Steuersenkung: Britische Regierung rudert zurück
Nach heftigen Protesten und Turbulenzen an den Finanzmärkten hat die britische Regierung einen Rückzieher bei ihren Steuerplänen gemacht. Mehrere Abgeordnete der Konservativen hatten gedroht, gegen die geplante Senkung des Spitzensteuersatzes zu stimmen, woraufhin Finanzminister Kwasi Kwarteng das Vorhaben zurücknahm. "Wir haben es verstanden, wir haben zugehört", teilte er mit. Kommentatoren sind geteilter Ansicht.
Premierministerin spielt 'Trussian Roulette'
Truss hat mit dem Feuer gespielt und sich verbrannt, meint die Kleine Zeitung:
„Eine demütigende Kehrtwende, die das Vertrauen in die Kompetenz der neuen Regierung nicht nährt. Steuerentlastungen auf Pump sind 'Trussian Roulette'. Vor allem ist es eine Verhöhnung der am finanziellen Abgrund stehenden Bevölkerungsschichten, gerade die Einkommensstärksten zu entlasten: Der Rest des Landes steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und weiß nicht mehr, wie es die exorbitanten Lebenshaltungskosten – allen voran Energiepreise – stemmen soll.“
Endlich wieder echte Tory-Politik
Die Kritik am Finanzkurs der Regierung ist ungerechtfertigt, findet The Sun:
„Truss konfrontiert Großbritannien durch ihre lobenswerte und wachstumsfördernde Strategie mit einigen harten Wahrheiten. Wir werden ärmer. ... Wir müssen die Produktivität steigern, die Steuern, die auf einem 70-jährigen Höchststand sind, senken und auch deregulieren. ... All das sollte nicht im Geringsten umstritten sein. Aber Großbritannien ist unter Labour UND den Tories so an selbstgefälligen Sozialismus 'light' gewöhnt – besonders nach zwei massiven staatlichen Rettungspaketen –, dass fast 40 Prozent die Steuersenkungen der Konservativen für 'extrem' halten. ... Wenn die Tories nicht für niedrige Steuern, einen schlankeren Staat und ein reicheres Großbritannien für alle stehen dürfen, wofür denn dann?“
Kehrtwende ist ein Fehler
Für The Daily Telegraph ist das Einlenken falsch:
„Die Argumente für eine Reduzierung des Spitzensteuersatzes auf ein Niveau, mit dem Labour während seiner letzten Regierungszeit glücklich war, waren gut, aber sie wurden nicht gut kommuniziert, und nun ist es unmöglich, diese Reduzierung durchzusetzen. Sie sollte eigentlich zum Symbol für eine neue Ära werden und auf eine Regierung verweisen, die sich dem Wachstum verschrieben hat. ... Angesichts einer globalen Konjunkturkrise nichts zu tun, war keine Option, erklärte Kwarteng. ... Er hat Recht und deshalb ist die Abkehr von der Senkung so ein Rückschlag. Sie wurde nicht aufgegeben, weil der Ansatz falsch war, sondern weil die parlamentarische Arithmetik dagegensprach.“
Der gute Ruf ist hin
Der Schaden ist für die Tories nicht mehr gutzumachen, glaubt Financial Times:
„Mit ihrem vielleicht ersten fundierten Urteil in dieser Angelegenheit kam die politische Führung zu dem Schluss, dass es besser sei, das Thema vom Tisch zu haben, als alles andere in Mitleidenschaft zu ziehen, was sie erreichen will. Ihre Hoffnung wird sein, dass widerspenstige Abgeordnete nun befriedet sind und sich hinter die Regierung stellen. Aber die große Frage ist, ob der angerichtete Schaden gutzumachen ist. Das Ausmaß dieses Fehlers kann kaum überschätzt werden. Der Ruf der Kompetenz ist dahin.“
Die Truss-Konkurrenten riechen schon Blut
Ein denkbar schlechter Start für Liz Truss, höhnt Corriere della Sera:
„Meinungsumfragen zeigen einen unaufhaltsamen Aufstieg der Labour-Partei, die sich nun als die Partei der wirtschaftlichen Zuverlässigkeit präsentieren kann. Die Premierministerin hat sich deshalb für einen Teilrückzug entschieden, um Luft zu holen und zu versuchen, ihre Partei und das Land von der langfristigen Richtigkeit ihrer Strategie zu überzeugen. Aber es ist nicht sicher, dass ihr noch viel Zeit bleibt: Liz Truss wollte sich als die neue Margaret Thatcher präsentieren, während sie immer mehr wie Theresa May aussieht, die nach einer Reihe von Fehlern und Rückschlägen ihre Autorität verloren hat und schließlich schmachvoll vor die Tür gesetzt wurde. Die Konservativen riechen bereits Blut.“
Warnung an schwedische Konservative
Für Aftonbladet ist der britische Rückzieher auch ein Warnsignal an den schwedischen Konservativen Ulf Kristersson, der in Stockholm zurzeit versucht, eine Regierung zu bilden:
„Die Pläne von Ulf Kristersson sind vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die seiner britischen Kollegin. Kristersson war im Wahlkampf für umfassende Steuersenkungen eingetreten. Und er tat dies in einer Situation, in der die Gesellschaft alle Ressourcen braucht, um reines Elend unter den Schwächsten zu vermeiden. Darüber hinaus würde diese Politik den Versuchen der Reichsbank entgegenwirken, die Inflation zu senken und die Zinssätze zu erhöhen. Kristersson hat die Chance, das Fiasko zu vermeiden, das Liz Truss erlitten hat. Er kann die Vorschläge für Steuersenkungen bereits in den laufenden Regierungsverhandlungen zurückziehen. Die Frage ist nur, ob das konservative Zwangsverhalten das zulässt.“