EU-Gewaltschutzpaket: Ohne Definition von Vergewaltigung
Die EU hat sich im Kampf gegen Gewalt auf ein Gesetzespaket geeinigt. Es beinhaltet schärfere Strafen für sexualisierte und häusliche Gewalt. Zu reden gibt, dass sich die EU nicht auf eine einheitliche Definition von Vergewaltigung einigen konnte. Eine konsensbasierte Regelung für sexuelle Handlungen nach dem Prinzip "Nur Ja heißt Ja" war umstritten. Auch in den Kommentarspalten.
Paris und Berlin sind schuld
La Stampa schimpft:
„Ist es so schwer zu sagen, dass Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung eine Vergewaltigung ist und dass Vergewaltigung ein Verbrechen ist? Offensichtlich gibt es in Brüssel einige - zu viele -, die es nicht für angebracht halten, in diesen Monaten des Wahlkampfs kontroverse Themen anzusprechen. Die Rechte der Frauen wären also ein Thema, das die Gemüter spaltet. Dass Orbán so denkt, ist kein Wunder. Erstaunlich ist jedoch, dass auch Frankreich und Deutschland die Streichung von Artikel 5 (der das Verbrechen der Vergewaltigung bei fehlender ausdrücklicher Zustimmung regelt) der neuen EU-Richtlinie gegen Gewalt gegen Frauen fordern. Macron, äußere dich mal! Ursula, wo steckst du? Sag etwas zu deinem Landsmann Scholz!“
Verpasste Chance
Der Standard ist enttäuscht:
„'Ja heißt Ja' bedeutet nicht, dass jeder Handgriff abgesegnet werden muss, sondern während sexueller Handlungen in Kommunikation zu bleiben. Damit wird deutlich, dass Konsens für Sex Voraussetzung ist und dass alle Beteiligten verantwortlich sind, darauf zu achten. Eine juristische Regelung dazu ist nicht leicht, würde aber ein stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein dafür schaffen, dass sexuelle Handlungen nur in gemeinsamem Einvernehmen geschehen sollten. Die EU hat die Chance dafür mit dem Gesetzespaket vorerst verpasst. Schade, dass immer noch nicht selbstverständlich ist, dass nur dann von Sex die Rede sein kann, wenn alle Beteiligten ihn auch wollen.“
Noch viele Widerstände
El País hofft auf einen allmählichen Sinneswandel:
„Das neue Gesetz ist ein Fortschritt im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, aber es zeigt, dass es noch große Widerstände gibt gegen einen Mentalitätswandel im Umgang mit sexuellen Übergriffen. Das Ergebnis steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten der Istanbul-Konvention beigetreten sind, die Vergewaltigung als das Fehlen von Zustimmung definiert. Dennoch ist die Durchsetzung des neuen Gesetzes zu begrüßen, da es andere Formen der Gewalt gegen Frauen wie Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und Cybergewalt vereinheitlicht und unter Strafe stellt. ... Wichtig ist zudem, dass in letzter Minute eine fünfjährige Revisionsklausel aufgenommen wurde.“
Nicht zuständig
Es ist kein Skandal, dass die EU die Strafbarkeit der Vergewaltigung nicht einheitlich regelt, meint der rechtspolitische Korrespondent der taz, Christian Rath:
„[D]enn dazu hat sie schlicht keine Kompetenz. Die EU ist historisch als Binnenmarkt entstanden. Sie ist kein Staat. Die EU hat daher nur dort Kompetenzen, wo ihr die Mitgliedsstaaten diese in den EU-Verträgen ausdrücklich einräumen. Für das Strafrecht ist die EU grundsätzlich nicht zuständig, da es als besonders sensible Materie gilt, die dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten bleiben soll. ... Wer auf diese Zuständigkeitsgrenze hinweist, wie Justizminister Marco Buschmann, ist deshalb kein Frauenfeind.“