Schweden und Finnland: Nato-Beitritt in Sicht?
Die durch den Krieg in der Ukraine veränderte Sicherheitslage lässt die bisher neutralen Länder Finnland und Schweden über einen Beitritt zur Nato-Allianz nachdenken. Gerüchten zufolge kann bereits Mitte Mai mit einem gleichzeitigen Antrag auf Mitgliedschaft gerechnet werden. Europas Presse debattiert über mögliche Konsequenzen.
Zeit für Notfall-Vorräte
Kaleva ist besorgt:
„Obwohl Russland wahrscheinlich noch lange in den Krieg in der Ukraine verwickelt sein wird, wäre es naiv zu glauben, dass der Kreml tatenlos zusieht, wie Finnland sich dem 'feindlichen Lager' anschließt. Wir sollten daher auf Beeinflussungsversuche vorbereitet sein, die von Drohungen mit Waffen und Worten bis hin zur Störung von Stromnetzen oder des Internets reichen können. … Lange Stromausfälle oder Probleme mit dem elektronischen Zahlungsverkehr waren für den durchschnittlichen Finnen keine echte Bedrohung. Jetzt ist damit zu rechnen. Ernst nehmen sollte man auch den Rat, im Schrank Vorräte für einige Tage, Kerzen im Haus und ein batteriebetriebenes Radio zu haben.“
Es bleibt ausreichend Freiraum
Schweden kann durch den Nato-Beitritt nur gewinnen, meint Göteborgs-Posten:
„Abschließend sei darauf hingewiesen, dass eine Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis nicht denselben Charakter einer unumkehrbaren Entscheidung hat wie eine EU-Mitgliedschaft. Die Nato basiert nicht auf Institutionen, die für ein kleines Land praktisch unmöglich zu verlassen sind. Nato-Mitgliedsländer haben eine ziemlich weitreichende Freiheit, wenn es um außenpolitische Positionen geht, wie viel sie in ihre Verteidigung investieren wollen oder wie sie zu Atomwaffen stehen. ... Die Besonderheit der Sicherheitspolitik legt es nahe, die Nato-Frage nicht in einem Referendum, sondern in der indirekten Demokratie - also dem Parlament - zu entscheiden.“
Eine demokratische Entscheidung
Aamulehti freut sich, dass dem finnischen Parlament im Nato-Prozess eine zentrale Rolle zukommt:
„Es wäre naiv zu glauben, dass das Parlament einstimmig beschließen würde, dem Verteidigungsbündnis beizutreten. Das ist unrealistisch und in einer Demokratie wie der finnischen auch gar nicht wünschenswert. Stattdessen ist es wichtig, dass das Parlament für die künftige Entscheidung eine breite parlamentarische Unterstützung und natürlich die Unterstützung der für die Sicherheitspolitik zuständigen Regierungsspitze und der wichtigsten Regierungsparteien hat. … Es ist erfreulich, dass das Parlament in der Bündnisfrage nun das Ruder übernommen hat. Damit ist gewährleistet, dass die künftige Entscheidung so demokratisch wie möglich getroffen wird.“
Die Gefahr lauert in Kaliningrad
Corriere della Sera mahnt, die russische Exklave nicht zu vergessen:
„Die geografische Lage dieses Gebiets zwischen Polen und Litauen jagt einem einen Schauer über den Rücken. Der Hafen, einer der wenigen Bereiche der Ostsee, in denen das Meer nicht gefriert, beherbergt das Hauptquartier der russischen Flotte und - westlichen Quellen zufolge - U-Boote und Raketen verschiedener Typen, darunter auch solche mit nuklearer Bewaffnung, die überall in Europa zuschlagen könnten. Der andere wichtige Punkt des Kaliningrader Gebiets ist die so genannte 'Suwalki-Lücke' auf polnischem Gebiet, ein etwa hundert Kilometer langer Korridor, der die Exklave von Belarus trennt und gleichzeitig die einzige Landverbindung der baltischen Länder mit Europa darstellt.“
Finnland in Führung
Es ist noch keine Entscheidung für einen Nato-Beitritt gefallen, aber er rückt näher, stellt Dagens Nyheter fest:
„Eine schwedische Nato-Mitgliedschaft ist keineswegs ein Angriff auf Russland. Sie würde vielmehr bedeuten, dass jede russische Aggression im Ostseeraum für Moskau sehr teuer werden würde. Die Mitgliedschaft ist eine friedenserhaltende Operation, die die Stabilität der Region erhöht, was besonders wichtig ist, nachdem Putin seine Ambitionen offenbart hat. ... Der Mittwoch gab keine klare Botschaft. Aber die Argumente, außerhalb der Nato zu stehen, werden immer schwächer. Finnland hat die Führung übernommen. Finnland hat es vorgemacht.“
Das dürfte Rezipienten in Russland zu denken geben
Ilta-Sanomat schreibt:
„Obwohl Putins Krieg in Propagandamaterialien sogar hochtrabend als 'friedenserhaltende Operation in der Ukraine' bezeichnet wird, erfährt der russische Leser in diversen Artikeln, dass es Russlands 'Spezialoperation' ist, die zur neuen finnischen Nato-Position geführt hat. Der aufmerksame russische Leser wird sicherlich bemerken, dass in Russlands eigenem Handeln etwas ganz im Argen liegen muss, wenn auch das stets so gemäßigte und auf gute Nachbarschaft setzende Finnland begonnen hat, sich ernsthaft um einen Nato-Beitritt zu bemühen. Unabhängig vom Ausgang der Kämpfe in der Ukraine wäre ein möglicher Beitritt Finnlands und Schwedens eine bittere Niederlage für Putin.“
Erweiterung hat Risiken, Nichterweiterung auch
Die russische Bedrohung lässt den beiden Ländern kaum eine andere Wahl, meint NRC Handelsblad:
„Der Beitritt wird auch dazu führen, dass Nato-Truppen an die finnisch-russische Grenze kommen. Und das ist das Letzte, was Putin in Nordeuropa sehen will. In dieser Woche warnte der Kreml noch einmal, dass der Nato-Beitritt beider Länder nachteilige Folgen haben wird für Frieden und Stabilität in Europa. Die Drohungen an die Adresse von Helsinki und Stockholm machen deutlich, dass die Nato beiden Ländern schnell Schutz bieten muss. ... Die ungeplante Erweiterung der Nato im Norden Europas sagt viel aus über die kolossale Fehlkalkulation von Moskau, als Russland den blutigen Krieg auf ukrainischem Boden entfesselte.“
Albtraumszenario für den Kreml
Finnland wäre ein attraktiver Beitrittskandidat für das westliche Militärbündnis, meint der Analyst Cristian Unteanu in Adevărul:
„Wenn es zu einem finnischen Beitrittsantrag kommen wird, dann wird eines der Albtraumszenarien von Russland wahr: Es wird eine weitere Grenze von 1.340 Kilometer mit der Nato haben. Finnland wäre ein zusätzliches kraftvolles Teilstück der Nato und nicht eines, das ständig alle um Hilfe bittet und über alte und ineffiziente Waffensysteme verfügt. Es sei nur daran erinnert, dass Finnland im vorigen Jahr 64 F-35-Kampfflugzeuge bestellt hat und es, wie kürzlich der frühere Premier Alexander Stubb erklärte, bei einer Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen eine reale und schnelle Kapazität zur Mobilisierung von 280.000 bis 300.000 Personen hat.“
Ein politisches Dilemma
ABC freut sich für Schweden und Finnland, fragt sich aber, warum dann die Ukraine nicht in die Nato darf:
„Der Kreml hat angesichts des Nato-Beitritts dieser beiden Länder mehr oder weniger explizit gedroht, weil er ihn zu Unrecht als expansionistische und aggressive Politik gegen seine Interessen betrachtet. ... Der beschleunigte Beitritt führt in ein gewisses politisches Dilemma, und zwar wegen der Haltung des Bündnisses angesichts der verzweifelten Hilferufe der Ukraine. Das Land wird tatsächlich angegriffen, und es zeichnet sich so schnell kein Beitritt in die Organisation ab.“
Zeit der Denkverbote auch in der Schweiz vorbei
Die Armee der neutralen Schweiz will mit der 'Gesamtkonzeption Cyber' den digitalen Bereich ausbauen. Eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit mit der Nato zu intensivieren, meint die NZZ:
„Was fast gänzlich fehlt, sind Überlegungen, wie die Schweizer Armee an die Systeme der Nato andocken kann. Dafür waren bisher die politischen Rahmenbedingungen schlicht nicht gegeben. Dies hat sich allerdings geändert. Die Schweiz ist dabei, den Neutralitätsbegriff neu zu verhandeln. Eine engere Kooperation mit den militärischen Nachbarn ist plötzlich wieder denkbar. … Es ist jetzt der richtige Moment, günstige Voraussetzung zu schaffen: für eine digitalisierte Neuauflage der kurzfristig eingemotteten Konzeption 'Sicherheit durch Kooperation'. Die Zeit der sicherheitspolitischen Denkverbote ist vorbei.“