Razzia bei "Reichsbürgern": Was sind die Lehren?
Mit einem Großeinsatz ist die deutsche Polizei am Mittwoch gegen eine Gruppe aus dem Milieu der sogenannten Reichsbürger vorgegangen, die einen Umsturz geplant hatte. Rund 3.000 Beamte durchsuchten in mehreren Bundesländern 150 Objekte und nahmen 25 Verdächtige fest. Die Gruppe habe die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland auch mit Gewalt abschaffen wollen, hieß es. Von ihr sei eine "reale Gefahr" ausgegangen.
Lächerliche Putschängste
Hürriyet macht sich lustig:
„Die deutsche Staatsanwaltschaft stuft diese 50 Personen als die schwerste innerstaatliche Bedrohung der letzten Jahre ein. ... Interessanterweise hat jedoch keiner dieser 50 Reichsbürger auch nur einen Mord begangen. Sie dienen nicht im öffentlichen Dienst, unter ihnen sind nur wenige pensionierte Soldaten. ... Zu den tragischen Vorwürfen gehören: Steuerverweigerung wegen Nichtanerkennung der Bundesrepublik Deutschland, Deklaration des eigenen Staatsgebiets, Druck eigener Pässe und Führerscheine, Widerstand und Organisation von Protesten gegen Corona-Maßnahmen sowie die Bereitschaft zum Begehen schwerer Gewalttaten. ... Sie haben richtig gelesen, wegen solcher Verhaltensweisen können Sie in Deutschland eines Putsches beschuldigt werden. Ein Witz, oder?“
Wirkung auf Protestwähler wünschenswert
Die Verbindungen der Beschuldigten zur AfD sollten zu denken geben, meint Kaleva:
„Wirklich besorgniserregend werden die Umsturzpläne dadurch, dass ehemalige Bundeswehrsoldaten und sogar die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkelmann beteiligt gewesen sein sollen. Sie scheint mit Begeisterung ein alternatives Deutschland schaffen zu wollen. Alles in allem ist die AfD im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts gerückt und hat darüber hinaus noch einen radikalen Flügel, dessen Anhänger beispielsweise offen davon sprechen, dass Österreich zu einem 'Gesamtdeutschland' gehört. Es ist zu hoffen, dass die Menschen, die die Partei vor allem aus Protest gewählt haben, sich nun darüber klar werden, wem sie den kleinen Finger gereicht haben.“
Gefährliche Verbreitung rechter Wahnideen
Trouw mahnt, die Gefahr von Rechts auch in den Niederlanden ernst zu nehmen:
„Diese Menschen stellen sich gegen die heutige Demokratie, das Rechtssystem und die Medien. Eine kleine Gruppe Agitatoren verbreitet offen Verschwörungstheorien, schürt Unruhe und nährt das Misstrauen gegen den Staat. ... Diese rechtsextreme Bewegung verbindet Verschwörungsanhänger, die an Umvolkung glauben, Corona-Leugner und Reaktionäre. ... Was die Bewegung immer gefährlicher macht, ist, dass Anhänger auch bei politischen Parteien, Polizei, Armee und Medien zu finden sind. So können die extremen Ansichten immer weiter verbreitet werden, als ob sie normal wären.“
Weit mehr als dumpfe Skinheads
Dass zum Kern der Reichsbürger-Gruppe auch Juristen, eine Richterin und frühere AfD-Abgeordnete gehören, alarmiert De Telegraaf:
„Das sind alles prominente Personen, die einen Eid auf die Verfassung abgelegt haben und im Notfall den Staat schützen sollen. Eine wachsende Gruppe will die deutsche Demokratie aber nicht verteidigen, sondern vernichten. Bereits 2020 liefen solche Komplotteure Sturm auf den Bundestag. ... Die Reichsbürger haben dem Verfassungsschutz zufolge bereits mehr als 20.000 Anhänger, von denen viele bewaffnet sind. Sie scheuen sich nicht, diese Waffen gegen den Staat einzusetzen. ... Immer mehr Soldaten, Polizisten und Geheimagenten schließen sich den Reichsbürgern an.“
Demokratie ist nicht in Gefahr
Man sollte die Angelegenheit weder dramatisieren noch herunterspielen, findet Göteborgs-Posten:
„Wir müssen in der Lage sein, zwei Gedanken gleichzeitig in unserem Kopf zuzulassen. Einerseits stellen gewaltbereite Extremisten eine potenzielle Bedrohung für Einzelpersonen dar, nicht zuletzt für Regierungsbeamte und Politiker. Andererseits stellen sie kaum eine Bedrohung für die Demokratie selbst dar, wenn sie nicht von starken Interessengruppen unterstützt werden. Letzteres ist gerade deshalb wichtig, weil die Extremisten alles tun, um ihre Bedeutung zu übertreiben, um gesehen zu werden und neue Anhänger zu gewinnen.“
Öffentliches Spektakel schadet der Sache
Die Neue Zürcher Zeitung kritisiert, dass etliche Medien vorab über den Einsatz informiert und vor Ort dabei waren:
„Ganz offensichtlich kam es den ermittelnden Behörden ebenso wie den begleitenden Medien auf starke Bilder und deren volkspädagogische Wirkung an. Wer öffentlich abgeführt wird, ist erst einmal aus der Gesellschaft verstossen. In einem liberalen Rechtsstaat, der nicht zuletzt auf der Unschuldsvermutung basiert, ist eine solche Vorverurteilung keine Lappalie. … Ein fader Beigeschmack bleibt, der zwiespältige Eindruck, hier wollten die Sicherheitsbehörden vor aller Welt einmal ordentlich mit jenen Muskeln spielen, die bei anderen Bedrohungen weit weniger energisch eingesetzt werden.“
Es ist kaum zu glauben
Gazeta Wyborcza ist entsetzt:
„Das Ganze erscheint geradezu unglaublich, aber die Pläne der Verschwörer waren bereits weit fortgeschritten: Schon bald sollten im ganzen Land schlummernde Zellen einen Aufstand anzetteln, um die Militär- und Verwaltungsstrukturen zu übernehmen. Sie beabsichtigten sogar, den Bundestag zu stürmen.“
Verhindern, dass sich die Jungen anschließen
La Vanguardia fordert Europa zu extremer Wachsamkeit auf:
„Die Zunahme der Rechtsextremen in Europa ist unübersehbar. Giorgia Meloni regiert [in Italien]. ... Die Schwedendemokraten wurden zweitstärkste Kraft im Parlament. ... Ungarn und Polen sind in der Hand von illiberalen Regierungen. ... Marine Le Pen steigerte ihren Stimmenanteil im zweiten Wahlgang auf 41 Prozent. Vox ist die dritte Kraft im spanischen Kongress. ... Deutschland und natürlich auch die EU können diese Warnungen nicht ignorieren. Sie müssen denen entgegentreten, die ihre Grundprinzipien angreifen, und verhindern, dass junge Menschen sich den antidemokratischen Kräften anschließen. In den sozialen Netzwerken, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge bereits verwischt ist, sind die Jungen einem ständigen Bombardement ausgesetzt.“
Deutsche Demokratie ist robust genug
Politik und Gesellschaft der modernen Bundesrepublik sind meilenweit von der Instabilität der Weimarer Republik entfernt, beschwichtigt Financial Times:
„Die deutsche Demokratie erfreut sich bester Gesundheit. Sie ist eines der robustesten Systeme in der westlichen Welt und war seit der Geburt des modernen Nationalstaats im Jahr 1871 in Deutschland wohl noch nie so stark wie jetzt. ... Extremisten wie die in dieser Woche Verhafteten haben keine Vertretung im Bundestag und praktisch keine öffentliche Unterstützung. Selbst die weniger extreme, aber rechtsradikale Partei Alternative für Deutschland musste bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr einen Stimmenverlust hinnehmen.“
Belächeln wäre ein Fehler
tagesschau.de warnt davor, die Szene zu unterschätzen:
„Es war nicht Viertel vor zwölf, der Umsturzversuch stand nicht unmittelbar bevor. Aber wer all das nur belächelt, begeht einen Fehler. ... Das Bemerkenswerte an dieser Gruppe ist ihre Zusammensetzung: Da finden sich Reichsbürger mit Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft zusammen - Juristen, Ärzten, dazu kommen verschrobene Esoteriker und ehemalige Soldaten mit Zugang zu Waffen. Einige der Akteure dieser Gruppe waren bereits als Scharfmacher bei Corona-Protestveranstaltungen zu besichtigen. ... Diesen Menschen muss dieser Rechtsstaat mit aller Macht entgegentreten. Das hat er heute getan.“
Es gibt eine "russische Spur"
Für Ukrajinska Prawda sind mögliche Kontakte zwischen Reichsbürgern und russischen Behörden bemerkenswert:
„Obwohl die ersten Einzelheiten der Ermittlungen gerade erst bekannt werden, ist in diesem Fall bereits eine 'russische Spur' erkennbar. Insbesondere stellte sich heraus, dass der geplante neue 'Chef' von Deutschland mit russischen Offiziellen Kontakt aufgenommen hatte, um Unterstützung für seine Pläne zu erhalten. ... Letzteres ist ein äußerst wichtiges Detail. Den Ermittlungen zufolge nahm Heinrich XIII. mit Hilfe einer russischen Staatsbürgerin namens Vitalia B. (die als Unterstützerin festgenommen wurde) Kontakt zu russischen Beamten in Deutschland auf. Wie erfolgreich die Verhandlungen für ihn waren, ist nicht bekannt.“