Welche Folgen hat die Tötung des Hamas-Anführers?
Die libanesische Hisbollah-Miliz hat Israel für die Tötung des Hamas-Anführers Saleh Al-Aruri mit einem Drohnenangriff auf einen Vorort von Beirut verantwortlich gemacht. Der Anschlag werde nicht ohne Antwort bleiben, erklärte Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah. Von israelischer Seite gab es keine Bestätigung. Kommentatoren fragen sich, ob nun ein Flächenbrand in der Region droht.
Ein Strippenzieher
Saleh Al-Aruri war der Mann der Verbindungen, analysiert La Repubblica:
„Mit dem Iran, mit der libanesischen Hisbollah, mit dem Westjordanland, das er unter die Herrschaft der Hamas bringen wollte. ... Al-Aruri war die 'neue' Hamas und de facto Stellvertreter von [Hamas-Chef] Hanija, somit die Nummer zwei im Politbüro. Er war der Theoretiker der 'Konvergenz der Arenen', einer Strategie, die darauf abzielte, die Trennung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen aufzuheben und sie in einem breiteren Bündnis mit der schiitischen Achse zu verbinden. Nach dem Bruch zwischen Hamas und Hisbollah 2014 – die im syrischen Bürgerkrieg auf entgegengesetzten Seiten standen – war es Al-Aruri, der die Beziehungen zu Teheran und [Hisbollah-Führer] Nasrallah wiederherstellte“
Offener Krieg wäre Katastrophe
Die taz wirft die Frage auf, ob die Tötung strategisch wirklich so klug war:
„[E]ines will Israel sicher nicht: Krieg führen gegen den Libanon oder sogar Teile des Landes an sich reißen. ... Es bleibt zu hoffen, dass die Prognose des israelischen Sicherheitsapparats war, dass die Hisbollah nach dem Schlag in Beirut nicht zu sehr unter Druck steht und eine Hintertür findet, um nicht voll in den Krieg einzusteigen. Und es ist zu hoffen, dass diese Prognose auch richtig ist. Ein offener Krieg zwischen der Hisbollah und Israel, der über ständigen gegenseitigen Beschuss hinausgeht, wäre eine Katastrophe sowohl für die libanesische als auch die israelische Bevölkerung.“
Vorerst lehnt sich die Hisbollah zurück
Eine scharfe Reaktion der Hisbollah ist nicht zwangsläufig und umgehend zu erwarten, meint The Guardian:
„Auch wenn der Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah warnte, dass jede Ermordung auf libanesischem Boden eine 'entschiedene Antwort' nach sich ziehe, wird die Reaktion auf die Ermordung Aruris möglicherweise nicht unmittelbar sein. Die Gruppe muss ihre Glaubwürdigkeit als wichtige regionale Kraft behalten – aber die libanesische Gesellschaft will nicht in einen weiteren Krieg hineingezogen werden. ... Vorerst kann die Hisbollah einfach weiter zusehen, wie Israel seine militärischen Ressourcen im Gazastreifen aufbraucht und große moralische Empörung hervorruft. Sie spart sich ihr Waffenarsenal und überlässt die Last der Kämpfe der Hamas.“
Ausdruck eines Strategiewechsels
Die Tötung Al-Aruris deutet möglicherweise auf eine neue Vorgehensweise Israels hin, glaubt The Irish Times:
„Beobachter sehen Anzeichen für die Änderung der israelischen Taktik hin zu einer gezielteren und weniger flächendeckenden Bombardierung. Dies sei – auch wenn die Israelis das nicht zugeben – eine Reaktion auf den Druck, den US-Präsident Joe Biden ausübt, der fordert, dass Israel gezielte Operationen durchführt und mit Spezialeinheiten die Führung und Infrastruktur der Hamas angreift. Der Drohnenangriff auf das Beiruter Hamas-Büro vom Dienstag, bei dem mehrere hochrangige Kommandeure getötet wurden, scheint diesen Wandel zu bestätigen.“
Der Iran hat es in der Hand
Über mögliche Konsequenzen entscheidet letztlich der Iran, analysiert Kolumnist Pierre Haski in France Inter:
„Israel ging ein bewusstes Risiko ein, indem es einen Hamas-Führer im Ausland angriff. Dieses Risiko besteht darin, die Hisbollah noch weiter in Richtung eines großen Kriegs mit Israel zu treiben und damit den ausgebluteten Libanon mitzureißen. … Besteht diese Gefahr? Alles hängt vom Iran ab. Die Hisbollah würde eine solch große Eskalation nicht ohne das grüne Licht aus Teheran initiieren, wo ihre Waffen und ihre Finanzierung sichergestellt werden. … Wieder einmal steht der Nahe Osten an einem entscheidenden Punkt, nicht zwischen Krieg und Frieden, sondern zwischen dem Gaza-Krieg und einem regionalen Flächenbrand.“