Afghanistan: Wie umgehen mit dem Taliban-Regime?
Drei Jahre nach dem Abzug des US-Militärs sowie der beteiligten Nato-Länder und der Machtübernahme der Taliban leiden insbesondere Frauen und Mädchen unter der Lage in Afghanistan. Sie dürfen nicht studieren oder eine Ausbildung machen und sind auch in ihrem Alltagsleben erheblich eingeschränkt. Kommentatoren fragen nach der angemessenen Position des Westens.
Der Westen im Dilemma
Diena erläutert die Herausforderung:
„Insbesondere in den westlichen Ländern gelten die Taliban als radikale Islamisten und Terroristen, zu denen keine oder nur eingeschränkte Beziehungen aufgebaut werden können und dies unter der Voraussetzung, dass die Taliban-Regierung zumindest einige westliche Standards einhält. ... Die Haltung gegenüber den Taliban in der nicht-westlichen Welt ist anders. Die Bewegung hat in unterschiedlichem Maße die Beziehungen zu China, Indien und Russland sowie zu den Ländern Zentralasiens und des Persischen Golfs normalisiert. ... Offen bleibt die Frage, welche Position in einer solchen Situation richtiger ist: doch Beziehungen aufzubauen oder weiterhin Forderungen zu stellen, die diese unter keinen Umständen erfüllen wird.“
Seltsame Angst vor klarer Kante
ABC fragt sich, warum alle die Taliban einfach dulden:
„Der Westen hat sich noch nicht davon erholt, dass die Amerikaner damit gescheitert sind, eine demokratische Nation an einem unwirtlichen Ort aufzubauen. Gruppen, die sich selbst als fortschrittlich bezeichnen, sind wie gelähmt. ... Woke-Bewegungen haben Angst, klar die kulturelle Überlegenheit der liberalen Demokratie und der offenen Gesellschaften des Westens gegenüber archaischen theokratischen Visionen zu postulieren. Nach einem ungeschriebenen Pakt werden die Taliban nicht behelligt, solange sie keine Terrorgruppen unterstützen. ... Die Uno sollte ihre Haltung ändern und aufhören, ohne Gegenleistung mit dem Regime zu kollaborieren.“
An den Taliban führt kein Weg vorbei
Es wird Zeit, die deutsche Afghanistan-Politik auf den Prüfstand zu stellen, findet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Hilft es den Frauen wirklich, wenn humanitären Organisationen jeglicher Kontakt zu den Taliban-Behörden untersagt wird? Oder dient das womöglich eher dazu, Aktivistinnen im Exil zufriedenzustellen? Die diplomatische Isolation der Taliban wirkt zunehmend wie eine Weigerung, sich den moralischen Dilemmata zu stellen und den Realitäten nach einem verlorenen Krieg ins Auge zu sehen. ... Es hilft nicht, sich die Zeit zurückzuwünschen, in der für Frauen und ethnische Minderheiten vieles besser war. Langfristig führt kein Weg an den Taliban vorbei, wenn man nicht zusehen will, wie das Land abermals verelendet und zum Rückzugsort für Terrorgruppen wird.“
An Märchen geglaubt
Der Westen sollte mit sich ins Gericht gehen, fordert La Stampa:
„Das Problem sind wir, die wir es als internationale Gemeinschaft vorgezogen haben, das bequeme Märchen von 'Vereinbarungen' und einer positiven Entwicklung der Taliban zu akzeptieren, damit wir abziehen und sogar unsere Toten zurücklassen konnten. … Vor zwei Monaten richtete dann die UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan [Rosa Otunbajewa] einen Aufruf an die Welt, in dem es hieß, dass die Taliban eine regelrechte Apartheid zum Nachteil der Frauen ausüben, die nicht mehr studieren, sich nicht mehr ärztlich behandeln lassen, nicht mehr in Würde leben können. Geschweige denn träumen. Die Selbstmordrate unter Mädchen in Afghanistan steigt rapide an. … Nur die bärtigen Männer im Palast feiern den 'Tag des Sieges'. “
Politik von humanitärer Hilfe trennen
The Guardian veröffentlicht diesen Aufruf einer anonymen afghanischen Hilfswerk-Mitarbeiterin:
„Wohin humanitäre Hilfe fließt, wird nicht von Stimmen aus Afghanistan bestimmt, sondern von Menschen, die vor den Taliban geflohen sind. ... Sie fordern die internationale Gemeinschaft auf, alle Verbindungen zur Taliban-Regierung zu kappen. Als jemand, der noch immer hier lebt und arbeitet, halte ich das für falsch. ... Während Hilfsbudgets schrumpfen, werden die Helfer und Ressourcen vor Ort immer stärker überstrapaziert – eine Strafe, die vor allem Frauen trifft, die ohnehin verfolgt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte uns stattdessen ermächtigen, den Millionen afghanischen Frauen zu helfen, die noch im Land leben, und dabei Politik und humanitäre Hilfe getrennt halten.“