Warum hängen die Briten so sehr an der Krone?
Trotz Regens haben am Samstag Zehntausende Briten die Straßen von London gesäumt, um die feierliche Prozession von Charles III. und Camilla zu ihrer Krönung zu verfolgen. In der Westminster Abbey wurden die beiden dann gesalbt und bekamen ihre Kronen aufs Haupt gesetzt. Kommentatoren fragen, warum die Monarchie noch immer so viel Begeisterung auslöst.
Ein Spektakel ohne Gleichen
Für Večernji list ist die Krönung eine perfekte Aufführung:
„Die Krönung von König Charles und seiner Gattin ist vor allem eine Top-Bühnen- und Musikperformance mit authenthischen Interpreten, die sie in einem historisch unvergleichlichem Rahmen nur einmal aufführen konnten. Was die Veranstaltung dadurch noch exklusiver machte. Und die Ergebnisse noch emotionaler und expressiver, verpackt in ökumenische Botschaften der Toleranz. Es gibt kein Opernhaus oder Festival, das mit dem Hause Windsor konkurrieren könnte, wenn es vor den Augen der Welt trauert oder feiert, und dies in der ganzen Pracht, die das musikalische Potenzial Großbritanniens heutzutage zu bieten hat.“
Garanten der Demokratie
Diário de Notícias erklärt die Beliebtheit der britischen Monarchie mit der Rolle der Könige bei der Herausbildung der Demokratie:
„Die Art und Weise, wie die Demokratie auf den britischen Inseln im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut wurde, ist immer noch erstaunlich. Die Demokratisierung verlief schrittweise, sie wurde ausgehandelt, ohne blutige Auseinandersetzungen, besonders seit dem frühen 18. Jahrhundert. Und die Monarchen haben ihren Teil zu diesem Prozess beigetragen. Das allein erklärt das Überleben, ja die Beliebtheit der Monarchie bei den Briten bis heute, denn die Republikaner sind eine Minderheit.“
Nostalgische Hartnäckigkeit
Die Art und Weise, wie die Briten an ihrer Monarchie hängen, irritiert Kolumnistin Maïa Dunphy in Irish Independent:
„Die Briten klammern sich mit einer nostalgischen Hartnäckigkeit an ihre Royals, die an ein Kind und seine Schmusedecke erinnert. In den meisten Ländern zeigen die Menschen eine ähnliche Form von Patriotismus, wenn es um ihre eigenen Bräuche, Eigenheiten und Lieblingsbürger geht. Doch den Engländern ist ein einzigartiger, kriegerischer Hurrapatriotismus zu eigen. Die königliche Familie ist ihre ultimative, besonders wertvolle, geschützte Art. Ob diese Art dem Aussterben entgehen könnte, wenn sie in freier Wildbahn überleben müsste, bleibt offen.“
Protest ist legitim
Dass Demonstrationen von Monarchie-Gegnern in London aufgelöst und einige Vertreter der Gruppe festgenommen wurden, empört The Spectator:
„Wenn die Krönungsfeierlichkeiten etwa durch Straßen-Blockaden gestört worden wären, hätte das für Verärgerung gesorgt. Es hätte Bürger, die die Monarchie verehren, genauso irritiert wie Vertreter der Monarchie selbst. Aber sich auf einem öffentlichen Platz zu versammeln, um republikanische Sichtweisen kundzutun, sollte völlig akzeptabel sein. Dass das anscheinend nicht so ist, dass die Polizei die Versammlung des 'niederen Plebs' auflöst wegen dessen Verbrechens, den König zu beleidigen, ist erschreckend. Es sollte jeden empören, der an Freiheit glaubt.“
Äußerst rentable Investition
Die Kosten für die prunkvolle Krönungszeremonie rentieren sich, rechnet Dov Alfon, Chefredakteur von Libération, vor:
„Der Souverän von 15 Staaten ist für die Millionen von Touristen, die sich vor dem Buckingham Palace drängen, eine Quelle der Faszination, die nicht versiegt, während alle anderen Symbole der Macht des Vereinigten Königreichs seit Langem verschwunden sind. … Diejenigen, die in dem globalen Krönungsevent nur eine überholte Folklore sehen, sollten sich diese Zahlen anschauen: Der Nettobeitrag der Königsfamilie zum Tourismus beträgt laut britischem Finanzministerium 1,7 Milliarden Pfund (1,9 Milliarden Euro) pro Jahr. Die Krönungszeremonie ist daher eine sehr angemessene Investition.“
Im Schatten von Inflation und Kolonialismus
Charles' Krönung steht unter keinem guten Stern, urteilt die Großbritannien-Korrespondentin Cécile Ducourtieux in Le Monde:
„Die Öffentlichkeit tut sich schwer damit, die royalen Privilegien inmitten eines enormen Anstiegs der Lebenshaltungskosten zu akzeptieren - die Prioritäten der Menschen liegen woanders. … Und in dem Versuch, das Bild einer mit der kolonialen und unterdrückerischen Vergangenheit Großbritanniens eng verbundenen Institution zu korrigieren, drückten Charles III. und William zwar ihre 'tiefe Trauer' über die Schrecken der Sklaverei aus, doch die Tatsache, dass der Monarch noch nicht erkannt hat, wie stark die Königsfamilie in den Dreieckshandel verwickelt war, lässt ihre Reue in den Augen vieler Briten vergeblich erscheinen.“
Teures Theater
Den Nutzen der Krönungszeremonie stellt The Guardian in Frage:
„Sie wird Charles III. nicht zum König machen. Das ist er schon. Er wurde es nach dem Tod seiner Mutter und nach einer reibungslosen und vernünftig zurückhaltenden Thronbesteigung. ... Es scheint komplett überflüssig, inmitten einer Krise bei den Lebenshaltungskosten 285 Millionen Euro für eine Krönung auszugeben. ... Die anstehenden Ereignisse am Wochenende konzentrieren sich auf einen Gottesdienst in dem Charles geloben wird, die protestantische Religion aufrechtzuerhalten, mit heiligem Öl gesalbt wird und einen Eid darauf schwört, Großbritannien zu einer 'heiligen Nation' unter seiner 'königlichen Priesterschaft' zu machen. ... Aber das moderne Großbritannien ist keine heilige Nation.“
Womöglich die letzte Krönung
Die Monarchie wird immer stärker infrage gestellt, merkt die Wiener Zeitung an:
„Der Tod der Queen hat bei vielen Briten die respektvolle Zurückhaltung bröckeln lassen, die sie zu Lebzeiten ihrer Langzeit-Monarchin hochhielten. Zu teuer, zu abgehoben, letztlich nutzlos: Rund um die Krönung Charles' III. werden Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern lauter, die nicht mehr bereit sind, für den royalen Pomp zu zahlen. Auch außerhalb des Landes keimen - etwa in Australien und Neuseeland - erneut Überlegungen auf, sich von der britischen Krone loszusagen und einer gänzlich republikanischen Zukunft entgegenzusehen. ... Die Krönung von Charles könnte durchaus die letzte sein.“
Briten lassen sich gerne verzaubern
Dass sich die Stimmung der Briten gegen die Royals gewendet hätte, lässt sich für The Economist kaum sagen:
„Die britische Königsfamilie mag die Verkörperung von Anachronismus sein, sie mag unbequeme Erinnerungen an den Imperialismus und tief verwurzelte Ungleichheit hervorrufen. Aber sie bietet eben auch geweihtes Salböl und Kronen, Scones und Marmelade sowie Männer mit Blasinstrumenten auf Pferden. Der Anteil der Briten, die die Monarchie abschaffen wollen, ist von drei Prozent im Jahr 1983 auf heute 14 Prozent gestiegen, unter den 18- bis 34-Jährigen liegt der Anteil bei über 20 Prozent. Kaum der Stoff für eine Revolution.“
Rituale sind wichtig für Staat und Nation
Man sollte die Bedeutung der Krönungszeremonie nicht herunterspielen, findet auch Times of Malta:
„Pomp und Prunk, Zeremonien und Rituale werden oft als anachronistisch abgetan. Aber alle modernen Nationalstaaten sind auf solche Traditionen und Praktiken angewiesen, um Bürger regelmäßig an ihre historische Vergangenheit zu erinnern. Und selbst ahistorische Staatsoberhäupter – und unsere Regierungsriege ist gewiss historisch ignorant – beteiligen sich regelmäßig an solchen Ritualen und Gedenkfeiern, um Menschen, Orte und Ereignisse zu würdigen, die bei der Gestaltung des politischen Systems eine Rolle spielten. Ohne solche Praktiken würde sich der 'Staat' von der 'Nation' loslösen und er würde langsam seine Legitimität verlieren. “
Die jungen Briten lässt das kalt
Adevărul sieht Anzeichen für gesellschaftliche Veränderungen:
„Seit dem Tod von Königin Elizabeth II., dem anscheinend letzten großen Symbol einer weltweit anerkannten Monarchie, befinden sich die Popularitätswerte im freien Fall. Der vielleicht bedeutendste Einbruch ist bei jungen Menschen zu verzeichnen und könnte ein ernst zu nehmendes Signal für künftige gesellschaftliche Veränderungen im Vereinigten Königreich sein: Nur zwölf Prozent der 18- bis 34-Jährigen halten die Monarchie für 'sehr wichtig', gegenüber 45 Prozent der über 55-Jährigen. ... Die Krönungszeremonie rückt näher, und jeder bereitet sich irgendwie vor, mit gebührendem Pomp mitzufeiern, vielleicht aber auch nur, weil sich herausstellt, dass wir trotz trister Realitäten immer noch Märchen von Prinzen und Prinzessinnen brauchen.“
Untertanentreue schwindet
Die Bitte der Church of England, einen Treueschwur auf König Charles III. abzuleisten, sorgt für Befremden und schadet der Monarchie, meint Irish Examiner:
„Viele Briten finden, dass nicht die Öffentlichkeit aufgefordert werden sollte, der Krone Treue zu schwören, sondern der neue König vielmehr einen Treueeid gegenüber seinem Volk ablegen sollte. ... Viele in Großbritannien sind der Meinung, dass die Kosten der Krönungszeremonie, die den britischen Steuerzahler schätzungsweise 114 Millionen Euro kosten wird, besser ausgegeben wären, um Krankenschwestern, Lehrer, öffentlich Angestellte und Menschen aus vielen anderen Sektoren zu bezahlen, die gerade für bessere Gehälter streiken.“
Salbung ist überholt
Religiöse Elemente der Krönung haben mit der Gesinnung der Briten inzwischen wenig gemein, erklärt Die Presse:
„Bemerkenswert ist die religiöse Natur der Sache, vollzogen in einer Kirche durch einen Erzbischof. Der essenzielle Moment ist dabei nicht das Aufsetzen der Krone, sondern die Salbung: Sie markiert, dass Gott den Monarchen in Dienst nimmt und ihm damit erst Legitimation und Autorität gibt. ... England wirkt damit allerdings viel christlicher, als es ist. Die Briten sind heute mehrheitlich religionslos. Die anglikanische Staatskirche, der kaum noch mehr als zehn Prozent der Bevölkerung angehören, hat ... wenig Prägekraft.“
Präsidialrepubliken machen es nicht besser
El Periódico de Catalunya findet die Monarchie nützlich:
„Der Prunk, mit dem der neue König gekrönt wird, sollte nicht als nahtlose Weiterführung der Monarchie interpretiert werden. Der Tod von Elizabeth II. bedeutete das 'Ende einer Ära'. ... Diese Überlegung gilt auch für unsere parlamentarische Monarchie in Spanien und nicht nur für die britische Monarchie, die solider ist als die spanische. Sie muss beweisen, dass sie ein wirksames Instrument ist und zwischen den Institutionen moderieren und schlichten kann. ... Es gibt viele Argumente, die für die parlamentarische Monarchie sprechen. ... Dazu gehören die Risiken, denen Präsidialrepubliken wie Frankreich heute ausgesetzt sind, wo Präsident Macron nicht in der Lage ist, sich mit einer Nationalversammlung ohne absolute Mehrheit zu arrangieren.“