Italien-Wahl: Sieg der Rechten zeichnet sich ab
Vor der Wahl in Italien liegen die postfaschistischen Fratelli d'Italia (FdI) unter Giorgia Meloni in Umfragen weiterhin an der Spitze, die sozialdemokratische Partito Democratico abgeschlagen auf Platz zwei. Für den rechten Block aus FdI, Lega und Forza Italia bestünde damit die Möglichkeit einer komfortablen Mehrheit. Europas Presse fragt sich: Wo liegen dann Italiens neue politische Koordinaten?
Das wird die EU verändern
Ein Sieg der Ultrarechten würde europaweit Wellen schlagen, sorgt sich Sydsvenskan:
„[Meloni] hat bereits Gesetzesänderungen - im Stile Ungarns unter Viktor Orbán - angekündigt, die wahr werden könnten, sollten die drei rechten Parteien eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus wie auch im Senat bekommen: Italienisches Gesetz soll über dem EU-Gesetz stehen und die Exekutive gestärkt werden - mit einem direkt gewählten Präsidenten, der Macht über die Regierung hat und das Parlament auflösen kann. Kürzlich erst stellte sich Meloni gegenüber der EU-Kommission auf Orbáns Seite. ... Die Partnerschaft der beiden dürfte auf künftigen EU-Gipfeln für Unruhe sorgen. ... Das wäre eine historische Veränderung für eine EU, die schon jetzt von antidemokratischen Kräften herausgefordert wird.“
Fratelli d'Italia sind nicht prorussisch
Für Tygodnik Powszechny ist wichtig, dass Melonis Partei nicht prorussisch eingestellt ist:
„Die Fratelli d'Italia gehören zwar zur Familie der Rechtspopulisten, die Moskau zu umwerben und manchmal auch zu finanzieren versucht, sind aber - wenn man beispielsweise den jüngsten Erklärungen von [US-Außenminister] Antony Blinken Glauben schenken darf - finanziell sauber und agentenfrei. Meloni ist sich darüber im Klaren, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Moskau eine der Grundvoraussetzungen dafür ist, dass die westlichen Verbündeten ihr eine freie Ausübung der Regierungsgeschäfte ermöglichen, sodass sie ihre Wähler in anderen Bereichen zufrieden stellen kann, mit der 'Verteidigung der Werte' und der 'Verteidigung der Grenzen' an erster Stelle.“
Ein Bärendienst für die Frauenbewegung?
Ist es ein Erfolg für die italienischen Frauen, wenn Giorgia Meloni erste Ministerpräsidentin des Landes wird, fragt sich die Frankfurter Allgemeine:
„Für einen Teil der feministischen Bewegung ist Giorgia Meloni von vornherein unwählbar - egal welche Erfolge sie als Frau unter Männern errungen hat. Eine Person, die sich nicht für die Rechte aller Mitglieder einer Gesellschaft einsetze, sondern xenophobe Stereotype verbreite, könne niemals die Sache des Feminismus voranbringen, argumentieren sie und warnen generell vor Melonis gesellschaftspolitischer Vision. ... Was aber schon jetzt feststeht: Durch Giorgia Meloni als einzige Politikerin im Zentrum des italienischen Wahlkampfs wurden Frauen, ihre Rechte und ihre Interessen plötzlich zum wichtigen Thema.“
Allenthalben leere Versprechungen
Den Wählern das Blaue vom Himmel versprochen - und zwar von allen Parteien, moniert Times of Malta:
„Die Rechts-Koalition, die voraussichtlich am Sonntag die Wahl gewinnen wird, hat 40 Zusagen für öffentliche Ausgaben gemacht, aber nur drei Aussagen dazu, wie sie das finanzieren möchte. Die von der Partito Democratico angeführte Mitte-Links-Gruppe machte 66 öffentliche Zusagen und erklärte nur in vier Fällen, wie das finanziert werden soll. So vorhersehbar wie Hitzewellen im August haben alle Parteien eine pauschale Antwort darauf, wie sie ihre Versprechen einlösen können: Sie alle wollen gegen Steuerhinterziehung vorgehen. Wie sie das anstellen wollen und was sich konkret ändern wird, wird aber nicht erklärt.“
Irreführende Imagepflege mit Katzenvideos
Man sollte sich von Meloni nicht täuschen lassen, warnt The Guardian:
„Sie hat jüngst Katzenvideos und weichgezeichnete Selfies gepostet, um ein nichtssagendes Image zu pflegen, das moderate Wähler überzeugen soll. Es ist auffallend, dass sie im Gegensatz zu Verbündeten wie Matteo Salvini, der für drakonische Sicherheitsgesetze steht oder Silvio Berlusconi, der seit Jahren eine vermögensfreundliche Pauschalsteuer fordert, keine Vorzeige-Forderungen hat. ... Einige Kommentatoren interpretieren Melonis weicheres Image als Beweis dafür, dass sie eine gemäßigte Premierministerin wird. Aber die Bilanz ihrer Partei in der Regionalverwaltung lässt anderes vermuten. In der Marche-Region, wo die Fratelli d'Italia seit 2020 regieren, wurden Schwangerschaftsabbrüche auf die ersten sieben Wochen beschränkt.“
Inflation spielt den Rechten in die Hände
Der Publizist Ferruccio de Bortoli schreibt in Corriere del Ticino:
„Soziale Unruhen verstärken ihre Unterstützung überall. Die ungeordnete Globalisierung hat vor allem die Mittel- und Arbeiterklasse getroffen. Die nahen Wirtschaftskrisen mit explodierenden Energiekosten haben die Armut noch vergrößert. Die Einwanderung wird als Bedrohung der nationalen Identität empfunden. Die Europäische Union hat eine angemessene Antwort auf die Pandemie gegeben. Es ist jedoch schwierig, eine Vereinbarung zu finden, die die von der Inflation am stärksten betroffenen Familien schützt. ... Das Anwachsen der Stimmung in der Bevölkerung gegen die Werte der Union ist weitaus gravierender als der Brexit.“
Schicksalhafte Verbundenheit
Corriere della Sera betont die Wichtigkeit der EU für Italien:
„Europa war ein zentrales Thema des Wahlkampfes. ... Dabei wurde der Hintergrund unserer Beziehungen zur EU aus den Augen verloren, insbesondere die entscheidende Rolle, die die europäische Mitgliedschaft im Laufe der Zeit für Italien gespielt hat. ... Warum ist unser Land 1957 dem Vertrag von Rom beigetreten? ... Wir sollten uns daran erinnern, dass es damals politische und soziale Kräfte gab, die das demokratische System, die westliche Position und die Marktwirtschaft in Frage stellten. Das Schicksal Italiens musste an das Schicksal von Ländern gebunden werden, die fortschrittlicher und stabiler waren als wir. Und auf diese Weise das Wachstum und die Modernisierung des schwachen Staatsapparates fördern.“
Ein Albtraum für Berlin
Anlässlich des Deutschlandbesuchs des Chefs der italienischen Sozialdemokraten, Enrico Letta, schreibt La Repubblica:
„Für Berlin ist die bloße Möglichkeit, dass sich die extreme Rechte entlang einer imaginären Linie von Norden nach Süden, die Schweden, Polen, Ungarn und Italien verbindet, zusammenschließen könnte, ein Albtraum. ... Die Aussicht auf eine neue, durch Gas verursachte Finanz- und Industriekrise steht nun im Mittelpunkt aller Regierungsmaßnahmen. Das gilt auch für die Notwendigkeit einer einheitlichen Reaktion auf Putins hybriden Krieg. ... Es besteht die Befürchtung, dass die Europäische Union eine Zeit der permanenten Lähmung erlebt. Unfähig, auf den Kreml zu reagieren und den Bürgern Lösungen anzubieten.“
Gesellschaftsvertrag statt Neoliberalismus
El Periódico de Catalunya sieht die Ursache für den Erfolg der Rechten in Europa in fehlgeleiteter Wirtschaftspolitik:
„Der Gedanke, dass die extreme Rechte in einem EU-Staat regieren könnte, erschreckt uns immer wieder. ... Jetzt müssen wir hoffen, dass Meloni nicht die nächste italienische Premierministerin wird. ... Der Schlüssel dagegen ist die Wiederherstellung des Gesellschaftsvertrags, der die Grundlage für die größte Wohlstandsperiode in der europäischen Geschichte war: Chancengleichheit, Wirtschaftswachstum und der Einkommenspakt [Plan der Regierung Spaniens u.a. zur Abfederung der Inflation für Arbeitnehmer]. ... Dieser Gesellschaftsvertrag wurde gebrochen, als die Wirtschaft zu einer Finanzwirtschaft wurde, als die Globalisierung aufhörte, Steuer- und Arbeitsdumping zu bestrafen, und als der Neoliberalismus den Sozialliberalismus auflöste.“
Energiekrise befördert Populismus
Die politische Mitte in Europa muss die Sorgen der Bevölkerung um Energie unbedingt ernst nehmen, warnt Új Szó:
„Da die europäischen Populisten oft euroskeptisch sind, kann ihr Regierungsantritt in EU-Mitgliedstaaten die Handlungsfähigkeit der EU untergraben. Im Moment zeigt sich dies am deutlichsten im Bereich der Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die europäischen populistischen Parteien machen vor allem die Sanktionen für die steigenden Energiepreise in Europa verantwortlich. ... Die regierende europäische politische Mitte muss daher schnellstmöglich Lösungen für die Sorgen der Bevölkerung um Energie finden, denn die hohen Energierechnungen und eine eventuelle Rezession in Europa werden die Attraktivität von Populisten weiter erhöhen.“