Ukraine-Krise: Muss Berlin rigider werden?
Internationale Partner werfen Berlin vor, zu wenig Druck auf Moskau auszuüben. Kanzler Scholz hatte erst nach langem Zögern Sanktionen gegen die noch nicht genehmigte Pipeline Nord Stream 2 erwogen. Gegen Waffenlieferungen an die Ukraine bestehen weiter Vorbehalte. Neuen Diskussionsstoff lieferte Altkanzler und Rosneft-Aufsichtsrat Gerhard Schröder, der Kyjiw Säbelrasseln vorwarf. Dass das politische Berlin in der Ukraine-Frage uneinig wirkt, hat für Kommentatoren verschiedene Ursachen.
Die richtigen Lehren aus der Vergangenheit
Die Süddeutsche Zeitung nimmt die deutsche Regierung gegen den Vorwurf in Schutz, sie sei nicht entschieden genug:
„Die hierzulande zum Glück immer noch tief sitzende Skepsis gegenüber militärischen 'Lösungen' behindert die deutsche Außenpolitik nicht, im Gegenteil. Sie gehört zu jener Verantwortung, die sich gerade darin äußert, dass man in Deutschland oft, kontrovers und auch selbstquälerisch über die Lehren aus 'unserer' Vergangenheit debattiert. Diese Debatte allerdings darf entschiedenem Handeln nicht entgegenstehen. ... Bei einem russischen Einmarsch muss die Nato die Ukraine auch mit Militärmaterial unterstützen. Gleichzeitig muss der Aggressor gravierende politische und wirtschaftliche Nachteile erleiden. ... Auch das gehört zu den Lehren der Vergangenheit.“
Wie man es macht, macht man es falsch
Berlin wird sich nur bewegen, wenn sich Europa bewegt, analysiert die EU-Korrespondentin des NRC Handelsblad, Caroline de Gruyter:
„Nur wenn Europa zu einer bedeutenden politischen und militärischen Macht innerhalb der Nato wird, kann Deutschland eine Wende machen. Ohne europäischen Rahmen müsste Deutschland dies national tun. Dann bekommt Berlin es aber sofort wieder mit ganz Europa zu tun und alle klagen über den Alleingang. Macht Deutschland nichts, so wie jetzt, dann ist es auch nicht gut. Eigentlich ist es nie gut.“
Hauptsache, kein Schaden für Deutschland
Die vage Haltung der deutschen Bundesregierung im Ukraine-Konflikt ist bezeichnend, findet Robert Schuster, der Außenpolitik-Chef der Lidové noviny:
„Bundeskanzler Olaf Scholz hat vor der Wahl vollmundig erklärt, wer bei ihm Führung bestelle, der bekomme sie auch. Stattdessen versucht seine Regierung weiterhin, den Eindruck zu erwecken, dass die einzige Antwort auf Russlands imperialen Appetit darin bestehen könnte, den Dialog und die Zusammenarbeit fortzusetzen oder mit nicht näher bezeichneten 'harten Sanktionen' zu drohen. Am besten solche, die in Deutschland niemandem schaden. ... Nun plant man die Lieferung von fünftausend Militärhelmen. Weshalb hat man nicht sofort die Lieferung von Feldküchen angekündigt? Sie hätten auch einen defensiven Charakter.“
Nur Waffen verhindern Gewalt
Die Grünen-Politikerin und Ex-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck fordert in Ukrajinska Prawda Waffenlieferungen an die Ukraine:
„'Keine Rüstung für Krisengebiete' - so lautet seit vielen Jahren die Formel der deutschen Außenpolitik. … Auf den ersten Blick klingt das deutsche Prinzip ausreichend fundiert und ethisch. Wer würde bestreiten, dass die Verhinderung einer Eskalation ein wichtiger Schritt zum Frieden ist? Doch welche Folgen hat dieser Grundsatz in der Realität? Verhindern solche Aktionen Berlins immer eine Zunahme der Gewalt? Die Antwort ist Nein. Das Gegenteil tritt ein: Die Weigerung Deutschlands, Verteidigungswaffen zu liefern, stärkt nur diejenigen, die angreifen.“
Russischen Einfluss auf Europas Machtelite stoppen
Das Beispiel Gerhard Schröder zeigt, wie sehr Europas Machtelite unter russischem und chinesischem Einfluss steht, meint Dagens Nyheter:
„Die Überschneidung zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Elite ist nahezu komplett und Geschäftsleute werden oft als Agenten oder Werkzeuge für politische Zwecke eingesetzt. ... Es muss noch mehr getan werden, um die EU-Institutionen vor russischem und chinesischem Einfluss zu schützen. Personen, die Aufträge für Unternehmen übernehmen, die ausländischen Mächten gehören oder von diesen kontrolliert werden, sollten automatisch von der Tätigkeit in EU-Institutionen ausgeschlossen werden. Längere Karenzzeiten sind erforderlich, bevor Politiker ihre Geschäfte machen können, sowie strengere Sanktionen gegen Personen, die in der Nähe des Kreml tätig sind.“