Berlin erkämpft Ausnahme für E-Fuel-Verbrenner
Das deutsche Verkehrsministerium hat der EU-Kommission das Zugeständnis abgerungen, wonach auch nach 2035 Autos mit Verbrennungsmotoren neu zugelassen werden können. Sie dürfen aber nur mit klimaneutral hergestellten E-Fuels betrieben werden. Die Vorgehensweise der Bundesregierung stößt bei Kommentatoren auf Kritik. Auch der Gegenstand der Ausnahmeregelung wird kontrovers diskutiert.
Verschwendung wertvoller Ressourcen
Der Kompromiss zu E-Fuels gefährdet Europas Energiewende, warnt Le Monde:
„Ihre Herstellung benötigt enorme Strommengen, was zu einer katastrophalen Energiebilanz führt. Zudem muss die verwendete Energie CO2-frei sein. Doch unser Bedarf [an 'grünem' Strom] dürfte sich bis 2050 versiebenfachen, wenn die Emissionseinsparungsziele der EU erreicht werden sollen. Jede Megawattstunde wird kostbar sein. In dieser Hinsicht ist es sicher nicht die sinnvollste Verwendung dieser 'grünen' Energie, E-Fuels in leistungsstarken Autos zu verbrennen. … Diese Entscheidung könnte, wie es auch die Bosse von Volkswagen eingestehen, zu einer 'ungelegenen Ablenkung' für die Automobilhersteller werden, die sich besser auf die Verbesserung der Technologie für elektrische Batterien konzentrieren sollten.“
Noch bei Weitem nicht marktreif
Auch die Herstellungskosten der E-Fuels sind ein Problem, ergänzt Új Szó:
„Die Produktion von E-Fuels wird vor allem durch ihre Energieintensität behindert, außerdem kostet die Herstellung eines solchen Kraftstoffs heute 6-7 Euro pro Liter, was ihn auf dem Markt eindeutig wettbewerbsunfähig macht. ... Unabhängig von der gestrigen Einigung bleibt die Herstellung von E-Fuels teuer und es ist nicht absehbar, wann die Produktionskosten entscheidend sinken werden.“
Schädlich für Europas Einigkeit und Image
Nachdem Deutschland eine Ausnahme für E-Fuels durchgesetzt hat, will nun auch Frankreich eine Ausnahme für Atomkraft. All dies untergräbt die EU, kritisiert Jutarnji list:
„Augenscheinlich sind Berlin und Paris etwas gleichberechtigter als die anderen. Und das wird die Einigkeit der EU weiter zerrütten. Diese Einigkeit ist oft da, wenn es um Prinzipien geht, wobei auch die immer öfter in Frage gestellt werden, und gebrochen, wenn es um konkrete Interessen geht, vor allem in Sachen Energie, Finanzen und Migration. Eine mögliche Aufgabe oder Verwässerung des Ziels, Diesel- und Benzinfahrzeuge nach 2035 zu verbieten, würde zudem das Image der EU als Anführer der Bestrebungen beschädigen, die globale Erwärmung zu stoppen.“
Vernünftiger Kompromiss
Maaseudun Tulevaisuus beschwört die Technologieoffenheit im Kampf gegen den Klimawandel:
„Obwohl Deutschland und andere Länder der Autoindustrie beschuldigt werden, die Glaubwürdigkeit der EU-Gesetzgebung zu untergraben, ist der Kompromiss ein Sieg der Vernunft und auch des Klimas. Es ist Konsens, dass die Verkehrsemissionen gesenkt werden müssen, aber Elektro-Autos sind nicht die einzige Möglichkeit, dies zu erreichen. Es ist Aufgabe der Politiker, Emissionsgrenzwerte festzulegen, aber die Mittel, um diese zu erreichen, müssen technologieoffen sein. … Finnland hat die Energiekrise, die auf Russlands Angriff folgte, besser überstanden als viele andere Länder. Der Hauptgrund dafür ist, dass der finnische Energiemix seit vielen Jahren außergewöhnlich vielfältig ist.“
Trügerischer Kompromiss
Der Kurier sieht hinter E-Fuels noch viele Fragezeichen:
„Der am Samstag bekannt gewordene Kompromiss mit einer neu zu entwickelnden Pkw-Klasse, die nur mit E-Fuels betrieben wird, ist nämlich trügerisch. Erstens ist völlig offen, ob Autofirmen abseits von Porsche und Ferrari solche Autos überhaupt herstellen werden. Zweitens wird die E-Fuel-Produktion zwar in den kommenden Jahren massiv nach oben gefahren, doch diese wird die Schifffahrtsindustrie, die Airlines und die chemische Industrie benötigen. Und drittens steht in den Sternen, was diese E-Fuels kosten werden.“
Schlechtes Vorbild
Der Schaden, den Deutschland auf der europäischen Bühne angerichtet hat, wird Folgen haben wird, befürchtet tagesschau.de:
„Deutschland steht da als ein Land, auf das kein Verlass ist. ... Beim Gipfel in Brüssel fiel auf, dass ein Regierungschef dieses Mal gar nichts gesagt hat. Einer, der sonst keine Gelegenheit auslässt, querzuschießen: Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán musste einfach nur zuhören. Und er konnte die Botschaft mitnehmen: Beschlüsse von gestern können heute in Frage gestellt werden, wenn es zu Hause das Regieren leichter macht. Deutschland hat es ja auch getan. Von allen Verbrenner-Verwerfungen ist der Nachahmereffekt der gefährlichste.“
Massenkarambolage in Brüssel
Die deutsche Kehrtwende zieht große Konsequenzen für Wirtschaft und Klima mit sich, ist sich Le Quotidien sicher:
„Die Kakophonie wird noch größer, wenn man bedenkt, dass eine Mehrheit der deutschen Autohersteller nicht auf synthetische Kraftstoffe zu setzen scheint. … Nichtsdestotrotz brauchen die Autohersteller schon jetzt eine Gewissheit, um langfristig planen zu können. Die von Deutschland verursachte Karambolage könnte der Wirtschaft, aber vor allem dem Klima erheblichen Schaden zufügen. Einige befürchten bereits, dass das Veto gegen das Ende des Verbrennungsmotors zu weiteren Blockaden der dringend notwendigen Energiewende führen könnte.“
Den Gesetzgebungsprozess hintertrieben
Zwischen Empörung und Neid blickt das Wirtschaftsblatt Les Echos nach Deutschland:
„Berlins Forderung wurde bereits zweimal vom EU-Parlament und einmal von den Mitgliedsstaaten abgelehnt. Indem Deutschland den Gesetzgebungsprozess so hintertreibt, läuft es Gefahr, andere Länder in der Verteidigung ihrer Einzelinteressen zu enthemmen und die europäische Maschinerie noch stärker zu blockieren. Das kann man ihm übel nehmen. Man kann aber auch denken, dass das Kräftemessen gegen Deutschland ausgeglichener wäre, hätte Frankreich durch eine bessere Haushaltspolitik seine Finanzmacht bewahrt. Berlins Chancen, seine Industrie zu retten, stehen gut. Unsere nicht.“
Völlig neue Allianzen
Lidové noviny freut sich, dass sich ost- und westeuropäische EU-Länder zu einer Blockademacht gegen das Verbrenner-Aus zusammengefunden haben:
„Es hat sich das Klischee etabliert, dass die EU in Grundsatzfragen in West und Ost oder in progressive Europäer und schmutzige Postkommunisten gespalten ist. Jetzt können sich Länder wie Tschechien offenkundig zum ersten Mal in der EU bei der Bildung einer Sperrminorität auch auf Deutschland verlassen. Auch die Deutschen machen sich keine Illusionen, dass ihre Autos ewig wie zu Zeiten von Carl Benz mit Benzin fahren werden. Aber sie wollen die Technologie nicht wegwerfen, nur um dann Elektroautos aus China importieren zu müssen. Egal, wie das alles ausgeht - wir stehen an einem Wendepunkt.“
Deutschlands Rückzieher sollte eine Warnung sein
La Vanguardia fordert maximalen Konsens bei der Klimapolitik:
„Berlins Positionswechsel ist unseriös und hat in mehreren Ländern Unbehagen ausgelöst. So ein Rückzug aus einem gemeinsamen Abkommen in letzter Minute könnte ein gefährlicher Präzedenzfall für künftige EU-Verhandlungen sein. ... Die Geschehnisse sollten den Gesetzgebern als Warnung dienen, die Auswirkungen von Maßnahmen auf Unternehmen und Beschäftigung sorgfältiger abzuwägen. Wir müssen Gleichgewicht anstreben. ... Das ist eine Erfolgsgarantie.“
Es ist Eile geboten
Frankreich und Deutschland stehen der Klimawende im Weg, kritisieren die Salzburger Nachrichten:
„Präsident Emmanuel Macron versucht geradezu besessen, die eigene Entscheidung für die Atomkraft der gesamten Europäischen Union aufzuzwingen. ... Und Olaf Scholz ... lässt seinen Koalitionspartner FDP gewähren, der nach fünf in Folge verlorenen Regionalwahlen in einer Art Torschlusspanik plötzlich ein Herzstück der europäischen Klimawende infrage stellt: den Abschied von klimaschädlichen Pkw-Motoren ab 2035. ... Es ist kaum mehr Zeit, die Weichen in eine karbonfreie und nachhaltige Zukunft zu stellen. Weder Atomkraftwerke noch Verbrennungsmotoren sind Teil von ihr.“