Wie auf das Rushdie-Attentat reagieren?
Die Messerattacke auf den Autor Salman Rushdie schockiert die Welt: Der Schriftsteller wurde am Freitag bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat New York von einem 24-Jährigen schwer verletzt. Der Verfasser des Werks Die Satanischen Verse lebt seit Jahrzehnten in Gefahr, nachdem Irans ehemaliger Führer Khomeini 1989 zu seiner Tötung aufgerufen hatte. Die Presse debattiert, wie Solidarität gezeigt werden kann.
Der Kampf muss weitergehen
Nicht nur die Politik, auch Kulturschaffende und Intellektuelle müssen auf das Attentat reagieren, fordert das Team der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo in Le Monde:
„Das Paradoxe ist, dass so viele Menschen den Angriff auf Salman Rushdie verurteilen, aber vergleichsweise wenige Reaktionen aus dem Lager der Künstler kommen, die weiterhin Werke veröffentlichen wollen, die die Vision des Autors der Satanischen Verse fortführen. Denn wer wird, nach all denjenigen, die bereits ermordet wurden, wie Theo van Gogh, und denen, die bei Vorträgen niedergestochen werden, wie Salman Rushdie, noch übrig bleiben, um ihr Denken und ihren Kampf fortzusetzen?“
Freies Denken ist unbesiegbar
Das freie Denken wird über die Islamisten triumphieren, ist Népszava sicher:
„Das Ziel ist die Einschüchterung. Durch Terrorismus, öffentliche Hinrichtung, Verstümmelung, Zwangsehe, Vergewaltigung von Frauen und das Verbot ihrer Bildung, durch Verbot von Internet, Filmen, Musik und Feier. Sie denken, dass Gewalt und Angst gewinnen können. Doch es gibt jede Minute, jede Stunde, jeden Tag jemanden, der sie widerlegt. Salman Rushdie beweist bereits seit 33 Jahren, dass man trotz Fatwa leben und schaffen kann. Damit bekennt er sich dazu, dass die freien Gedanken unbesiegbar sind.“
Ein Held wie Snowden und Assange
Für Jornal de Notícias machte Salman Rushdie den Anfang einer Reihe von Personen, die für diejenigen an der Macht unbequem wurden:
„Den unter 33-Jährigen sind Namen wie der Australier Julian Assange und der US-Amerikaner Edward Snowden geläufiger. Die Geschichte der beiden wurde durch die sozialen Netzwerke bekannter gemacht und sie wurden zu Helden. Die beiden Protagonisten flohen von Land zu Land, um den westlichen Behörden zu entkommen. Rushdie tat dasselbe, aber in diesem Fall, um der harten Hand der östlichen Konvertiten zum radikalen Islam zu entkommen. Der indische Schriftsteller widersetzte sich den Sitten und Gebräuchen, brach mit dem Dogma und zahlte den Preis dafür.“
Kein Aber bei der Meinungsfreiheit
Upsala Nya Tidning erinnert daran, dass es bei der Verteidigung der Meinungsfreiheit keine Einschränkungen geben darf:
„Ein gängiges Argument - nicht selten wird es nach dem Satz angeführt 'Ich hätte gern Meinungsfreiheit, aber …' - ist, dass man zumindest nicht verletzen und beleidigen dürfen sollte. Salman Rushdie hat darauf die beste Antwort gegeben: 'Was ist Meinungsfreiheit? Ohne die Freiheit zu beleidigen, hört sie auf zu existieren.'“
Dem Bösen nicht nachgeben!
Für Aktuálně.cz ist jetzt die Reaktion auf das Attentat entscheidend:
„Werden wir die weitere Verbrennung der Werke des Autors und die jetzt auf sozialen Medien nachzulesende Verherrlichung des Anschlags zulassen? Werden die Buchhandlungen aus Angst den Verkauf der Satanischen Verse erneut einstellen? Oder werden sie in den europäischen Schulen in die Pflichtlektüre aufgenommen, als Symbol dafür, dass man vor dem Bösen nicht zurückweicht?“
Ironie und Vielfalt erhalten
Salman Rushdie ist ein perfektes Hassobjekt für Fanatiker, analysiert der Schriftsteller Nicola Lagioia in La Stampa:
„Seine Literatur basiert auf Ironie und Vielfältigkeit. Die Ironie verlacht all unser Streben nach Reinheit. Die Vielfalt, die verschiedenen Standpunkten Würde verleiht, untergräbt den Anspruch, dass eine einzige Wahrheit ausreicht, um nicht nur die Welt, sondern auch ein einzelnes Individuum zu erklären. … Für die Literatur wird der religiöse Fundamentalismus immer eine Bedrohung darstellen. Polytheismus und die Parodie heiliger Texte (wie auch der Epen) sind der Nährboden des modernen Romans. William Shakespeare ist vielstimmig, ebenso Charles Dickens und Gabriel García Márquez, dem Rushdie viel verdankt.“
Weitere Sanktionen helfen nicht
Die taz glaubt nicht, dass noch mehr Schärfe gegen den Iran etwas bewirken würde:
„Das Sanktionsregime gegen Teheran ist äußerst rigide. Iran ist schon lange vom internationalen Zahlungsverkehr Swift und dem Import von Hightechprodukten abgekoppelt. Zudem betreibt der Westen eine doppelgesichtige Sanktionspolitik. Scharf gegen den Iran, weich gegen das repressive Saudi-Arabien, das als Verbündeter gilt, dessen Öl man braucht. Der Ruf nach noch mehr Sanktionen ist verständlich, aber kurzsichtig. Nicht zu vergessen: Die ultrakonservativen Hardliner sind in Teheran auch mithilfe von Trump an die Macht gekommen. Der entfachte ein Feuerwerk von Drohungen, Provokationen und immer neuen Sanktionen gegen den Iran. Genutzt hat das nichts, im Gegenteil.“
Klare Distanzierung Teherans nötig
Kristeligt Dagblad wünscht sich mehr Druck auf den Iran:
„Angesichts des Attentats vom Freitag sollte die Weltgemeinschaft – nicht zuletzt das oft konfliktscheue UN-System – von der iranischen Geistlichkeit eine klare und unmissverständliche Stellungnahme zu dem Vorfall fordern. Gilt die Sympathie des Iran Rushdie oder dem Täter? ... Ja, UN-Generalsekretär António Guterres hat 'Entsetzen' über das Attentat zum Ausdruck gebracht, aber wagen er und die Führung der EU, einen Schritt weiter zu gehen und die Nation und die extremistische Denkweise herauszufordern, die die Meinungsfreiheit seit mehr als drei Jahrzehnten behindert?“
Kapitulation des Westens
Würde jemand die Satanischen Verse heute veröffentlichen? Mit dieser Frage beschäftigt sich El Mundo:
„Der Fall Rushdie ist für uns deshalb so relevant, weil er den Beginn einer groß angelegten präventiven Zensur markiert. Seitdem haben die Kulturindustrie und die politischen und wirtschaftlichen Mächte mit zunehmender Feigheit, die heute als 'extreme Vorsicht' bezeichnet wird, gegenüber dem islamischen Fundamentalismus gehandelt. ... Deshalb geht es uns heute schlechter als 1989. Der Westen, der bereits vor der Gefahr der Gewalt kapituliert hat, wird nie wieder ein solches Risiko eingehen. Deshalb verliert der Westen von Tag zu Tag mehr an Bedeutung.“