Muss die Ukraine den Krieg nach Russland tragen?
Die Gefechte in der russischen Region Belgorod gehen weiter. Oppositionelle russische Paramilitärs kämpfen dort gegen die russische Armee. Die Gruppen sollen den Ort Nowaja Tawolschanka unter ihre Kontrolle gebracht haben. Der Regionalgouverneur rief dazu auf, grenznahe Ortschaften zu verlassen. Kommentatoren diskutieren die Bedeutung der Kämpfe in Russland.
Nur Waffen stoppen den Aggressor
Russland ist nur militärisch zu bezwingen, meint De Standaard:
„Anders als erwartet brach die russische Wirtschaft nicht zusammen. Sie verzeichnet sogar ein leichtes Wachstum (die deutsche schrumpft), und der Lebensstandard der Bevölkerung bleibt gesichert. ... Auch die diplomatische Gegenoffensive konnte Russland nicht in die Knie zwingen. ... Weil Sanktionen und Diplomatie gescheitert sind, können nur noch Waffen den Aggressor zu Verhandlungen zwingen. Das ist der hohe Einsatz der ukrainischen Gegenoffensive: Irgendwo in der 900 Kilometer langen Front die Schwachstelle finden und einen militärischen Durchbruch forcieren, dessen Preis Russland dann doch zu hoch ist.“
Dem Gegner keine Rechtfertigung liefern
Die Ukraine sollte jeden Anschein vermeiden, dass sie Angriffe auf zivile Ziele gutheißt, empfiehlt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Sicher, das ist viel verlangt. Seit mehr als einem Jahr werden Ukrainer von Russen ermordet, Kinder verschleppt, Städte kaltblütig ausradiert. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Ukraine niemals auch nur den Anschein erweckt, sie könnte selbst Recht brechen. Sonst gibt sie Russland genau das, wonach es seit Monaten sucht: eine scheinbare Rechtfertigung für seinen Terror. Seht her, könnte Putin sagen, wir vergelten doch nur Gleiches mit Gleichem. Krieg ist eben schmutzig. Noch dazu schwächt die Ukraine sich damit selbst. Nicht alle Staaten unterstützen das Land, weil sie wirklich wollen ... . Ihnen sollte die Ukraine keinen Vorwand liefern auszuscheren.“
Strategie auf Transnistrien ausweiten
Ein ähnliches Vorgehen in der Republik Moldau fordert gordonua.com:
„Die Operation zur Schaffung einer entmilitarisierten Zone auf russischem Gebiet in der Region Belgorod ist eine der wirksamsten militärischen Initiativen der Ukraine während des Krieges. ... Besondere Aufmerksamkeit sollte der Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegung auf dem russisch besetzten Gebiet der Republik Moldau gelten. Eine Befreiung Transnistriens und die Beseitigung der dortigen russischen Militärbasen und Schmuggelkanäle wäre ein strategischer Sieg, der den Süden der Ukraine sicher machen wird. Wir wären in der Lage, bedeutende Kräfte (bis zu zwei Brigaden) abzuziehen, die jetzt die Grenze bewachen.“
Undurchsichtige Galaxie von Kämpfern
Corriere della Sera analysiert, wer in Belgorod auf ukrainischer Seite kämpft:
„Der Sprecher der Legion Freies Russland heißt Maximilian Andronnikow. Als junger Mann hatte er sich der Russischen Kaiserlichen Bewegung angeschlossen, nicht gerade eine liberale oder demokratische Gruppierung. Politischer Vertreter der Legion ist Ilja Ponomarjow, ein ehemaliger Duma-Abgeordneter, der dem russischen Reformismus des Anti-Putin-Milliardärs Michail Chodorkowski nahe steht, der jetzt in London im Exil lebt. Das Russische Freiwilligenkorps, das zahlenmäßig kleiner ist als die Legion, präsentiert sich als bewaffnete Opposition gegen den Putinismus von rechtsextremen Positionen aus, die dem Zarismus nachtrauern. ... Eine vielfältige und undurchsichtige Galaxie von Kämpfern.“
Russland hält dem Druck nicht stand
Das Vorgehen sorgt für Auflösungserscheinungen beim russischen Militär, beobachtet Wprost:
„Das Regime in Moskau reagiert sehr chaotisch. In der Region Belgorod hat die russische Armee Schwierigkeiten, die Saboteure des Russischen Freiwilligenkorps loszuwerden. ... Die Propaganda verbreitet eine Geschichte nach der anderen über deren Zerschlagung, aber die Kämpfe auf der russischen Seite der Grenze halten an und erstrecken sich über ein immer größeres Gebiet. Moskau hat auch nicht auf die erneute Eskalation der Spannungen zwischen der Wagner-Gruppe und der Armee reagiert, die in der Entführung eines hochrangigen Offiziers der regulären Armee der Russischen Föderation gipfelte. ... Die Russen scheinen diese Spannungen schlecht zu verkraften.“