Weitere EZB-Zinserhöhung: Das richtige Mittel?
Um die drastische Inflation in der Eurozone abzumildern, hat die Europäische Zentralbank den Leitzins am Donnerstag ein weiteres Mal auf nun zwei Prozent angehoben. Mit der Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte werden Kredite verteuert und die Nachfrage soll gesenkt werden, um den Anstieg der Preise abzuschwächen. Kommentatoren debattieren, ob eine mögliche Rezession das kleinere Übel ist.
Immer noch zu wenig
Auch der neue Zinsschritt wird kaum reichen, stellt das Handelsblatt fest:
„Weitere entschiedene Zinsschritte werden folgen müssen. Denn die Inflationsrisiken nehmen nicht ab. ... Kommen jetzt noch die Zweitrundeneffekte durch hohe Lohnforderungen hinzu, wird es extrem schwierig, die Dynamik zu durchbrechen. Um die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, die die EZB durch das fahrlässige Herunterspielen der Inflationsrisiken im vergangenen Jahr verloren hat, müsste die Zentralbank noch mehr unternehmen, als die Zinsen zu straffen. So ist es höchste Zeit, die Programme zum Ankauf von Staatsanleihen, wie im vergangenen Jahr bereits angekündigt, wirklich herunterzufahren. Doch dazu sieht sich der EZB-Rat nicht in der Lage.“
Reinigende Wirkung nutzen
Weitere Zinsschritte müssen auch bei einer drohenden Rezession folgen, meint Der Standard:
„Diese erscheint ohnedies unvermeidlich und drosselt verlässlich die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen - und damit auch den Inflationsdruck. … Auch wenn Politiker Rezessionen meiden wie der Teufel das Weihwasser, Volkswirte wissen auch von deren reinigender Wirkung. Denn durch eine rückläufige Wirtschaftsleistung scheiden unproduktive Unternehmen aus, die sich bisher gerade so über Wasser halten konnten - nicht zuletzt dank der jahrelangen Nullzinsphase der EZB und massiver Corona-Hilfen. Damit sollte jetzt Schluss sein, denn solche sogenannten Zombiefirmen binden Kapital und vor allem Personal, das in anderen Bereichen händeringend gesucht wird.“
Die Situation ist einfach sehr kompliziert
La Vanguardia kann die Einwände von verschiedenen Seiten verstehen:
„Mit der Verteuerung des Geldes verfolgt die EZB das Ziel, Konsum und Investitionen zu bremsen, um die Wirtschaftsakteure zu zwingen, ihre Preise anzupassen. ... Enmanuel Macron und Giorgia Meloni haben sich dagegen ausgesprochen, weil sie glauben, dass dies zu Rezession und sozialen Unruhen führen könnte. ... Deutschland hingegen drängt die EZB, alles zu tun, um die Inflation zu senken. Die meisten Zentralbanker sind sich einig, dass eine Rezession weniger schlimm ist als eine anhaltend hohe Inflation. ... Die Frage ist, ob die Verteuerung des Geldes in Kriegszeiten das Richtige ist. ... Aber niemand hat die Lösung, und so hält man sich an das Lehrbuch der orthodoxen Geldpolitik.“
Angst vor Stagflation
Die EZB kann die Krise nicht allein lösen, gibt Hämeen Sanomat zu bedenken:
„Das schlimmste Szenario ist, dass die Zentralbanken die Kontrolle über die Wirtschaft völlig verlieren. Experten warnen bereits vor der seltenen Gefahr einer Stagflation - einer gleichzeitigen Rezession und hohen Inflation. Die straffe Geldpolitik dämpft die Inflation, verschärft aber die Arbeitslosigkeit, das dritte Kennzeichen einer Stagflation. Die Geldpolitik allein ist aber nicht das beste Mittel zur Bekämpfung einer hohen Inflation, die verschiedene Ursachen hat. Die Wirtschaftspolitik muss auf eine breite Maßnahmenpalette setzen.“
Nicht so schlimm für die Verbraucher
Õhtuleht sieht auch Positives:
„Hoffentlich gibt es in Estland nicht mehr einen solchen Kreditboom, wie er sich in der letzten Wirtschaftskrise gerächt hat, als die Banken an die Hypotheken gingen. Es gibt nichts Schlechtes ohne Gutes, denn die schnelle Inflation mit Gehaltssteigerungen macht die Kreditrückzahlungen eigentlich immer billiger und erhöht unseren Lebensstandard. ... Einkünfte steigen auch bei denen, die keine Kreditschulden haben, und der Staat kompensiert die Preiserhöhung mit Zahlungen an Kinder und Alte, hilft bei Stromrechnungen und erhöht die Renten.“