Koranverbrennungen: Wo ist die Grenze der Freiheit?
Die dänische wie die schwedische Regierung erwägen, mit Verboten weitere Koranverbrennungen auf Demonstrationen zu verhindern. Derartige Aktionen hatten im Juli vor allem im Irak heftige antischwedische Übergriffe ausgelöst. Aber auch in Skandinavien selbst sehen die Behörden darin ein großes Sicherheitsrisiko. Medien warnen vor Einschränkungen der Meinungsfreiheit.
Demokratische Eckpfeiler nicht antasten
Ein Verbot von Koranverbrennungen könnte sich auch für diejenigen, die es fordern, als Bumerang erweisen, mahnt Dagens Nyheter:
„Es besteht ein großes Risiko, dass die nächste Forderung ein Verbot sein wird, Witze über den Islam zu machen oder etwas zu tun, das religiösen Menschen ein schlechtes Gewissen bereitet. ... Wenn wir Koranverbrennungen verbieten, wird sich die Grenze nur verschieben. Es ist leicht zu verstehen, dass es den Gläubigen schlecht geht, wenn ihre Religion beleidigt wird. Aber das nächste Mal, vielleicht wenn sie als Minderheit gegen die staatliche Vorherrschaft protestieren wollen, sind sie vielleicht dankbar für die Meinungsfreiheit, die einer der Eckpfeiler der schwedischen Demokratie ist.“
Wer sich der Gewalt beugt, erntet mehr Gewalt
Auch für Jyllands-Posten sind Verbote der falsche Weg:
„Eine wichtige Lektion aus der Mohammed-Krise vor 15 bis 18 Jahren wird vergessen: Wer sich der Gewalt beugt, wird nicht weniger, sondern mehr Gewalt erleben. Eine oft wiederholte, aber nicht triviale Frage ist absolut entscheidend: Was kommt als Nächstes? ... Wer einen Koran verbrennt, gefährdet die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit ebenso wenig wie die Zeitung, die eine Mohammed-Karikatur druckt. Wer mit Gewalt reagiert, ist derjenige, der die öffentliche Ordnung gefährdet. ... Die Meinungsfreiheit darf bei uns auch mit den besten Absichten nicht eingeschränkt werden.“
Religiöse Gefühle sind nicht sakrosankt
El Periódico de Catalunya sieht europäische Grundwerte in Gefahr:
„Die Ausübung eines Grundrechts, das als eines der Grundwerte der Europäischen Union anerkannt ist, kann nur dann eingeschränkt werden, wenn es mit anderen, ebenso grundlegenden Rechten kollidiert. ... Der Schutz vor Kritik und Beleidigung des eigenen Glaubens gehört nicht dazu. Blasphemie oder die Verletzung religiöser Gefühle als Verbrechen einzustufen entspricht einer Zeit, der wir entwachsen sind. Es gibt Länder, auch in der EU, die sich in einer autoritären Entwicklung befinden. Dort erahnen wir die Gefahren, die mit der Infragestellung der grundlegendsten Werte der liberalen Demokratie verbunden sind.“
Meinungsfreiheit ist mitunter schmerzhaft
De Volkskrant betont, dass Meinungsfreiheit nicht grenzenlos sein darf - aber Religionen eben auch nicht unantastbar:
„Ein Verbot von Unmutsäußerungen über schriftliche Glaubensartikel führt schnell auf eine aufsteigende Skala. Die Forderung, auch gegen Satire einzuschreiten, ist dann nicht weit weg. Religiöse Fanatiker sind schließlich allgemein nicht sehr für ihren starken Sinn für Humor bekannt, wie unter anderem 2015 der Mordanschlag in Paris auf die Macher des Satireblatts Charlie Hebdo zeigte. ... Meinungsfreiheit ist nicht absolut; das Anstacheln zu Gewalt oder Hass gegen eine religiöse Gruppierung ist strafbar. ... Sicherheit ist eine verständliche Priorität, aber im Bewusstsein, dass die Meinungsfreiheit manchmal weh tut.“
Schweden gibt das perfekte Feindbild
Anti-schwedische Demonstranten werden instrumentalisiert, analysiert Dagens Nyheter:
„Bei den Protesten gegen Schweden handelt es sich wohl kaum um spontane Graswurzel-Bewegungen. Größtenteils sind sie von oben inszeniert. So organisierte der schiitische Politiker und Milizchef Muqtada al-Sadr die Stürmung der schwedischen Botschaft in Bagdad. .... Politische und religiöse Anführer in muslimischen Ländern nutzen die Gelegenheit, Zorn zu schüren und diesen gegen Schweden zu richten. In unserem Land haben sie einen perfekten Feind gefunden. Die Anführer machen Schweden zum Symbol für religiöse Schändungen, die sie nutzen können, um Unterstützung für die eigene Sache zu mobilisieren. Sie stärken ihre eigenen Machtpositionen, ohne dass es sie etwas kostet.“
Böses Erwachen für die humanistische Großmacht
Das Nachbarland wird nun unsanft mit der Realität konfrontiert, kommentiert Jyllands-Posten ironisch:
„Für die selbsternannte humanistische Großmacht dürfte besonders bitter sein, dass man ihren guten Willen nicht anerkennt. Kaum ein Land hat so viel Verständnis für die muslimischen Länder gezeigt, seine Grenzen so weit für Migranten geöffnet. ... Die Bilanz der Außen- und Migrationspolitik ist allerdings in vieler Hinsicht negativ. Das Experiment der politischen Klasse, eines der sichersten Länder der Welt multiethnisch zu machen, ist monumental gescheitert. ... Dies ist ein böses Erwachen in einer Welt, von der schwedische Politiker glaubten, sie könnten sie verbessern - mit, wie sie meinten, besonderem moralischen Gewicht. Armes Schweden.“
Auf die Werte Schwedens vertrauen
Göteborgs-Posten will, dass demokratische Werte verteidigt werden:
„Nicht das Botschaftsgebäude ist wichtig. Das Wichtigste sind die Menschen. Kurzfristig, dass den Botschaftsmitarbeitern kein Schaden zugefügt wird, längerfristig, den Kampf niemals aufzugeben, damit mehr Menschen ihre Ideen und Gedanken ohne Angst äußern und ihr Leben in Freiheit und auf eine Art und Weise leben können, wie sie es wollen. Wir können eine neue Botschaft bauen. Denn so wenig wie der Glaube der Menschen in einem Buch statt im Herzen zu finden ist, so wenig sind unsere Werte über Meinungsfreiheit, Demokratie und die offene Gesellschaft in Ziegeln und Mörtel verankert. Wir sind diejenigen, die entscheiden, was für ein Land Schweden sein wird.“
Ohne Regeln gilt nur das Recht des Stärkeren
Statt trotzig einen absoluten Freiheitsbegriff zu verteidigen, sollten sich die Schweden besser auf das zu besinnen, was Freiheit eigentlich ist, empfiehlt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Kritisieren darf jeder, herabwürdigen aber nicht. Denn am Ende gilt die einfache Logik: Wenn in Stockholm die heilige Schrift der Muslime verbrannt oder mit Füßen getreten wird, hilft das keinem - außer den Extremisten auf beiden Seiten, die sich über jede neue Spirale von Hass, Gewalt und Gegengewalt freuen. Wirkliche Freiheit verteidigt so niemand. Die braucht Regeln und Verantwortung. Wird Freiheit aber absolut, ist sie am Ende nicht mehr als das Recht des Stärkeren, der Dinge tut, ganz einfach weil er es kann.“
Für Verständnis auf beiden Seiten werben
Die Provokation der Populisten in Schweden stellt eine Falle auf, in die man nicht hineintappen darf, warnt La Croix:
„Man muss betonen, dass es in Schweden Rechte gibt, die es erlauben, im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung auf dem Koran herumzutrampeln oder ihn zu verbrennen. Aber man muss auch dazu ermuntern, Gläubige nicht gegeneinander aufzuhetzen, und in Erinnerung rufen, dass Angriffe auf den Koran wie auf jede andere heilige Schrift von vielen als beleidigend, respektlos und provozierend aufgefasst werden. Anfang Juli äußerte der Papst seine 'Wut und Abscheu' bezüglich dieser Angelegenheit und befand, dass 'die Meinungsfreiheit nie als Vorwand verwendet werden darf, um andere zu verachten'.“
Sowohl Härte als auch Respekt vonnöten
Für Upsala Nya Tidning hat Außenminister Tobias Billström schon viel zu lange beschwichtigt:
„Schweden muss stärker auf den Angriff auf die Botschaft in Bagdad stärker reagieren. Es reicht nicht aus, den höchsten irakischen Diplomaten Schwedens ins Außenministerium zu bestellen. Wir sollten das gesamte diplomatische Personal aus dem Irak nach Hause holen, nicht nur aus Sicherheitsgründen. Aber Billström muss auch Respekt und Verständnis für diejenigen zeigen, deren Religion zu einem politischen Instrument wird, sowohl in Schweden als auch in der muslimischen Welt. ... Religiöse Überzeugungen sind niemals eine Entschuldigung dafür, Gewalt anzuwenden oder Macht über andere auszuüben. ... Grundsätzlich sind Dialog und Vertrauen der einzige Weg nach vorne.“