EZB leitet Zinswende ein
Nach langem Zögern hat die Europäische Zentralbank eine deutliche Erhöhung des Leitzinses um 0,5 Prozentpunkte beschlossen. Ebenso wurde das neue Kriseninstrument TPI geschaffen, mit dem über Anleihekäufe stark verschuldeten Staaten geholfen werden soll. Kommentatoren bezweifeln, ob die Doppelkrise aus Inflation und drohender Rezession damit gelöst werden kann.
Kein Wundermittel
Die Leitzinserhöhung war nötig, aber ist deshalb nicht weniger schmerzhaft, meint The Irish Times:
„Kreditnehmer sehen sich mit höheren Rückzahlungsraten konfrontiert und weitere Erhöhungen werden noch folgen. In normalen Zeiten mögen die meisten das verkraften können, aber mitten in einer Krise der Lebenshaltungskosten werden die Rückzahlungen vielen schwerfallen. Die EZB hatte kaum eine andere Wahl, als die Zinssätze zu erhöhen, aber in einer Zeit in der Angebotsfaktoren – insbesondere höhere Energiekosten – und nicht eine starke Nachfrage der Verbraucher die Preise in die Höhe treiben, ist es kein Wundermittel.“
Italien verspielt sein Vertrauen
Flankierend zur Zinserhöhung beschloss der EZB-Rat das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI), das gezielte und unbegrenzte Anleihekäufe einzelner Länder ermöglicht, um Risikoaufschläge für hochverschuldete Länder wie Italien zu bändigen. Doch das funktioniert nur, wenn die profitierenden Länder eine gewisse Verantwortung tragen, mahnt La Stampa:
„Das Instrument stützt sich auf zwei Komponenten: den Einsatz der zur Erreichung eines bestimmten Ziels erforderlichen Ressourcen und die Einhaltung einer Reihe von Auflagen. Die erste (Solidarität) kann nicht von der zweiten (Verantwortung) getrennt werden. Dass sie diesen Zusammenhang nicht begriffen haben, ist einer der Fehler derjenigen, die beschlossen haben, der Draghi-Regierung den Stecker zu ziehen.“
EZB bleibt Getriebene
Das Dilemma, in dem die EZB steckt, beschreibt die Frankfurter Rundschau:
„Die Inflation schreit förmlich nach drastischer Zinserhöhung, die drohende Rezession und das wieder mal wackelnde Italien mahnen eher zur Vorsicht. Die Europäische Zentralbank hat in dieser Lage das Mindestmaß getan ... Daran ist nichts falsch, aber in beiden Fällen [Zinserhöhung und TPI] darf man bezweifeln, ob es genügen wird. Nachdem die EZB die Entwicklung lange falsch eingeschätzt hat, wird auch die Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt die Inflationserwartungen kaum dämpfen. Und das neue Kriseninstrument TPI klingt bisher noch ein bisschen zu vage, um an den Kapitalmärkten Eindruck zu machen. So ändert sich nichts an dem Eindruck, dass die Zentralbank eine Getriebene ist.“
Schritt zurück nicht undenkbar
Die wirtschaftliche Lage verheißt nichts Gutes, warnt NRC Handelsblad:
„Es wäre nicht das erste Mal, dass die EZB von der Realität eingeholt wird. Das letzte Mal, als die EZB den Zins erhöhte, 2011, musste sie diesen Schritt innerhalb weniger Monate zurückschrauben, weil die europäische Wirtschaft in einer Rezession landete. Es ist nicht undenkbar, dass dies jetzt erneut geschieht: Die Kombination aus steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen nach der russischen Invasion in die Ukraine, Zurückhaltung der Unternehmen bei Investitionen und das anhaltende Sinken des Verbrauchervertrauens auf Rekordtiefstwerte verspricht wenig Gutes für die nahe Zukunft.“
Spanien braucht einen wirtschaftlichen Umschwung
El Mundo ist angesichts der enormen Staatsverschuldung Spaniens besorgt, denn nun werden auch Schulden teurer:
„Wir sind das am vierthöchsten verschuldete Land in der EU. ... Dieser Richtungswechsel der EZB wird die Kosten der Regierung für die Platzierung ihrer Schulden um ein Vielfaches erhöhen und den Zugang zu den Märkten für Länder wie Spanien erschweren. ... Die Bürger, die Hypotheken haben oder Kredite aufnehmen müssen, werden unter der Entscheidung leiden, und es ist zu erwarten, dass der Konsum zurückgehen und die Produktion sich verlangsamen wird. Aus all diesen Gründen ist Spanien gezwungen, einen wirtschaftlichen Umschwung einzuleiten, der nicht aufgeschoben werden kann.“