Prigoschins Tod bestätigt: Was ist in Russland los?
Russische Behörden haben den Tod von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin bestätigt. Eine DNA-Analyse habe ergeben, dass sich Prigoschin unter den Todesopfern der vergangene Woche nach einer Explosion zwischen Moskau und St. Petersburg abgestürzten Maschine befand. Europas Presse beleuchtet die politischen Folgen des Vorfalls.
Symptom für gravierende Probleme
Webcafé glaubt, dass Prigoschin ermordet wurde, um ein abschreckendes Exempel zu statuieren:
„Nicht gegenüber den Bürgern, denn das System hat sie längst entmachtet. Es richtet sich an die Kreise rechtsextremer Nationalisten, die seit Langem mit der Kriegsführung in der Ukraine unzufrieden sind, sowie an die allgemeine Politik- und Wirtschaftselite, die zunehmend daran zweifelt, ob es sich noch lohnt, unter den seit Beginn des Konflikts veränderten Bedingungen in Russland zu leben. Ein stabiles und gut organisiertes autoritäres Regime dürfte solche Machtdemonstrationen gegen seine eigenen Leute nicht nötig haben. Wenn solche Maßnahmen nötig sind, bedeutet es, dass es gravierende Probleme gibt.“
Putin tut, was er am besten kann
Russland wird zur Zeit in KGB-Manier geführt, analysiert Maszol:
„Einflussreiche Wirtschaftsakteure, die aus dem Fenster fallen, Geschäftsleute, die sich von Klippen in die Tiefe stürzen, Rebellen, die ins falsche Flugzeug einsteigen - der angeblich todkranke Putin hat sie alle überlebt. Die Liquidierung von Prigoschin gehört zum üblichen Treiben eines Russlands im Kriegsmodus. ... Das aktuelle Russland wird von Putin im KGB-Stil geführt. Vermutlich, weil es das ist, was er am besten kann. Das ist nicht überraschend, ebenso wenig wie der Tod von Prigoschin.“
Kampf um Thronfolge hat begonnen
Phileleftheros schreibt:
„Die Möchtegern-Thronfolger der Macht werden die Waffen nicht niederlegen. Da Wladimir Putin seit fast 25 Jahren an der Macht ist und mehrere Personen seine Position anstreben, auch wenn sie es nicht öffentlich zugeben, muss das Spiel des Nachfolgers logischerweise begonnen haben. Der Tod von Jewgenij Prigoschin könnte zeigen, wie es sich weiterentwickeln wird. Das russische 'Game of Thrones' ist im Gange und wird genauso spannend sein wie die Fernsehserie.“
Wagner-Söldner werden unberechenbar
Prigoschins Tod stellt den Kreml vor Herausforderungen, glaubt Times of Malta:
„In Russland könnten die Wagner-Söldner schwer zu kontrollieren sein; ohne jegliche Führung sind diese Kämpfer möglicherweise unberechenbar. Es ist außerdem schwer, die Rolle der Wagner-Gruppe in Hinblick auf deren Unterstützung bei der Erfüllung geopolitischer Ziele Russlands zu beurteilen. ... Sicher ist aber, dass sich Putin zunehmend der Gefahren eines unzufriedenen Militärs bewusst wird. Die Ereignisse dieser Woche deuten auf mögliche Spannungen in der russischen Militärführung und auf den Wunsch nach Machtkonsolidierung hin.“
Öffentliche Hinrichtung mit Hintertür
Der israelische Geheimdienst-Veteran Sergej Migdal sieht in Nowaja Gaseta Ewropa das Geschehen als brutale Machtdemonstration:
„Von den verschiedenen Mordarten wurde für Prigoschin eine der deutlichsten, lautesten und für Unbeteiligte gefährlichsten gewählt. Zum Glück stürzte das Flugzeug nicht auf eine Siedlung, wo es viele Opfer gegeben hätte. Die Crew wurde dabei getötet. ... Dies ist eine öffentliche Lektion in absoluter Straflosigkeit. Gleichzeitig eröffnet die Variante einer Explosion an Bord den Behörden die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen: Prorussische Medien und Blogger diskutieren bereits darüber, dass Prigoschin auf Befehl des Chefs des ukrainischen Militärgeheimdienstes Budanow, im Auftrag der CIA oder des IS getötet wurde.“
Putins Geduld hatte gute Gründe
Die zwei Monate seit Prigoschins Putschversuch wurden zur Vorbereitung genutzt, analysiert Le Figaro:
„In Wladimir Putins Russland ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand, der als 'Verräter' bezeichnet wird, brutal ums Leben kommt... Die Zwischenzeit hat es vor allem ermöglicht, die Folgen zu antizipieren: Neuausrichtung der Söldner, Beruhigung der afrikanischen Kundschaft, Wiedererlangung der Kontrolle über die lukrativen Aktivitäten unter anderen Decknamen. Und die russische Front in der Ukraine hat in den letzten Monaten bewiesen, dass sie auch ohne die Wagner-Kämpfer und Prigoschins Gebrüll standhaft ist.“
Der Kreml-Chef sitzt wieder im Sattel
Für Dnevnik ist klar, wer am meisten von Prigoschins Tod profitieren würde:
„Nachdem das Image der Unverwundbarkeit seines Regimes angeschlagen war, verstärkt der Tod des Wagner Chefs Putins Heiligenschein der Unverwundbarkeit und Unersetzlichkeit wieder. ... Da Putin Untreue ihm und Russland gegenüber am übelsten nimmt, hat er sich offenbar eine viel schrecklichere Strafe ausgedacht, als sie politischen Gegnern, Doppelspionen, Journalisten oder Tycoons bisher widerfahren ist. ... Und es war beängstigend, gestern den Russen zuzuhören, die den ausländischen Medien erklärten, dass sie mit so etwas gerechnet hätten - und dass sie es für gerechtfertigt halten, denn niemand dürfe dem Präsidenten die Stirn bieten.“
Weit und breit kein Staatsstreich in Sicht
Hoffnungen auf Putins politisches Ende erscheinen immer unrealistischer, meint Adevărul:
„Hätte das 'System' wirklich Putins Absetzung gewollt, wäre die Revolte von Prigoschin ein schneller und effektiver Anlass für einen Staatsstreich gewesen. Aber in Wirklichkeit war der Wagner-Marsch auf Moskau nur eine schlecht durchdachte Laune, wie die eines verwöhnten jungen Mannes, der einen Lamborghini besitzt und ihn an die Wand fährt. Totalschaden. Bald zwei Jahre nach Kriegsbeginn müssen wir uns eingestehen, dass die Szenarien, dass Putin abgelöst werden wird, ein Staatsstreich geschieht oder ein glorreicher und schneller Sieg der Ukrainer im Krieg erfolgt, optimistische Übertreibungen sind.“
Eine Zeitbombe
Russlands Präsident könnte wegen der Sache noch Probleme bekommen, prognostiziert dagegen 444.hu:
„Prigoschin wurde nach der Rebellion wohl deshalb nicht sofort verhaftet oder hingerichtet, damit er nicht zum Märtyrer wird. ... Zwei Monate reichen jedoch nicht unbedingt aus, um diejenigen zu überzeugen, die für Prigoschins Kritik empfänglich waren und die Ankunft der Wagner-Panzer in Rostow gefeiert haben. ... So wurde Prigoschin in einem Trauerpost auf dem Wagner nahestehenden Telegram-Kanal Grey Zone als wahrer heroischer Patriot bezeichnet, der von Russlands echten Verrätern getötet wurde. ... Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Putin durch die endgültige Lösung eines Problems mehrere andere geschaffen hat, die er in Zukunft noch aggressiver und grausamer lösen muss.“
Rechenschaft steht an
Mit der Zahl seiner noch lebenden Getreuen schwinden auch die Reste erfreulicher Zukunftsaussichten für Putin, ist Jyllands-Posten überzeugt:
„Prigoschins Tage waren gezählt, seit er vor zwei Monaten zu seinem Marsch gen Moskau aufbrach. Den kurzzeitigen Kontrollverlust hat Putin ihm nie verziehen. ... Um Schaden von Putins Autorität abzuwenden, galt es, eine Rechnung zu begleichen. ... Die Wagner-Gruppe als Symptom eines rückgratlosen Systems kann mit neuer Führung weitermachen oder Teil einer der vielen Milizen werden, derer sich Putin zu bedienen pflegt; letztlich wird alles beim Alten bleiben. ... Je rigoroser Putin unter seinen Handlangern ausmerzt, umso deutlicher weist der Pfeil auf ihn. Rechenschaft steht an.“
Nichts als Luftfahrt-Terrorismus
Stalin hat sich mehr Mühe gegeben, Staatlichkeit zu inszenieren, konstatiert Soziologe Alexej Roschtschin auf Facebook:
„Alle 'Anstifter' in ein Flugzeug zu locken und es zu sprengen, das ist brutal. Und, mit Verlaub, Luftfahrt-Terrorismus. Was hat davon abgehalten, so zu tun, als ob wir in einem Staat leben würden - also sie alle einfach zu verhaften und wegen 'Verrats' vor Gericht zu stellen, zumal Putin selbst genau das vor fast zwei Monaten versprochen hat? Weshalb solche Show-Effekte? Die Leute fragen zu Recht: Was haben sich denn die Piloten des Prigoschin-Jets zuschulden kommen lassen? ... Selbst Stalin scheute es nicht, 'Prozesse' zu inszenieren, damit alles aussieht, als sei es 'rechtens'.“
Putins Macht basiert auf Ja-Sagern
Prigoschin hat seine Grenzen verkannt, erörtert La Stampa:
„Mächtig war er, nur hielt er sich für mächtig genug, um das Machtsystem von Wladimir Putin zu bedrohen - wohl darauf bedacht, akrobatisch zwischen dem Präsidenten und dem Hofstaat der ihn umgebenden Generäle zu unterscheiden. ... Prigoschins Fehler bestand vielleicht darin, zu glauben, dass Putin die Botschaft aufgreifen, den (von Prigoschin) verhassten Verteidigungsminister Schoigu entlassen und die Welle des Aufstands reiten würde, der nationalistischer sein sollte als der Putinsche Staat selbst. Doch gerade auf diesen unterwürfigen Staat und seine törichten Höflinge hat Wladimir Putin seine Macht aufgebaut. ... In diesem System ist kein Platz für einen verrückten Ausscherer wie Jewgeni Prigoschin.“
Kein Gewinn für die Gesamtsituation
Rzeczpospolita schreibt:
„Hätte der Tod des Wagner-Anführers, falls er sich bestätigen sollte, Auswirkungen auf die Fragen, mit denen wir Prigoschin in Verbindung bringen? Auf den großen Krieg im Osten, auf russische Operationen in Afrika oder Provokationen an der Grenze von Belarus zu westlichen Ländern? Das ist zweifelhaft. Niemand ist unersetzlich, auch nicht unter Banditen. Russland wird nichts von dem aufgeben, was mit Hilfe von Prigoschin und seinen Söldnern erreicht wurde. Schlimmer noch: Die Liquidierung des Chefs der Wagner-Gruppe wäre ein Signal an die Russen, dass man dem Kreml nicht nur gelegentlich von Nutzen sein darf. Man muss es immer sein.“
Wagner ist noch nicht am Ende
Prigoschins Tod würde Putins interne Kritiker nicht lähmen, glaubt The Daily Telegraph:
„Der Absturz bedeutet nicht das Ende der Auseinandersetzungen von Militärs innerhalb von Russland. Es gibt weiterhin eine große Zahl ausgebildeter und aktiver Wagner-Krieger, die durch Gefechte in der Ukraine oder Plünderungen in Afrika kampferprobt und mit der Führung ihres Landes äußerst unzufrieden sind. Tatsächlich fanden einige junge Russen Prigoschins Botschaft überzeugend. Aus ihrer Sicht hat Putin einen Krieg begonnen, der nicht angemessen geführt wurde. Dies wird zu einem größeren Problem, je länger sich die 'militärische Spezialoperation' hinzieht.“