Droht in der Ukraine der Einsatz von Atomwaffen?
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat am Dienstag erklärt, mit der Großoffensive gegen die Ostukraine habe eine "neue Phase" des Krieges begonnen. Die russischen Streitkräfte intensivierten ihre Angriffe, die Lage in der umkämpften Hafenstadt Mariupol ist dramatisch. Kommentatoren debattieren mit Sorge, ob diese neue Phase auch den Einsatz von Atomwaffen bedeuten könnte.
Selbst China würde das verurteilen
Für ausgeschlossen hält der Kolumnist der NV, Iwan Jakowyna, einen russischen Atomwaffeneinsatz nicht:
„Ich glaube, Putin überlegt sich jetzt, ob er tatsächlich Atomwaffen einsetzen soll, um den Krieg ein für alle Mal zu beenden. Einerseits könnte es ihm vielleicht helfen, obwohl ich mir da nicht sicher bin, aber andererseits wäre es sicherlich ein Urteil über ihn und alle in seinem Umfeld. Denn selbst China wird nach dem Einsatz von Atomwaffen alles tun, um ein Regime loszuwerden, das sich nicht scheut, Atombomben einzusetzen.“
Gleichgewicht des Schreckens scheint aufgehoben
Der Journalist und ehemalige Handelsminister von Venezuela, Moisés Naím, fragt sich in einem Gastbeitrag in La Repubblica, ob Putin taktisch vorgeht:
„Ist Wladimir Putin ein nihilistischer Soziopath, für den das Leben keinen Wert hat und der bereit wäre, Atomwaffen gegen seine Feinde einzusetzen? Oder ist er eher ein geschickter Verhandlungsführer, der die nukleare Bedrohung nutzt, um seinen Gegnern Zugeständnisse abzuringen, und der letztendlich nur den Einsatz konventioneller Waffen zulassen wird? ... Jahrzehntelang hat das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens dazu gedient, die führenden Politiker der Welt davon abzubringen, Atomwaffen einzusetzen. ... Es hätte keine Gewinner gegeben. Aber jetzt scheinen sich die Dinge geändert zu haben.“
Der Druck auf den Westen wächst
Putin droht mit der Atomwaffe, um den Westen vom Krieg fernzuhalten, meint Népszava:
„Würde Russland versuchen, die Ukraine mit Atomwaffen zu besiegen, würde Putin dieser Schandfleck für immer und ewig anhaften. Der Kreml lässt diese Möglichkeit trotzdem weiterhin in der Luft hängen, um die Nachbarn und westliche Unterstützer der Ukraine - vor allem die USA - von dem Krieg fernzuhalten. Bisher scheint diese Strategie zu funktionieren, aber die Beweise für das Massaker in Butscha erhöhen den Druck auf die westlichen Politiker, Moskau konkreter und bedrohender als bisher herauszufordern.“
Ein dritter Weltkrieg ist möglich
Eine krasse Ausweitung des Krieges befürchtet der Politologe Valentin Naumescu in Revista 22:
„Ich würde nicht ausschließen, dass ein Land an der Ostflanke der Nato in den Krieg gezogen wird und Russland dann angesichts der Aktivierung von Artikel 5 [des Natovertrags] in einen Krieg mit dem gesamten Natobündnis tritt. Was wir sicher wissen, sind zwei Dinge: dass Putins Krieg sich in die Länge zieht und dass das russische Dritte Reich auf lange Sicht der Verlierer sein wird. Was wir nicht wissen, ist, wie weit dieser Moment entfernt ist und wie groß die Zerstörung und die Kosten der Konfrontation in Europa noch sein werden, insbesondere wenn Putin in seiner letzten Verzweiflung einen dritten Weltkrieg entfacht.“