Nach Terror-Angriff: Wie weiter im Kosovo?
Nach dem schwersten Zwischenfall zwischen Kosovo und Serbien seit Jahren debattiert Europas Presse über die Zukunft der Region. Beide Seiten verhandeln unter Vermittlung der EU bisher ergebnislos über eine Normalisierung ihres angespannten Verhältnisses. Pristina will erweiterten Selbstverwaltungsrechten für die überwiegend von ethnischen Serben bewohnten Gemeinden im Kosovo nicht zustimmen. Kommentatoren betrachten auch die Lage in Serbien.
Fragwürdige Trauer um Mörder
Dass Serbien wegen der getöteten Kosovo-Serben am Mittwoch einen offiziellen Trauertag abhielt, hält Pešćanik für problematisch:
„Die Toten serbischer Nationalität (um es in den Worten der Regierung auszudrücken) sind im besten Fall Mörder, im schlimmsten Fall Terroristen. Doch die aufgestachelte serbische Öffentlichkeit hat kein Problem damit, dass die ganze Nation solchen Individuen nachtrauert. Im Gegenteil, in den letzten drei Tagen haben wir Aufrufe der Regierung gehört, sich am Trauertag wegen der Ereignisse im Kosovo zu beteiligen.“
Vielleicht will jemand Vučić stoppen
Der eigentliche Verlierer nach dem Vorfall ist der serbische Präsident, stellt Jutarnji list fest:
„Die Eskalation ereignete sich nur zehn Tage nach der erfolglosen letzten Runde des serbisch-kosovarischen Dialogs in Brüssel, der als eine Art Sieg von Vučić über Kurti aufgefasst wurde. Die USA und die EU waren unzufrieden mit der Kooperationslosigkeit von Albin Kurti und drohten gar mit Isolation und gewissen Sanktionen. Nun haben sich die Dinge gewendet und Vučić hat diesen kleinen Vorteil verloren, den er nach langer Zeit erhascht hatte. Die Frage ist, ob jemand - und alle zeigen nach Osten - Vučić eine Falle gestellt hat, als dieser im Vorteil war und eine reale Chance einer Einigung mit den USA und der EU im Raum stand.“
EU verfolgt die falsche Strategie
Der Plan des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell kann nicht gut gehen, kritisiert die Kleine Zeitung:
„[W]ie geht man ... um mit erratischen Regierungschefs wie Vučić, die sich bis heute nicht entscheiden können, ob sie ihr Land lieber in die Fänge Russlands oder Chinas oder doch in die EU führen wollen? Wie umgehen mit den Alles-oder-nichts-Forderungen von Kurti, der die vollständige Anerkennung des Kosovo als unabdingbare Voraussetzung für weitere Verhandlungen sieht? Die Doppelstrategie Borrells, einerseits mit dem Aufbau eines serbischen Gemeindeverbands im Norden des Kosovo zu beginnen und gleichzeitig an der Anerkennung Kosovos durch Serbien zu arbeiten, kann so nicht funktionieren.“
Klartext aus Brüssel gefordert
Europa muss im Konflikt zwischen Serbien und Kosovo eine deutlichere Sprache sprechen, fordert Dnevnik:
„Sowohl Serbien als auch Kosovo verstehen sehr gut, worüber sie streiten. Das Kosovo wird entweder ein souveräner Staat mit allen Rechten oder ein wiederbesetztes Gebiet sein. Die Politik beider Länder basiert auf einem Nationalismus, der bereits in den 1990er Jahren unkontrollierbar war. Die Politiker der Europäischen Union müssen zumindest anfangen, in einer klaren Sprache zu sprechen. Bei Missverständnissen ist Unbestimmtheit weise. Bei Konflikten führt es zu unkluger Politik.“
Ein Brand, der Moskau erfreut
Europa muss weiter auf eine EU-Perspektive für Serbien und Kosovo setzen, schreibt Kolumnist Pierre Haski in France Inter:
„Russland hat Serbien Unterstützung in dieser beginnenden Krise geleistet und freut sich sehr, Öl in ein Feuer zu gießen, das die Nato-Länder betrifft. Denn 25 Jahre nach seiner Unabhängigkeit steht das Kosovo weiter unter dem Schutz der Nato, die eine Militärpräsenz vor Ort hat. … Die Europäische Union versucht mühsam, zwischen Belgrad und Pristina zu vermitteln, indem sie mit einem EU-Beitritt bis 2030 lockt. Diese Perspektive scheint jedoch noch zu ungewiss, als dass sie die nationalistischen Triebe auf beiden Seiten beruhigen könnte. Allerdings kann nur die europäische Idee einen so festgefahrenen Konflikt befrieden - wie sie anderswo bewiesen hat.“
Serbien im Wahn
Jutarnji list schüttelt den Kopf über das Nachbarland:
„Wegen des Todes von vier Terroristen ruft Serbien einen Tag der Trauer aus, Novak Djokovićheult, dass er 'nicht versteht, wie 19 mächtige Staaten damals das kleine Serbien angreifen konnten' und Vučić spricht vor der UN, als ob er ein Gesandter von Lukaschenka und Putin wäre. ... Obwohl Serbien Kriege verloren hat, in denen seine Leute schreckliche Gräueltaten begangen haben, sanktioniert wurde und durch die eigene Politik einen Exodus der Serben aus den Nachbarländern verursachte, ist das Land weiterhin tief von der Fantasie besessen, ein auserwähltes Volk zu sein. Das früher oder später all das ihm angeblich zugefügte Unrecht korrigieren wird. Solange der Westen dies ohne konkrete Reaktion beobachtet, wird der Balkan ein Pulverfass bleiben.“
Belgrad könnte den Einsatz erhöhen
Eine gefährliche Eskalation in der Region befürchtet Ukrajinska Prawda:
„Die serbischen Behörden haben stets versucht, jegliche Konflikte im Nordkosovo als spontane Reaktion der örtlichen Serben auf die Unterdrückung durch die Kosovo-Verwaltung darzustellen. Es wird jedoch sehr schwierig sein, die Zusammenstöße vom Sonntag in einem für Belgrad günstigen Licht darzustellen. ... Wenn Kosovo Belgrad eine Beteiligung an der Organisation der Unruhen nachweisen kann, könnte die Position Serbiens erheblich geschwächt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Lage in der Region stabilisieren wird. Es spricht einiges dafür, dass Serbien dann den Einsatz erhöhen könnte, um dem Westen Angst vor einem Wiederaufleben des Krieges zu machen, damit er Druck auf Kosovo ausübt.“