, könnte das Erdoğan gefährlich werden, beobachtet Dilema Veche:
„Die importierten Medikamente sind so teuer geworden, dass viele Rentner sie sich nicht mehr leisten können. Und der Anstieg der Energiepreise im Zuge der Krise trifft das Land besonders hart. ... Viele einkommensschwache Familien können ihre Strom- und Gasrechnungen nicht bezahlen. In den Großstädten brechen sporadisch Proteste aus. Doch die Proteste rühren vor allem von der Jugend und der Mittelschicht her, die von der Geldkrise weniger betroffen sind. Wird es ihnen gelingen, genügend enttäuschte Menschen zu mobilisieren, um einen Regimewechsel herbeizuführen?“